Giacomo Agostini: Der Größte aller Zeiten?
Nachdem die japanischen Hersteller der Motorrad-WM in den späten 1960er-Jahren vorläufig den Rücken gekehrt hatten, war die Bühne frei für das Wiederaufleben der europäischen Dominanz im GP-Sport. Während der Aufstieg der italienischen Werke nicht unerwartet kam, hatten die Herrschaft von Giacomo Agostini über viele Jahres des kommenden Jahrzehnts nur die wenigsten auf der Rechnung.
Vor der Saison 1968 war «Ago » schon ein zweifacher Weltmeistermeister, aber bis dahin hatte er im Kampf gegen Fahrer wie Hailwood, Read und Findlay kein leichtes Spiel. Als MV immer stärker wurde und Hailwood (zum ersten Mal) zurücktrat, war dann alles angerichtet für die beeindruckendste Dominanz, die die Motorrad-WM je gesehen hat: In den Klassen 350 und 500 ccm wurde Agostini in sechs Saisonen nur elf Mal besiegt und stellte mit insgesamt 15 WM-Titeln und 122-GP-Siegen Rekorde auf, die auch heute noch unerreicht sind. Der Italiener war so überlegen, dass er zwischen 1968 und 1971 jedes Rennen, an dem er teilnahm, gewann – und das in beiden Klassen.
Als die japanischen Hersteller langsam in die Motorrad-WM zurückkehrten, tat der heute 77-jährige Italiener das, was sein Landsmann Valentino Rossi 30 Jahre später nachmachen sollte – und wechselte am Ende der Saison 1973 von seiner erfolgsverwöhnten MV Agusta zu Yamaha.
Agostini bewies auf Yamaha in den folgenden Jahren mit zwei WM-Titeln, dass er nicht nur dank MV erfolgreich gewesen war – und stieß ein für alle Mal in den erlesenen Kreis jener Fahrer vor, die als Anwärter auf den Titel des Größten aller Zeiten gelten.
In den kleineren Klassen schickte sich unterdessen Ángel Nieto an, zu einem der ganz Großen zu werden, als er 1969 den ersten seiner 13 Titel gewann. Mit Dieter Braun stellte 1970 (125 ccm) und 1973 (250 ccm) auch Deutschland einen Weltmeister.
In der Königsklasse war es schließlich ein Brite, der Agos glorreicher Herrschaft ein Ende setzte: Phil Read sicherte sich 1973 und 1974 die 500er-WM-Krone. Agostini schlug zurück und holte 1975 seinen letzten Titel, ehe er sich zwei Jahre später zur Ruhe setzte – und sich mit Barry Sheene ein weiterer Brite zum Champion kürte.
Auch abseits der Strecke setzte Agostini Zeichen: 1972 verkündete er, dass er nie wieder auf der Isle of Man Rennen fahren würde, nachdem sein guter Freud Gilberto Parlotti tödlich verunglückt war. Den Rundkurs der legendäre Tourist Trophy bezeichnete der «Ago nazionale» als zu gefährlich für eine Weltmeisterschaft. Andere Top-Fahrer schlossen sich dem Boykott an, was dazu führte, dass der Event 1977 schließlich aus dem GP-Kalender verschwand.
1982 kehrte Agostini als Teammanager bei Yamaha Marlboro in den GP-Zirkus zurück. In seiner neuen Rolle als Teamchef gewann er mit Eddie Lawson drei Titel in der Königsklasse 500 ccm und managte Fahrer wie Graeme Crosby und Kenny Roberts am Höhepunkt ihrer Karriere. Vielleicht ist die heute 77-jährige Legende auch in diesem Aspekt ein Vorreiter für den neunfachen Weltmeister Rossi (40), der mit seinem Sky Racing Team VR46 in der Moto2-Klasse immerhin schon einen Weltmeister stellte – Francesco Bagnaia 2018.
Die Meilensteine von 1968 bis 1977:
1969: Godfrey Nash ist auf einer Norton Manx der letzte 500er-Sieger mit einem Einzylinder-Bike
1969: Angel Nieto gewinnt seinen ersten von 13 Titeln in den kleineren Klassen
1971: Jack Findlay holt den ersten GP-Sieg in der Königsklasse auf einem Zweitakter (Suzuki TR500)
1974: Phil Read wird mit MV Agusta Doppelweltmeister in der «premier class»
1975: Agostini macht Yamaha zum ersten nicht europäischen Hersteller mit einem 500er-Titel
1977: Silverstone ersetzt die Isle of Man als Austragungsort des Britischen Grand Prix
1977: Barry Sheene ist der letzte Brite, der in der «premier class» einen Titel holt