Pit Beirer über Johann Zarco: «Spezieller Charakter»
Bit Beirer mit Johann Zarco
Johann Zarco hat als Rookie 2017 und 2018 auf der Tech3-Yamaha viel frischen Wind in die MotoGP-Weltmeisterschaft gebracht. Er zeigte keinen Respekt vor großen Namen wie Rossi, Márquez oder Lorenzo und mischte oft unerschrocken an der Spitze mit. Vier Pole-Positions zeugen von seinem Fahrkönnen, seinem Angriffsgeist und seinem Speed. In Las Termas 2018 verpasste er den Sieg nur um 0,251 Sekunden und in Valencia 2017 nur um 0,337 Sekunden.
Aber im Ajo-Moto2-Team zeigte der Franzose im Sommer 2016 eine Schwächephase, weshalb ihm Alex Rins in der WM bedrohlich naherückte, 2018 setzte bei Tech3-Yamaha nach dem Le-Mans-GP ebenfalls eine wochenlange Flaute ein.
Zarco unterliegt Stimmungsschwankungen, die sich auf seine Leistungen auf der Rennstrecke auswirken. Trotzdem glänzte er mit zwei Moto2-WM-Titeln und drang quasi über Nacht in die MotoGP-Weltspitze ein, mit einer privaten Vorjahres-Yamaha machte er dem Werksteam mit Viñales und Rossi oft Kopfzerbrechen. Wie heute Fabio Quartararo.
Aber bei Red Bull KTM wurde Zarco in der «premier class» nie wirklich heimisch.
«Die Entwicklung einer MotoGP-Maschine ist ein Geduldsspiel. Wir haben immer unterstrichen, dass wir bitte etwas Zeit brauchen für dieses Projekt», sagt Motorsport-Direktor Pit Beirer. «Man muss ja auch mit Rückschlägen rechnen, dazu gehören Verletzungen der Fahrer.»
Beirer: «Zarco ein spezieller Charakter»
Johann Zarco hat sich mit der KTM RC16 nie richtig anfreunden wollen. Sie ist kräfteraubender zu fahren als die M1-Yamaha, das gilt für alle V4-Maschinen, auch für die Ducati und Honda, wie zum Beispiel Jorge Lorenzo festgestellt hat.
Aber Pol Espargaró hat drei MotoGP-Jahre auf der Tech3-Yamaha bewältigt und sich mit der KTM bald gut zurechtgefunden.
Zarco bekam in den vergangenen Wochen für die GP-Weekends in England und Italien weiter dasselbe Material wie Espargaró.
Nur an der Entwicklung der 2020-Werks-KTM wollten ihn die Österreicher nach der geplanten Trennung per Saisonende nicht mehr beteiligen. Deshalb wurde er für den privaten Test in Aragón von nächster Woche nicht aufgeboten. Dort fahren nur Espargaró, Kallio und Testfahrer Dani Pedrosa. Zarco empfand diesen Schritt als Vertrauensbruch.
«Johann ist in Misano mit dem identischen Motorrad wie Pol Espargaró gefahren», betont Pit Beirer. «Wir wollten ihm keine Steine in den Weg legen.»
Johann Zarco hat Beirer in diesem Jahr einiges Kopfzerbrechen verursacht, das lässt sich nicht verheimlichen. Der KTM-Rennchef verlangte vom 16-fachen GP-Sieger eine Anpassung des Fahrstils. «Wir wissen, dass wir bei unserem Motorrad die Fahrbarkeit, das Turning und so weiter verbessern müssen. Daran arbeiten wir. Aber auch Johann muss uns ein Stück entgegenkommen und seinen Fahrstil anpassen. Wir können aus der KTM keine Yamaha machen», stellte Beirer im Frühjahr fest.
«Ja, Johann hat mich graue Haare gekostet, das ist kein Geheimnis», räumte Pit Beirer jetzt im SPEEDWEEK.com-Interview zur Trennung von Zarco ein. «Wir haben uns einiges an Kritik von ihm angehört, haben ihn aber deswegen nie zur Rechenschaft gezogen. Sonst hätte man uns vorgeworfen, wir hängen den Fahrern einen Maulkorb um. Wir haben gesagt, wir gehen mit erhobenem Haupt durch diese schwierige Phase. Johann ist ein ganz spezieller Charakter. Wenn er den Rennstress am Wochenende nicht hat, ist er der netteste und höflichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Unter Druck agiert er anders… Er war nicht happy mit dem Motorrad. Er konnte nicht so fahren, wie er wollte, dann ist einfach alles aus ihm rausgeplatzt. Wir waren uns bewusst, dass wir diese Situation bei den letzten Rennen nicht mehr verändern können. Beim GP von Österreich haben wir die Zukunft auf beiden Seiten so geregelt, dass wir uns nach dieser Saison trennen. Wir werden jetzt mit Sicherheit in keiner Weise nachtreten. Johann war uns gegenüber anständig, aber er hat natürlich die eine oder andere Aussage geliefert, die man fast unter Rufschädigung abhaken muss.»
