Drama: Publikumsliebling Ralf Waldmann ist tot
Ralf Waldmann ist tot. Die genaue Todesursache ist noch ungeklärt. Der gelernte Klempner sei gestern um 16 Uhr zum Haus seiner Eltern in Ennepetal gefahren, um die Heizung zu reparieren, ist aus seinem engsten Umfeld zu hören. Als er zum vereinbarten Termin um 18 Uhr noch nicht nicht zurückgekehrt war, fuhr seine Lebensgefährtin Heike los, um Nachschau zu halten. Sie wurde wurde unterstützt von Waldis Freund Torsten Klug. «Waldi» wurde leblos aufgefunden, es kam jede Hilfe zu spät. Der 20-fache GP-Sieger dürfte einen Herzinfarkt erlitten haben.
«Waldi», der Dutzende schwere Motorradstürze heil überstanden hat, wurde im Alter von 51 Jahren, 7 Monaten und 24 Tagen mitten aus seinem abwechslungsreichen Leben gerissen.
Es sind kaum vier Monaten vergangen, als Waldis ehemaliger Teamchef Stefan Kiefer ebenfalls mit 51 Jahren beim Malaysia-GP durch einen Herzinfarkt aus dem Leben geschieden ist. Der Ex-Rennfahrer war damals tief betroffen.
Ralf Waldmann hatte nach seinem Rücktritt alles Mögliche angepackt, aber er war heilfroh, als er vor zwei Jahren bei Eurosport als TV-Experte engagiert wurde. Bald erledigte er diese Aufgabe mit Bravour. SPEEDWEEK.com beleuchtet die bewegte Karriere und das bewegte Leben des 20-fachen GP-Siegers.
Mit Ralf Waldmann hatte Eurosport für die MotoGP-WM 2016 nicht nur einen Publikumsliebling engagiert, sondern den wohl besten deutschen Solo-Rennfahrer neben Toni Mang der letzten vier Jahrzehnte. Und dazu jenen Fahrer, der in der Motorrad-GP-Geschichte die meisten GP-Siege errungen hat, ohne je Weltmeister geworden zu sein – nämlich 20.
Als Experte und Partner von Jan Stecker lieferte Ralf Waldmann den Eurosport-Zusehern im Vorjahr viele Hintergründe, denn durch die viele Jahren im Paddock war der 250-ccm-Vizeweltmeister von 1996 und 1997 gut vernetzt, er kannte viele Teamchefs von Gresini bis zu Cecchinello und Pons, er traf 2016 beim Valencia-GP sogar seinen ehemaligen Erzrivalen Max Biaggi, der ihm zweimal den Titelgewinn in der 250er-WM vermasselt hat.
«Waldi» hat im Jahr 2000 seine letzte komplette WM-Saison bestritten, er wurde damals noch WM-Siebter und gewann die WM-Läufe in Jerez und Donington. Aber keiner ist so oft rückfällig geworden wie der 51-jährige Gas-Wasser-Installateur («der rasende Klempner») aus Ennepetal.
Mit Storys über Ralf Waldmann liesse sich ein Buch füllen.
Ich habe Ralf vor ziemlich genau 30 Jahren erstmals fahren gesehen, Mitte März 1988 beim Europameisterschaftslauf in Jerez.
«Waldi» reiste mit seinem Papa im bescheidenen Renault-Transporter an, im Laderaum waren eine Seel 80 und eine JJ-Cobas 125 verstaut.
Fahrwerksprobleme im Training wurden durch mehr oder weniger Reifendruck ohne grossen Aufhebens beseitigt; ans Federbein und an die Gabel traute sich keiner ran, ein Mechaniker war sowieso nicht dabei. Was mir damals auffiel: Überall sah ich auf dem Transporter Aufkleber mit der Aufschrift «Waldi find ich gut».
Waldi stürzte am Sonntag im 125-ccm-EM-Rennen an aussichtsreicher Stelle und lädierte seinen Knöchel, was ihn aber nicht hinderte, zwei Stunden später den 80-ccm-EM-Lauf souverän zu gewinnen.1989 gewann er einen weiteren 80-ccm-EM-Lauf in Zolder.
Papa Waldmann (auch in Andalusien standesgemäss in grünen Loden gekleidet, wenn ich mich richtig erinnere) weinte vor dem Podest, Ralf kletterte mit einem blau-weiss-roten Leder und perfekt dazu passenden grellgrünen Stiefeln aufs Podest.
«Neulich habe ich daheim aufgeräumt, da ist mir dein Artikel vom EM-Lauf in Jerez 1988 untergekommen», schildert Ralf vor zwei Jahren. «Weisst du noch, was da stand? 'Bettelarmes Team gewinnt Europameisterschaftslauf'. Das waren schöne Zeiten...»
