Aprilia: Schwache Ergebnisse, seltsame Entscheidungen
Das Aprilia Racing Team Gresini erlebte im Finish der MotoGP-Saison 2020 einen spürbaren Aufwärtstrend. Aleix Espargaró schaffte am Freitag in Portimão mit der RS GP-20 die drittbeste Zeit des Tages, er verlor nur 0,226 ec auf die Bestzeit. Dazu gelang dem 31-jährigen Spanier in Valencia-2 der neunte und in Portimáo der achte Platz im Rennen.
«Portimão war eine Strecke, auf der man das Motorrad nicht dauernd extrem abbremsen und dann wieder von null beschleunigen muss», meinte Aprilia-Rennchef Massimo Rivola. «Das ist eine ähnliche Charakteristik wie auf Phillip Island.»
Bei den zwölf Grand Prix vor dem Finale war ihm mit Platz 10 in Jerez-2 nur ein Top-Ten-Ergebnis gelungen. Deshalb reichte es in der WM-Tabelle nur für den enttäuschenden 17. Rang mit 42 Punkten, nach Rang 14 im Vorjahr.
Dabei war der Aprilia-Werksfahrer wie immer mit viel Zuversicht in die Saison gestartet. 2019 hatte er die WM als Viertzehnter abgeschlossen und mit Platz 7 in Aragón sein bestes Saisonergebnis erreicht.
Vor dem Saisonstart 2020 posaunte er: «Dass wir nun über den Titel reden, bedeutet nur, dass Aprilia in letzter Zeit Fortschritte verbuchen konnte, genauso wie ich selbst auch.» Er räumt aber vor dem Jerez-GP im Juli ein: «Natürlich wird es keine Spazierfahrt, wenn man die japanischen Hersteller oder Weltmeister Marc Márquez schlagen will. Aber wenn Aprilia so weitermacht, könnte unser Team die große Überraschung der nächsten beiden Jahre werden.»
Aber es trat bald wieder Ernüchterung ein. Und wegen der seit 2015 fragwürdigen Personalpolitik bei Aprilia Racing, stand das Werksteam mit Aleix sozusagen als Ein-Mann-Team da.
Warum bis Oktober gehofft wurde, dass der bis 17. Juni 2021 gesperrte Iannone womöglich schon im August wieder fahren könne, weiß niemand.
Dass dann die Berufungsverhandlung beim Internationalen Sportgerichtshof TAS von Aprilia und Iannone dilettantisch vorbereitet war, lässt sich nicht bestreiten. Sonst wäre die Sperre nicht auf unfassbare vier Jahre verlängert worden.
Um Geld zu sparen, wurde dann für 2020 Testfahrer Bradley Smith statt Iannone zum Stammfahrer befördert, Superbike-Spezialist Lorenzo Savadori wurde als neuer Testfahrer verpflichtet.
Die RS-GP20 wurde zu spät fertig, in Sepang im Februar konnte kaum gefahren werden, die neuen Motoren mit den 90-Grad-V4-Motoren waren schwachbrüstig und trotzdem nicht standfest.
Deshalb verlangte Aprilia dann hartnäckig als einziger Hersteller eine Verlängerung der Entwicklungszeit bis 28. Juni. KTM und alle anderen Werke hatten sich auf den Katar-GP-Termin in der ersten März-Woche geeinigt.
Aprilia Racing ging also mit dem kleinsten Budget, mit unerprobten Motoren und nur einem Topfahrer in die Saison.
Denn es stellte sich heraus, dass Smith die Umstellung vom Testfahrer zum Rennfahrer nicht gelang. «Im Vorjahr befand sich Bradley bei seinen Wildcard-Einsätzen im ‚test rider mode‘. Wir sind aber zuversichtlich, dass er sich als Stammfahrer steigern wird, wenn er wieder mehr Renneinsätze abwickeln kann», meinte Aprilia-Renndirektor Massimo Rivola vor dem Saisonstart. «Als Rennfahrer muss man wieder einen Schalter im Hirn umlegen. Ich erwarte, dass Bradley diesen Schalter findet und konkurrenzfähig sein wird.»
