Hervé Poncharal nach Folger-Crash: «Ich bin zornig»
Hervé Poncharal
Hervé Poncharal hat gegen 13.45 Uhr Ortszeit gerade in seiner Team-Hospitality sein Mittagessen beendet, als wir ihn zum Interview treffen. Thema: Der Crash von Jonas Folger im Warm-up von Silverstone.
Der Franzose sitzt allein am Tisch. Seine Tochter Mathilde und die Crew-Chiefs Nicolas Guyon und Guy Coulon sitzen am Nebentisch. Poncharal ist aufgebracht.
«Ich bin zornig», stellt Hervé fest, bevor ich eine Fage stellen kann. «Es geht um unser Bremsproblem. Wir wissen immer noch nicht, warum Jonas beim Österreich-GP an die Box fahren musste. Wir haben von Brembo dazu bsiher keine offizielle Information erhalten. Aber vergessen wir Spielberg. Wir haben das System, das wir dort bei Jonas benützt haben, an Brembo zurückgegeben, damit es untersucht werden kann. Hier haben wir für Jonas hier ein brandneues System eingebaut; es hat das ganze Wochenende problemlos funktioniert. Es gab nie ein Problem damit. Jonas war etwas krank, aber er hat sich bis Samstag gut erholt. Im Warm-up fuhr er wieder mit dem Bremssystem raus, das er im Training verwendet hat. Wir haben ihm nur neue Bremsscheiben eingebaut.»
«Wir haben mit Jonas noch nicht sprechen können. Aber das Motorrad steht wieder in der Box. Er hat zu bremsen begonnen, er hat Bremsdruck ausgeübt, er hat dann denselben Druck weiter ausgeübt, aber anscheinend gab es keine ausreichende Bremswirkung. Das zeigen die Daten. Wir müssen zuerst warten, bis Jonas zurück im Fahrerlager ist. Auf jeden Fall ist es rätselhaft. Er war in der Out-lap und spürte ein Problem. Deshalb hat er sich entschieden, vom Motorrad abzuspringen. Das wissen wir. Es war dann der Yamaha-Projektleiter in der Box, unser Crew-Chief Nicolas Guyon und ein Ingenieur von Brembo. Ich habe dem Brembo-Mann sehr deutlich gesagt: Ich will endlich offiziell wissen, was passiert ist. Ich verlange einen schriftlichen Report. Denn ich will wissen, was da vor sich geht. Wir können nicht nach Misano fahren, ohne zu wissen, was vorgefallen ist. Wir müssen das verstehen, auch der Fahrer muss den Grund wissen. Das ist alles, was ich verlange. Jetzt warte ich auf den Bericht.»
Der erste Eindruck, Jonas sei wegen kalter Reifen gestürzt, war also falsch? Poncharal ringt sich ein Lächeln ab. «Kalte Reifen? Wir leben nicht mehr im Jahr 1952. Heute gibt es keine kalten Reifen mehr.»
«Ich bin verärgert, weil es in diesem technischen Sport nichts Schlimmeres gibt als Ungewissheit. Wir hatten jetzt bei zwei Rennen einen Zwischenfall mit den Bremsen und haben keine Ahnung, was passiert ist», ergänzte Poncharal. «Wenn so etwas passiert, willlst du die Ursache wissen. Wir brauchen alle informationen darüber, was mit dem Motorrad geschehen ist. Ich bin zornig, weil ich nicht will, dass so etwas noch einmal vorkommt. Ich denke, wir sind in einer Position, wo ich so eine Aufklärung verlangen kann. Ist es ein menschliches Versagen? Ist es ein technisches Versagen? Das müssen wir wissen. Das müssen wir in Erfahrung bringen. Auch deshalb, damit Jonas geholfen wird, sein Vertrauen wieder zu finden. Ein Bremsversagen, das ist das Übelste, was man sich vorstellen kann.»
«Ich bin natürlich enttäuscht, weil ich heute mit einer guten Performance von Jonas gerechnet habe. Er war krank, hat sich aber gut erholt. Im Q2 wurde er aufgehalten von einem Gegner, sonst wäre er im Quali Achter oder Neunter geworden. Er war sehr schnell. Jonas mag Silverstone, wir haben ihm für heute viel zugetraut.»
«Was mich am meisten ärgert: Jonas hatte einen High-Speed-Rutscher. Er hat in den Airfences eingeschlagen, aber sein Helm hatte keinen Kratzer, er ist völlig unversehrt geblieben», setzte Hervé fort. «Er war okay. Er war vom Crash mental durchgerüttelt und schockiert, klar. ich habe mit ihm nach dem Warm-up gesprochen, er war völlig in Ordnung. Die Rennärztin wollte ihn 30 Minuten im Medical Centre behalten. Da haben wir zugestimmt, es waren fast dreieinhalb Stunden Zeit bis zum Rennstart. Er wirkte völlig gesund. Plötzlich hat ihn die Ärztin nach Coventry bringen lassen. Dort wurde eine Computer-Tomografie gemacht, auch gut, auch sinnvoll. Plötzlich bekam er Startverbot. Es gibt aber keine Verletzungen, keine Blessuren, keine Beschwerden, keine Schmerzen. Dr. Xavier Mir von der Dorna hat Jonas untersucht und ihm grünes Licht für das Rennen gegeben. Aber die lokale Rennärztin war dagegen. Versteh' mich nicht falsch. Die Gesundheit der Rennfahrer steht an erster Stelle. Aber ich bin sicher: Jonas ist 100-prozentig in Ordnung, er wäre bereit für die Rennteilnahme. Aber er wurde als ‘unfit to race» erklärt. Warum darf er nicht zurück ins Fahrerlager, wenn alles okay ist? Warum darf er nicht mit uns besprechen, ob er sich den Start zutraut? Die letzte Entscheidung sollte bei Jonas liegen. Aber sie wurde uns aus der Hand genommen. Das ärgert mich.»
«Jonas war bereit für ein gutes Resultat. Aber jetzt ist er draussen», wetterte Poncharal. Dann besinnt er sich auf seine Deutschkenntnisse: «Scheiße.»