MotoGP-WM ohne Medien: Es gibt andere Prioritäten
In Doha am ersten März-Weekend war das Media Centre dürftig besetzt
Vor zwei Monaten bekamen die Motorrad-GP-Teams der Klassen Moto3 und Moto2 bereits einen Vorgeschmack auf die Zustände, die beim Neustart der Saison am 19. und 27. Juli in Jerez herrschen werden. Denn in Doha/Katar durfte die MotoGP-Klasse nicht mehr antreten, Teamgäste waren im Paddock nicht mehr erlaubt, und weil die Königsklasse fehlte, blieb auch die Anzahl der Medienvertreter überschaubar.
Für den Jerez-GP muss die Dorna die Anzahl der Paddock-Insassen auf 1100 bis 1300 reduzieren. Deshalb werden auch diesmal die Teamgäste fehlen, die Marketing-Leute, die Communications-Departement der Teams. Ein MotoGP-Privatteam muss sich auf 25 Personen beschränken, ein Werksteam auf 40, in den Klassen Moto3 und Moto2 werden nur zwölf Personen pro Team erlaubt sein. Die Medien bleiben ausgeschlossen, mit Ausnahme der Dorna-Mannschaft für die TV-Produktion, dazu kommen ca. sechs Fotografen oder Foto-Agenturen, die die Dorna, die Teams, manche Verlage und andere Kunden beliefern sollen.
Speziell aus Spanien und Italien, wo die MotoGP-WM einen extrem hohen Stellenwert genießt und viele Teams und Topfahrer zuhause sind, werden jetzt Forderungen laut, die Dorna solle eine gewisse Anzahl von schreibenden Journalisten im Paddock zulassen, denn es bestehe eine Informationspflicht, die Dorna dürfe kein Arbeitsverbot verhängen.
Aber die Dorna ist an die Vorschriften und Verordnungen der Regierungen und Gesundheitsbehörden gebunden. Meiner Meinung nach sollte zuerst einmal – im Interesse des ganzen Sports – der Saisonstart gewährleistet werden, damit nicht die ganze Saison 2020 dem Coronavirus zum Opfer fällt.
Die ganze Welt musste sich in den letzten Wochen an Ausgangsbeschränkungen, Hausarreste, Quarantänebestimmungen, Reiseverbote, Grenzschließungen, Flugverbote, Versammlungsverbote, an Plexiglasscheiben, ans Maskentragen, ans Abstandhalten und an gesperrte Geschäfte, Restaurants und Hotels gewöhnen, dazu an Absagen von Sport- und Kulturveranstaltungen.
Deshalb wird sich das Weltgeschehen weiterdrehen, wenn einzelne Grand Prix vorläufig ohne Berichterstatter vor Ort über die Bühne gehen müssen.
Es existieren im Gegensatz zu früher moderne Kommunikationsmittel, die so eine Situation erträglich machen.
Wenn ganze Konzerne vorläufig mit virtuellen Plattformen für Telefonkonferenzen (wie Zoom oder MS Team) geleitet werden können, werden die Teams und Werke auch Möglichkeiten finden, ein paar lichtvolle Messages in die Welt zu posaunen.
Wer sich einbildet, der spanische WM-Promoter Dorna nutze die Viruskrise nur als Vorwand, um unliebsame Journalisten loszuwerden, macht es sich zu leicht. Denn auch die Sportjournalisten in anderen Disziplinen müssen sich zu Zeiten der Covid-19-Pandemie mit neuen Arbeitsmethoden und Gegebenheiten abfinden.
In Italien entscheidet sich zum Beispiel erst am 18. Mai, ob die Serie-A im Frühjahr überhaupt neu gestartet wird.
In Deutschland startet die Fußball-Bundesliga am kommenden Wochenende. Das DFL-Konzept für Wiederaufnahme der Saison für die 36 Profivereine beinhaltet zahlreiche einschneidende Maßnahmen.
Das angesprochene Konzept besteht aus drei Säulen: Infektmonitoring, also Protokollierung bestehender oder vorher aufgetretener Infektionen, die Anpassung der Trainingsstätten und Stadien mit ansteckungsminimierenden Maßnahmen und regelmäßige Tests unter Spielern und Betreuern. Manche Berechnungen gehen bei den 36 Clubs von knapp 20.000 Corona-Tests aus.
Folgende Maßnahmen regeln die Abläufe für die Bundesliga und die 2. Bundesliga: Im Oberhaus sind bei jeder Partie höchstens 98 Personen im Stadion-Innenraum vorgesehen. Dazu gehören die 22 Spieler auf dem Rasen, 18 Ersatzspieler, fünf Schiedsrichter, viel Balljungen und 20 Mitglieder aus den Funktionärsteams der beiden Mannschaften. Weitere 115 Personen dürfen sich im Tribünenbereich aufhalten. Zu den maximal 213 Personen im Stadion (Innenraum und Tribünen) kommen im Außengelände je nach Stadion maximal 109 weitere Personen.
Paddock: Klinken putzen
Was die Hygienevorschriften betrifft, so wird man im Paddock der Formel 1, der MotoGP, Superbike oder Motocross-WM ähnliche Maßnahmen vorfinden. Die Abstandswahrung bleibt natürlich das oberste Gebot, dazu sollen die Teams eine Großfamilien leben und sich im Idealfall nicht untereinander vermischen, weder bei der Anreise, noch bei der Verpflegung, noch in den Boxen und in den Hotels. Teamfotos, Handshakes und Umarmungen sind unerwünscht, häufiges Handewaschen wird empfohlen, im Paddock und an den Boxen sollen die Türen möglichst geöffnet bleiben.