Doch der Brite fand den Schalter nicht. Und weil er in zwölf Rennen nur zwölf Punkte sammelte und dann über das Material lästerte wurde für die letzten drei Rennen Savadori auf der Aprilia gesetzt. Seine glanzvolle Ausbeute: null Punkte.
Aprilia absolvierte 2020 die sechste MotoGP-Saison seit der Rückkehr 2015. Die Entscheidungen über die Fahrerwahl blieb für die generischen Teams immer rätselhaft. Während alle anderen Hersteller spätestens nach dem ersten Titelgewinn von Marc Márquez 2015 auf die Jugend setzten, Honda auf Miller, Suzuki auf Viñales und später auf Rins und Mir, KTM auf Oliveira und Binder, erlebte Aprilia einen Fahrerflop nach dem anderen. 2017 mit Sam Lowes, 2018 mit Scott Redding, 2019 mit dem abgetakelten Iannone, der über den 16. WM-Rang mit 43 Punkten aus 19 Rennen nicht hinauskam.
Auch 2020 war Aprilia das einzige Werksteam, bei dem beide Fahrer (Espargaró und Smith) mehr als 30 Jahre alt waren.
Wer hoffte, Aprilia werde die Chance nutzen und für 2021 einen verfügbaren Topfahrer wie Danilo Petrucci, Andrea Dovizioso, Cal Crutchlow oder Chaz Davies verpflichten oder zumindest ein Talent wie Marco Bezzecchi, Fabio Di Giannantonio oder Joe Roberts, täuschte sich gewaltig. Nicht einmal der Testfahrer-Deal mit Jorge Lorenzo («Aprilia ist mein Plan B nach Yamaha») kam zustande.
Das Werk aus Noale ist keine begehrenswerte Adresse mehr im MotoGP-Paddock.
Denn Aprilia hat zwar in der Vergangenheit 54 Weltmeistertitel gewonnen, seit 2014 aber keinen mehr, und dieser kann getrost noch als Verdienst von Gigi Dall’Igna bezeichnet werden.
Seit Beginn der Ära von Nachfolger Romano Albesiano geht‘s bei Aprilia mit den Erfolgen bergab.
Trotzdem scheint der inzwischen zum Technical Director degradierte Albesiano bei Piaggio-Group-Chef Roberto Colaninno Narrenfreiheit zu genießen.
Ein Blick auf die Statistik zeigt: Álvaro Bautista heimste mit der Aprilia 2016 zehn Top-Ten-Ergebnisse ein, Aleix Espargaró in den letzten drei Jahren zwölf!
Rivola führte in Portimão viele Gespräche mit Fahrer-Managern und erklärte: «Es ist erfreulich, dass es so viel Bewegung auf dem Fahrermarkt gibt. Wir werden uns bemühen, die bestmögliche Entscheidung für das Team zu treffen.»
Aprilia Racing hat in der Konstrukteurs-WM den sechsten und letzten Platz abonniert und sicherte sich auch in der Team-WM den ehrenvollen elften Platz und somit die rote Laterne.
Diese glorreiche Performance darf offenbar nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Deshalb wird an der Fahrerpaarung nicht viel geändert. Die merkwürdige Entscheidung: Die chronisch erfolglosen Savadori und Smith sollen jetzt bei den Wintertests um das Ticket für den zweiten Sitz im Werksteam kämpfen.
Savadori hat sich beim ersten Valencia-GP nachhaltig für diese Aufgabe empfohlen.
Denn dort sprang der 27-jährige Routinier, den in der SBK keiner mehr haben will, erstmals für Smith ein und war nach dem ersten Tag 1,5 sec langsamer als Valentino Rossi-Ersatz und MotoGP-Greenhorn Garrett Gerloff.