Mit Fixateur beim Nürburgring-GP
Ralf Waldmann fuhr damals in der deutschen Meisterschaft (80 ccm und 125 ccm) als Neuling im Nassen oft drei Sekunden pro Runde schneller als die Gegner, er lieferte aber in seiner Sturm- und Drangperiode 1988 auch 35 Stürze im Jahr ab. Danach hatte er das Limit im Griff – meistens.
Im Frühjahr 1988 wurde Waldmann mit seinem Moped im Strassenverkehr in eine Kollision mit einem Auto verwickelt, ein Schien- und Wadenbeinbruch war die Folge.
Leider nahte aber der Nürburgring-GP 1988, wo sich der Hobby-Feuerwehrmann gute Chancen auf WM-Punkte ausrechnete.
Ärgerlich war nur, dass die Verletzung vom Arzt mit einem externen Fixateur stabilisiert wurde, und mit diesem monströsen Eisengestell war natürlich bei einem Medical Check im GP-Paddock kein Blumentopf zu gewinnen.
Doch Waldi behielt das Missgeschick für sich, um sein sponsorloses Familien-Team kümmerte sich im GP-Paddock ohnedies niemand.
Für kurze Hosen war es sowieso zu kalt. Er trug also etwas weitere lange Jeans als üblich und erweiterte auch die Lederkombi unter dem Knie ein bisschen, um Platz für den lästigen Fixateur zu schaffen.
Pech nur, dass Waldi im Rennen stürzte und dann in der Clinica Mobile untersucht wurde. Dort trauten die italienischen Dottores ihren Augen nicht, als unter dem Leder der recht voluminöse Fixateur zum Vorschein kam.
Waldi wurde für ein paar Wochen für alle Rennen gesperrt.
Waldi, das Sprachengenie
Ralf Waldmann machte dann in der Weltmeisterschaft rasch Karriere. Er wurde in der 125er-WM Honda-Werksfahrer und wurde von Marlboro finanziert; er gewann sechs Rennen in der 125er-WM und schnitt 1993 als WM-Dritter ab, ehe er für 1994 im deutschen HB-Honda-250-Werksteam von Dieter Stappert den Platz von Helmut Bradl übernahm. Er feierte 14 GP-Siege in der 250-ccm-Klasse und zeigte 1998 auch mit der Dreizylinder-500-ccm-Modenas im Team Roberts in der Königsklasse starke Vorstellungen. Bestes Ergebnis: Platz 7 in Sachsen.
Legendär bleiben die köstlichen Fremdsprachen-Eskapaden von Waldi, der nach dem 125-ccm-GP Sieg 1992 in Eastern Creek/Australien bei der Pressekonferenz im besten Kauderwelsch erklärte: «I had a Highslider and my heart go down in my trousers.»
Waldmann verspielte die 250er-WM 1996 und 1997 knapp gegen den überragenden Max Biaggi. 1996 um 6 Punkte, 1997 um 2. Schon 19975 beendete Waldi die 250er-WM als Dritter hinter Biaggi und Harada.
Der 20-fache GP-Sieger beendete seine WM-Profi-Karriere nach der Saison 2000. «Aber 2002 hatte ich noch drei 250-ccm-Wildcard-Einsätze mit der 250er-Aprilia im UGT-Team von Ralf Schindler. 2005 habe ich noch eine Saison IDM-Superbike absolviert. 2009 bin ich dann bei Kiefer in Donington noch als Ersatzfahrer in der 250er-WM eingesprungen. Das war mein letzter WM-Lauf.»
Waldmann: 20 GP-Siege, kein WM-Titel
Insgesamt bestritt Waldmann 169 Grand Prix, er gewann 20, sammelte total 1668 Punkte, erkämpfte zehn Pole-Positions und fuhr 16 schnellste Rennrunden.
Den ersten GP-Sieg (125 ccm) feierte Waldi 1991 vor 120.000 Zuschauern in Hockenheim. Helmut Bradl gewann damals den 250er-GP, Ralph Bohnhorst das Seitenwagen-WM-Rennen.
Selbst in der Saison 2015 bestritt Waldi noch Motorradrennen. «Ich bin im Naked-Cup in Schleiz und Hockenheim gefahren. Da habe ich von Moser eine Ducati aufgebaut gekriegt. Da bin ich Dritter geworden. Na gut, es sind nur drei mitgefahren, muss ich ehrlich dazu sagen... Aber ich hatte nichts trainiert und bin dann in Hockenheim Zweiter geworden hinter dem 26-jährigen Sohn von Detlef Karthin; der hat alle Läufe gewonnen. Aber den letzten Lauf habe ich gewonnen mit dem Ding.»
«Ich bin echt noch schnell, ich muss mich da wirklich wundern», stellte Waldmann damals überrascht fest. Beim deutschen WM-Lauf am 14. Juli 2016 feierte er seinen 50. Geburtstag. Es war der Donnerstag vor dem ersten Sachsenring-GP-Training.