Die Dorna arbeitet jetzt fieberhaft an einem «closed door protocol.» Es sieht auch vor, dass mehr Moto2- und Moto3-Teams als üblich im Paddock in Zelten ihre Quartier aufschlagen; sie werden nicht mehr teilweise zu dritt oder viert in eine Box gequetscht. «Social distancing», heißt die Devise. Auch das Aufstellen der riesigen Hospitality-Paläste wird untersagt, die Teams werden sich mit kleinen «Catering Services» begnügen – wie bei den Übersee-Rennen.
Häufig berührte Flächen wie Tisch und Türklinken und Treppengeländer im Paddock müssen mindestens einmal täglich gereinigt und desinfiziert werden. Kontakt zu potenziell kontaminierten Gegenständen (wie z.B. Pfefferstreuer, Salzstreuer, Trinkgläser, Zigaretten, Handtücher usw.) soll tunlichst vermieden werden.
Jede positiv getestete Person wird sofort isoliert. Alle Kontaktpersonen werden sofort noch einmal einem Schnelltest unterzogen.
In der MotoGP-WM werden die Teams vor der Abreise einen Covid-19-Test absolvieren müssen, dann bei der Ankunft im Paddock. Und an jedem Morgen wird bei Eingang zum Paddock mit Hilfe von «Bodyscreening» die Körpertemperatur gemessen.
Selbst wenn die Dorna eine geringe Anzahl von GP-Berichterstattern zulassen würde, wäre mit Erschwernissen zu rechnen. Jeder Reporter müsste vor der Abreise einen Virustest machen, bei der Ankunft wieder, die Tests kosten jeweils zwischen 50 und 200 Euro. Diese Kosten müssten selber getragen werden. Sie sind bei Einzelpersonen ohne Symptome nicht überall erhältlich.
Dazu dürften die Testergebnisse bei der Einreise ins jeweilige GP-Land nicht älter als vier Tage sein. Das könnte bei Berichterstattern aus Japan oder Amerika oder sonstwo zu Komplikationen führen.
Denn ein Vorschlag an die Dorna könnte lauten: Aus jedem Sprachraum (Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, Japanisch, Deutschland) soll die Dorna einem Berichterstatter den Zugang zum Paddock und Media Centre ermöglichen. Dieser Pool soll dann alle Daheimgebliebenen beliefern.
Ganz ausgereift wirkt diese Idee nicht: Wenn einer von fünf Reportern auf eine Falschinformation hereinfällt, was jedem Kollegen passieren kann, wird sie dann in den Fachmedien auf der ganzen Welt unwidersprochen kolportiert?
Bundesliga: Nur 98 Personen im Innenraum
In knapp zwei Monaten kann die Verbreitung des Virus auch in den bisher stark betroffenen Ländern weiter eingedämmt werden. Es kann auch aber zu einer zweiten Infektionswelle kommen. Das zeigte sich in Singapur und Südkorea. Sogar in Deutschland sind jetzt neue Cluster entstanden.
Deshalb weiß niemand, ob bis Mitte Juli alle Reiseverwarnungen in Europa aufgehoben und alle Linienflüge fliegen werden. 2500 km von Mitteleuropa nach Jerez – diese Strecke will niemand mit dem Auto zurücklegen.
Alle reiselustigen GP-Berichterstatter, die sich im GP-Paddock als unabkömmlich betrachten, sollen sich noch sechs Wochen zurücklehnen und einen Blick auf die Fußball-Kollegen werfen.
In der Deutschen Bundesliga dürfen alle nötigen On-Air-TV-Reporter ins Stadion. Denn ihre Sender bezahlen pro Runde ca. 63 Millionen Euro an die Clubs. Dazu werden zehn Journalisten von den Print- und Online-Medien zugelassen. Vier Plätze davon sind fix für die großen Verlage wie Axel Springer-Titel (Bild, Sport-Bild), die Agentur SID und das Fachmagzin Kicker vorgesehen. Sechs Plätze verteilt der Heimklub auf die regionalen und lokalen Print- und Online-Medien. Dazu kommt eine Beschränkung auf zwei externe Fotografen pro Match.
In einer weltweiten Sportart wie MotoGP könnte es Monate dauern, bis eine Einigung über eina halbwegs faire Verteilung der Plätze erzielt wird. Und 98 Prozent der Daheimgebliebenen wären trotzdem beleidigt oder frustriert.
Außerdem möchte ich festhalten: Die Dorna muss zwei Weltmeisterschaften (MotoGP und SBK) mit viel Fingerspitzengefühl, betriebswirtschaftlichen Instinkt und Management-Power am Leben erhalten. Allein die GP-Teams erhalten in normalen Jahren ca. 70 Millionen Euro pro Saison. Und die Dorna hat den Teams fast 20 Millionen bis zum Jahresende zugesichert, auch für den Fall, dass kein einiger Grand Prix stattfindet.
Bisher weiß niemand, ob die Behörden für Jerez und Spielberg (in Österreich kommt der Maßnahmenkatalog der Regierung erst Ende Mai auf den Tisch) für die GP-Austragung grünes Licht geben.
Deshalb sollten wir der Dorna vorläufig Zeit geben, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, also auf den Neustart der Saison. Dann kan die ungewöhnliche Saison vielleicht zumindest ohne riesige Verluste abschließen.
Denn unser Kurzzeitgedächtnis sagt uns: Vor vier Wochen lag noch ein ganz anderes «worst case»-Szenario als jetzt (mit zehn Europa-GP) auf dem Tisch.
Damals befürchtete sogar Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta: «Wir können womöglich erst wieder an MotoGP-Rennen denken, wenn weltweit ein Impfstoff angeboten wird.»
Das wird bekanntlich mindestens noch ein Jahr dauern. Gegen die Immunschwächekrankheit AIDS existiert bis heute keiner.