Der Amerikaner hatte aber die Valencia-Piste im Gegensatz zu Savadori (er kannte auch Portimão aus der Superbike-WM und vom zweitägigen Oktober-Test) vorher noch nie gesehen und war bis zu diesem Tag nie in die Nähe einer MotoGP-Maschine gekommen.
Ergebnisse MotoGP Portimao, 22.11.
1. Miguel Oliveira, KTM, 25 Runden in 41:48,163 min
2. Jack Miller, Ducati, +3,193 sec
3. Franco Morbidelli, Yamaha, +3,298
4. Pol Espargaró, KTM, +12,626
5. Takaaki Nakagami, Honda, +13,318
6. Andrea Dovizioso, Ducati, +15,578
7. Stefan Bradl, Honda, +15,738
8. Aleix Espargaró, Aprilia, +16,034
9. Alex Márquez, Honda, +18,325
10. Johann Zarco, Ducati, +18,596
11. Maverick Viñales, Yamaha, +18,685
12. Valentino Rossi, Yamaha, +18,946
13. Cal Crutchlow, Honda, +19,159
14. Fabio Quartararo, Yamaha, +24,376
15. Alex Rins, Suzuki, +27,776
16. Danilo Petrucci, Ducati, +34,266
17. Mika Kallio, KTM, +48,410
18. Tito Rabat, Ducati, +48,411
– Lorenzo Savadori, Aprilia
– Joan Mir, Suzuki
– Brad Binder, KTM
– Pecco Bagnaia, Ducati
Endstand Fahrer-WM nach 14 Rennen:
1. Mir 171 Punkte. 2. Morbidelli 158. 3. Rins 139. 4. Dovizioso 135. 5. Pol Espargaró 135. 6. Viñales 132. 7. Miller 132. 8. Quartararo 127. 9. Oliveira 125. 10. Nakagami 116. 11. Binder 87. 12. Petrucci 78. 13. Zarco 77. 14. Alex Márquez 74. 15. Rossi 66. 16. Bagnaia 47. 17. Aleix Espargaró 42. 18. Crutchlow 32. 19. Bradl 27. 20. Lecuona 27. 21. Smith 12. 22. Rabat 10. 23. Pirro 4.
Endstand Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 221 Punkte. 2. Yamaha 204. 3. Suzuki 202, 4. KTM 200. 5. Honda 144. 6. Aprilia 51.
Team-WM nach 14 Rennen:
1. Team Suzuki Ecstar 310 Punkte. 2. Petronas Yamaha SRT 248. 3. Red Bull KTM Factory Racing 222. 4. Ducati Team 213. 5. Pramac Racing 163. 6. Monster Energy Yamaha MotoGP 178. 7. Red Bull KTM Tech3, 152. 8 LCR Honda 148. 9. Repsol Honda Team 101. 10. Esponsorama Racing 87. 11. Aprilia Racing Team Gresini 54.
Alle MotoGP-Sieger 2020
Jerez-1: Fabio Quartararo (Petronas Yamaha)
Jerez-2: Fabio Quartararo (Petronas Yamaha)
Brünn: Brad Binder (Red Bull KTM)
Spielberg-1: Andrea Dovizioso (Ducati Team)
Spielberg-2: Miguel Oliveira (Red Bull KTM Tech 3)
Misano-1: Franco Morbidelli (Petronas Yamaha)
Misano-2: Maverick Viñales (Monster Yamaha)
Catalunya: Fabio Quartararo (Petronas Yamaha)
Le Mans: Danilo Petrucci (Ducati Team)
Aragón-1: Alex Rins (Suzuki Ecstar)
Aragón-2: Franco Morbidelli (Petronas Yamaha)
Valencia-1: Joan Mir (Suzuki Ecstar)
Valencia-2: Franco Morbidelli (Petronas Yamaha)
Portimão: Miguel Oliveira (Red Bull KTM Tech3)