KTM hat auf Zarcos teilweise gehässige Aussagen seit Jerez nie mehr reagiert. Beirer: «Wenn wir noch Öl in dieses Feuer gegossen hätten, wäre die Situation nur schlimmer geworden. Wir können nicht kontrollieren, was er sagt. Und als wir uns zur Trennung per Saisonende entschieden haben, ist bei allen etwas Druck abgefallen. Wir wollten bis zum WM-Finale noch das Beste rausholen.»
Deshalb war KTM bereit, Johann Zarco bis zum letzten Rennen in diesem Jahr zu begleiten. Es war ja seit Brünn ein Aufwärtstrend bei den Ergebnissen zu sehen.
Auch Bayle nahm Abschied
Nach Zarcos Kündigung beim Österreich-GP beendete auch Zarcos Berater Jean-Michel Bayle schlagartig die Zusammenarbeit mit seinem Landsmann. Beirer: «Das habe ich sehr schade gefunden. Aber Bayle ist ein Extremling. Als Johann am Spielberg bei uns die Kündigung eingereicht hat, hat Jean-Michel gesagt: ‚Wenn er nicht mehr an das Projekt glaubt, hör‘ ich auf für ihn zu arbeiten.' Dabei hat Jean-Michel nicht für KTM gearbeitet, sondern für Johann. Das war auch ein Zeichen… Doch Jean-Michel hat uns in der härtesten Zeit geholfen, Johann etwas unter Kontrolle zu halten.»
Nach dem dritten Startplatz in Brünn reichte es bei Zarco im Rennen nur zum 14. Platz. Beim Montag-Test packte Zarco («Ich bin müde») um 13 Uhr ein. In Spielberg verlor er im Rennen 9,3 Sekunden und vier Plätze auf Rookie Oliveira auf der Kunden-KTM. In England räumte er den Portugiesen ab.
Was dachte Pit Beirer bei diesem Vorfall? «Auf Englisch würde man ‚shit‘ sagen. So eine Situation ärgert dich natürlich gewaltig. Aber Johann war nicht der erste Rennfahrer, der seinen Schwung ein bisschen überschätzt. Wir haben nicht geschimpft. Denn wir haben Johann ein paarmal vorgeworfen, er gibt nicht alles. Dann hat er es probiert. Dass er dabei ausgerechnet unseren Miguel runtergefahren hat, war nicht ideal. Natürlich haben wir uns geärgert, aber wir haben das als normalen Rennunfall abgehakt und mit Johann nie intensiv darüber geredet. Wir haben lieber nach vorne geschaut.»
Tatsächlich zog sich Zarco in Misano im Quali mit Platz 8 recht respektabel aus der Affäre. Doch im Warm-up stürzte er in der «Out-Lap» in der allerersten Kurve. Nach dem Rennen mit dem versöhnlichen elften Platz lästerte er wieder über KTM.
Das KTM-Management konnte dieses Vorgehen beim besten Willen nicht mehr als vertrauensbildend betrachten. Es war wohl der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Deshalb wurde Mika Kallio am Montag für den Rest der Saison als Ersatzfahrer aufgeboten.
«Solange wir im Projekt weiter kommen und Ergebnisse wie den zweiten Startplatz und Rang 7 in Misano liefern, kann sich jeder eine Meinung über das MotoGP-Projekt von KTM bilden», meint Beirer. «Jeder kann beurteilen, ob wir nach zweieinhalb Jahren total auf dem Holzweg sind oder nicht.»
WM-Stand nach 13 von 19 Rennen:
1. Marc Márquez 275. 2. Dovizioso 182. 3. Petrucci 151. 4. Rins 149. 5. Viñales 134. 6. Rossi 129. 7. Quartararo 112. 8. Miller 101. 9. Crutchlow 88. 10. Morbidelli 80. 11. Pol Espargaró 77. 12. Nakagami 62. 13. Mir 47. 14. Aleix Espargaró 37. 15. Bagnaia 29. 16. Iannone 27. 17. Zarco 27. 18. Oliveira 26. 19. Lorenzo 23. 20. Rabat 17. 21. Bradl 16. 22. Pirro 9. 23. Guintoli 7. 24. Syahrin 7. 25. Abraham 5.