Waldi führt auch nach der GP-Karriere ein bewegtes Leben. Für 2002 sollte er sogar MotoGP-Werksfahrer bei MZ werden als Teamgefährte von José Luis Cardoso, aber mehr als eine Attrappe eines MotoGP-Bikes brachte der illustre MZ-Chef Petr-Karel Korous nicht zustande.
«Das Geld, was ich damals bekommen habe, habe ich 2009 für ein paar Anteile bei MZ investiert», schilderte Waldi, der jedoch bald wieder ausstieg, nach einem Zerwürfnis mit MZ-Chef Martin Wimmer.
Wimmer wollte in seiner Euphorie KTM überflügeln, brachte in drei Jahren aber kein einziges Motorrad auf den Markt. Waldi hingegen wollte MZ als bodenständige Firma mit altbewährten Qualitäten auf eine solide Basis stellen – zuerst einmal mit robusten Enduro-Bikes und nicht mit Elektro-Rollern und sinnlosen WM-Einsätzen in der Moto2- und Moto3-Klasse.
Waldmann: Viel Lob von Eurosport
Zwischendurch verdiente Ralf Waldmann in den letzten 15 Jahren sein Geld auch recht bescheiden als Rennmechaniker. Zuerst 2011 und 2012 bei Alpha Racing BMW im FIM-Superstock-1000-Cup mit Markus «Reiti» Reiterberger, dann zum Beispiel 2013 mit Mario Rubatto und Max Neukirchner mit Ducati in der Superbike-WM, 2014 für den hoffnungslosen Venezolaner Gabriel Ramos in der Moto3-WM auf Kalex-KTM bei Kiefer Racing.
Auch 2016 schraubte Waldi wieder – im Northern Europa Cup auf einer Honda NSF 250R für Matthias Meggle im Intact-Team.
Noch während sener WM-Karriere heiratete Ralf Waldmann die Autorennfahrerin Astrid Grünfelder und zog dann in den bayerischen Chiemgau.
Sohn Leo hat keine motorsportlichen Ambitionen mehr. Nach ein paar Honda-Minibike-Rennen war Schluss. «Wenn man keine Lust hat, macht es keinen Sinn», stellt Papa Ralf fest, der in den letzten Jahren mit seiner Firma «Waldi Racing» auch getunte Mopedteile für Kreidler, Hercules und Sachs verkaufte und nach der Trennung von seiner Frau Astrid jetzt wieder in Ennepetal lebte.
«Dass mich Eurosport als TV-Experten engagiert hat, das hat mich schon überrascht. Denn da habe ich im Leben nicht mehr damit gerechnet. Deshalb habe ich vorher Jürgen Lingg und dem Intact-Team zugesagt, 2016 dem kleinen Matthias Meggle zu helfen», schilderte Waldi vor zwei Jahren. «Intact-Chef Stefan Keckeisen hat mir aber sofort empfohlen, bei Eurosport zuzusagen, als ich dieses Angebot bekam. Dann war halt im ganzen Jahr 2016 jedes Wochenende verplant.»
Vor der Saison 2016 musste sich Ralf Waldmann zuerst bei einem Eurosport-Casting bewähren, an dem unter anderen auch Sabrina Schaumburg teilnahm, die Tochter von Motorrad-Tuner Herbert Schaumburg.
«Da habe ich den ganzen Tag Probe-Interviews gemacht und dazu das letzte MotoGP-Rennen von 2015 noch einmal mit Orasche kommentiert», erzählte Waldi. «Ich bin dann immer besser in Fluss gekommen. Von Eurosport wurden auch Wünsche geäussert, auf welche Themen ich eingehen soll. Das ist dann immer besser geworden...»
«Ich habe damals mit Waldi auch die Boxengasse-Situation durchgespielt», erinnert sich Johannes Orasche. «Da habe ich ihn aus der Reserve gelockt, das hat die Verantwortlichen von Eurosport überzeugt».
«Ich werde auch 2018 zusammen mit Jan Stecker die Stimme in der Boxengasse sein, in allen drei Klassen», kündigte der TV-Experte kürzlich begeistert an. «Für mich war ja diese Aufgabe nicht ganz neu. Ich habe das früher schon ein paar Mal mit Eddie Mielke gemacht, auch beim MDR war ich früher schon einige Male dabei.»
Bei Eurosport hielt man bald große Stücke auf den beliebten und unverwechselbaren Waldmann. «Waldi hat beim Casting wirklich überzeugt, in allen Konstellationen. Das Feuer brennt bei ihm noch, wir mögen Urgesteine wie ihn», loben ihn die Eurosport-Verantwortlichen. «Es ist unglaublich, wie viele Leute Waldi im Paddock kennen und wie viele er kennt», wunderte sich Jan Stecker bei vielen Gelegenheiten.
Einer der erfolgreichsten deutschen Motorradrennfahrer lebt nicht mehr.
Waldi, du bleibst unvergesslich. Ruhe in Frieden.