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Márquez: Unnötig schnell oder unnötig gefährlich?

Kolumne von Michael Scott
Marc Márquez attackierte in Mandalika bis zum vierten Sturz

Marc Márquez attackierte in Mandalika bis zum vierten Sturz

SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott macht sich Gedanken zum großen Thema der Woche: MotoGP-Superstar Marc Márquez (Honda) erlitt nach seinem Horror-Highsider in Mandalika einen Rückfall.

«Je größer sie sind, umso härter fallen sie.» Diese Weisheit kommt zwar aus dem Boxsport, lässt sich aber vielseitig anwenden. MotoGP-Ass Marc Márquez sorgte nun für eine weitere Wendung: «Je schneller sie sind, umso öfter fallen sie.»

Wenn man so oft stürzt, wie es der Repsol-Honda-Star tut, kann man das Crashen schon mal auf die leichte Schulter nehmen. Er scherzte beim ersten Grand Prix in Katar sogar noch, dass er offensichtlich noch nicht in bester Verfassung ist, «weil ich nur einmal gestürzt bin.»

Sein fünfter Crash der neuen Saison, am Sonntagmorgen des Indonesien-GP, war alles andere als lustig. Ein sehr schneller und sehr brutaler Highsider nahm Marc sichtlich mit und sorgte schließlich dafür, dass ihm von den Ärzten Startverbot erteilt wurde.

Es sollte aber noch schlimmer kommen. Denn es blieb nicht bei der am Sonntag diagnostizierten Gehirnerschütterung. Auf dem Rückflug nach Spanien traten Probleme mit der Sicht auf – die Diplopie, die ihm schon einen beschwerlichen Winter beschert hatte, war zurück.

Dasselbe Problem hätte seiner Karriere schon zu Moto2-Zeiten 2011 beinahe ein Ende gesetzt. Die Gefahr ist noch nicht gebannt

Warum aber stürzt so ein genialer Fahrer so oft? Fünf Mal an den ersten zwei Rennwochenenden!

Über das Limit hinaus zu pushen, war immer schon seine Art, um herauszufinden, wo exakt dieses Limit liegt – und der Spanier macht es besser als jeder andere in der Geschichte. Sogar nachdem er die gesamte Saison 2020 und zum Teil auch 2021 wegen seiner schwerwiegenden Oberarmverletzung von Jerez verpasst hatte, machte er unbeirrt weiter. Schließlich war es in mehr als zehn WM-Jahren und nach unzähligen Stürzen sein erster großer Knochenbruch.

Seine Strategie veränderte der Honda-Start trotzdem nicht. Im Vorjahr verpasste Marc vier der 18 Grands Prix und war mit 22 Stürzen dennoch Zweiter in der Rangliste der Sturzkönige.

Mit seinen fünf Stürzen führt der 59-fache MotoGP-Sieger die bisherige Crash-Statistik 2022 an. Und der Warm-up-Abflug von Mandalika war einer von der echten Highspeed-Herz-in-die-Hose-Sorte, der Erinnerungen an die altmodischen Highsider der goldenen 500-ccm-Zweitakt-Ära weckte.

Ein weiterer sturköpfiger Crash, eine weiteres Kapitel ignorierter Warnungen bringt uns zur Frage: Wie lange kann es so weitergehen? Wann wird seine innere Stimme einen anderen Ton anschlagen?

Vor vielen Jahren wurde ich fast schon zerrissen, weil ich mir erlaubte die Vermutung in den Raum zu stellen, dass Mick Doohans karriereendender Crash im Training von Jerez eine Folge von zu hartem Pushen bei zweifelhaften Bedingungen war – zu einem Zeitpunkt, an dem es nichts zu gewinnen gab. Denn das Wetter hätte sich am folgenden Tag verbessern sollen, folglich hatten die Rundenzeiten für das Qualifying keine Bedeutung.

Ich schrieb, vielleicht ohne groß zu überlegen, dass er «unnötig schnell» war. Er fühlte sich angegriffen – und seither verfolgt mich dieser Satz.

Dieselbe Feststellung trifft auch auf vergangenen Sonntag zu. Zwar wusste am Morgen noch keiner, dass das Rennen am Nachmittag sowieso im Nassen stattfinden würde, was das trockene Warm-up irrelevant machte. Trotzdem war es in jeglicher Hinsicht unsinnig, am Sonntagmorgen um die Ehre des Stärkeren zu kämpfen. Marc lag bereits auf Platz 2 des Klassements. Er stürzte beim Versuch, sich zu verbessern. Und das an einem Wochenende, am dem klar war, dass mit der harten Reifenkarkasse von Michelin alle Honda-Piloten derart benachteiligt waren, dass solche Heldentaten diese Tatsache bestenfalls etwas mildern konnten. Wenn überhaupt.

Aber für Márquez (und davor Doohan) existiert das Konzept «unnötig schnell» einfach nicht. Man denke nur an ein bekanntes Zitat des Australiers, als er auf seine Dominanz hingewiesen wurde: «Was wollt ihr von mir? Soll ich langsamer fahren?»

Dasselbe gilt für Marc Márquez. Unabhängig von der Verletzungsmisere der vergangenen zwei Jahre ist er nicht gewillt, eine Grenze zu akzeptieren, wenn es um seinen nicht aufzuhaltenden Drang geht, der Schnellste zu sein. Selbst in einem Warm-up.

Deshalb bewundern wir die Stars. Gleichzeitig will sie aber auch keiner bemitleiden müssen.

Im Kontrast zu Márquez steht Valentino Rossi, ebenfalls übermäßig begabt, der allerdings seine Karriere mit der gegensätzlichen Herangehensweise immer weiter in die Länge zog – indem er das Risiko minimierte.

Vor einigen Jahren überstand Marc einen außergewöhnlichen Schreckmoment in Brünn schadlos. Die Front rutschte weg, das Motorrad lag schon auf dem Boden, aber der Fahrer stellte es mit Knie und Ellbogen wieder auf zwei Räder. Seine Technik, zu stürzen ohne zu stürzen, wurde dank der atemberaubenden Saves zu seinem Wiedererkennungsmerkmal.

An jenem Tag befragte ich Rossi, ob er dasselbe schaffen könnte. Er sprach zunächst analytisch über die unterschiedliche Körperhaltung und Fahrtechnik von Marc, um dann lachend zu ergänzen: «Ich glaube aber, es ist besser, erst gar nicht die Kontrolle über die Front zu verlieren.»

Hoffentlich kommt Marc noch einmal zurück. Hoffentlich wird die Doppelsichtigkeit wieder verschwinden.

Wird er seine «Alles oder nichts»-Herangehensweise etwas einschränken, um seine Karriere zu verlängern? Fast sicher nicht. Wir können nur die Daumen drücken, dass das Glück weiter auf seiner Seite ist.

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Von Ivo Schützbach
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