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Giacomo Agostini: «Heute würde ich heulen»

Von Nora Lantschner
Rekordweltmeister Giacomo Agostini (77) in seinem Privatmuseum

Rekordweltmeister Giacomo Agostini (77) in seinem Privatmuseum

Giacomo Agostini (77) spricht über die Ausganglage für die MotoGP-WM 2020 und analysiert mit Blick auf die anstehende Entscheidung von Valentino Rossi (41): «Je älter du wirst, desto mehr denkst du nach.»

«Ausgehend von dem, was man in den Wintertests sehen konnte, war Yamaha am weitesten. Die Entwicklung wurde eingefroren, also haben sie gute Chancen. Sie haben vier gute Fahrer. Quartararo hat bewiesen, dass er sehr schnell sein kann, und er wird die Chance bekommen, schöne Rennen zu zeigen», analysierte Giacomo Agostini die Ausganglage für die MotoGP-Saison 2020, die laut Dorna-Plan am 19. Juli in Jerez starten soll. «Márquez war wegen seiner Schulter nicht in Form, aber dank der Pause wird er wieder bei 100 Prozent sein. Es wird ein großer Kampf werden, aber ich glaube, dass Yamaha auch Márquez in Bedrängnis bringen wird.»

Zum Thema Marc Márquez ergänzte der 15-fache Weltmeister im Gespräch mit den Kollegen von «GPOne.com»: «Keiner kann sagen, dass Marc gewinnt, weil er bei Honda ist. Er gewinnt aus seinem Handgelenk heraus. Wir wissen alle, dass er auch mit einem anderen Motorrad gewinnen könnte, er muss nichts beweisen.»

Während der Titelverteidiger seinen Vertrag mit Honda bereits bis einschließlich 2024 verlängert hat, ist die Zukunft des dreifachen MotoGP-Vizeweltmeisters Andrea Dovizioso noch zu klären. «Dovizioso ist der, der Ducati zu den Ergebnissen verholfen hat. Ich glaube nicht, dass es eine Alternative gibt, ich würde ihn nicht gehen lassen», betonte Agostini und fuhr fort: «Ich glaube, dass Miller bereit für das Werksteam ist, auch wenn ihm bei Pramac nichts gefehlt hat. Aber es kann trotzdem wichtig sein, aus psychologischer Sicht.»

Ein Kundenteam sieht der Rekordweltmeister auch für den neunfachen Weltmeister Valentino Rossi als unproblematisch. «Auch als ich bei Yamaha war, war das Team meins, also ein Privatteam – und wir haben drei WM-Titel gewonnen. Es ist mehr für den Kopf, dass man sagt, ich bin ein Werksfahrer. Aber ein Fahrer bringt heute normalerweise seine Techniker mit, wenn das Werk dazu noch ein Werksmotorrad garantiert, dann ist am Ende der einzige Unterschied, wer dir deine Gage bezahlt.»

Für den 115-fache GP-Sieger Rossi – sein letzter Triumph in Assen 2017 liegt 46 sieglose Rennen zurück – geht es aber vor allem um die Entscheidung, ob er mit seinen 41 Jahren noch eine 26. Saison in der Motorrad-WM anhängen will.

«Das ist ein schwieriges Thema, weil jeder von uns es so macht, wie er sich fühlt. Man kann es also nicht kritisieren oder Ratschläge erteilen», meinte Agostini dazu. «Ich kann nur für mich sprechen: Als ich an den Punkt gekommen bin, wo ich nicht mehr zwölf Rennen im Jahr gewonnen habe, sondern nur fünf oder vier, habe ich angefangen zu überlegen, ob ich meinen Platz vielleicht besser einem anderen überlassen sollte. Warum? Wenn du gewohnt bist, viel zu gewinnen, dann wird auch bei einem zweiten Platz gesagt: ‚Agostini ist am Ende.‘ Als Zweiter oder Dritter wurde ich von allen kritisiert, ich fühlte mich gedemütigt. Also habe ich mir gesagt, vielleicht ist es richtig so: Ich habe viel erreicht, jetzt ist der Moment gekommen – so wie er für jeden einmal kommt. Den Niedergang erleben alle, ob es jetzt beim Boxen, Radfahren oder in der Formel 1 ist. Im Schwimmsport ist es zum Beispiel oft schon mit 30 Jahren vorbei.»

Dass mit dem Alter auch auf dem Motorrad die Leistungsfähigkeit nachlässt, erklärt der inzwischen 77-Jährige so: «Ich glaube, dass alles vom Kopf kommt. Wenn du 20 Jahre alt bist, hast du den Kopf eines 20-Jährigen und du denkst nicht viel nach. Das ist mit 40 oder 50 nicht mehr so. Je älter du wirst, desto mehr denkst du nach und desto mehr ziehst du zurück. Du merkst es gar nicht, denn es sind kleine Dinge. Wir sprechen von Zehntelsekunden, das sind minimale Unterschiede. Und du fühlst dich noch stark, denn mit 40 ist ein Mann noch stark. Aber für unseren Job, wenn du mit 230 km/h in eine Kurve kommst… Als ich jung war und in Monza im ‚Curvone‘ zu sliden begann, musst ich lachen. Heute würde ich heulen.»

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