KTM mit Karbon statt Stahl: Wo bleibt die Religion?
Die österreichische Pierer Mobility AG hat in der Moto3-Weltmeisterschaft seit der Einführung dieser 250-ccm-Viertakt-Einzylinderklasse vor elf Jahren mit Sandro Cortese (KTM/2012), Maverick Viñales (KTM/2013), Brad Binder (KTM/2016), Albert Arenas (KTM/2020), Pedro Acosta (KTM/2021) und Izan Guevarra (GASGAS/2022) gegen Honda schon fünf Weltmeistertitel gewonnen.
Dazu haben die Oberösterreicher am 8. März 2020 in Katar mit Arenas bereits den 100. GP-Sieg im Straßenrennsport gefeiert. Nur 22 dieser GP-Erfolge kamen in der Zweitakt-Ära (125 und 250 ccm) mit einem Aluminium-Chassis zustande. Auch in der Moto2-Klasse sorgte KTM mit dem Gitterrohrstahlrahmen ab 2017 für Aufsehen: 2017 wurde Miguel Oliveira Vizeweltmeister, 2019 verlor Brad Binder die WM gegen Alex Márquez nur um drei Punkte.
Es gab also bei KTM keine langen Diskussionen, als sich das Werk aus Mattighofen mit der Rennabteilung in Munderfing für 2017 zum Einstieg in die MotoGP-WM entschied. Die RC16-Werksmaschinen wurden nicht nur mit der hauseigenen WP Suspension bestückt (alle anderen Werke verwenden Öhlins), sondern auch über die Wahl des Rahmenmaterials wurde nicht lange debattiert.
Denn der KTM-Vorstandvorsitzende Stefan Pierer bezeichnet das Stahlrahmenkonzept als «Religion», es sei Bestandteil der KTM-DNA, denn alle Serien-Bikes aus Mattighofen werden mit Stahlrahmen verkauft. «Bei der Stahlrahmen-Technologie sind wir Weltmarktführer», erklärte Pierer schon 2018 im Gespräch mit SPEEDWEEK.com unmissverständlich.
Die aus dem Offroadsport kommende Marke KTM wurde wegen dieses Konzepts anfangs von allen Konkurrenten, Experten und Topfahrern belächelt. Motto: Dieses Konzept kann im Motocross reichen und in der Moto3, in der MotoGP-WM wird es nicht zum Ziel führen, meinten die Skeptiker und Besserwisser.
Als Red Bull-KTM-Werksfahrer Pol Espargaró bereits 2018 in der zweiten MotoGP-Saison von KTM beim Valencia-GP auf Platz 3 brauste und sogar Marc Márquez respektlos auf und davon fuhr, wurden die Stimmen leiser.
Inzwischen hat KTM in der Konstrukteurs-WM die zweite Position hinter Ducati inne, und das nicht zum ersten Mal. Dazu haben Binder und Oliveira auf der KTM-RC16 mit dem KTM-Gitterrohrstahlrahmen bereits sieben MotoGP-Siege gefeiert. Aktuell liegen Brad Binder und Miller in der WM auf den respektablen Plätzen 4 und 9.
Misano: KTM überrumpelte die Gegner
Aber beim Misano-GP (8. bis 10. September) überrumpelte KTM die MotoGP-Konkurrenz mit einem neuen Karbon-Chassis, das von Testfahrer Dani Pedrosa dank einer Wildcard am Samstag im Sprint und am Sonntag auf dem famosen vierten Platz gesteuert wurde.
Die Fachwelt staunte nicht nur über die Fahrkunst des inzwischen 38 Jahre alten Pedrosa, sondern auch über das bisher bei KTM verpönte Rahmenmaterial.
Brad Binder und Jack Miller verglichen am Freitag in Japan (29.9.) erstmals an einem GP-Wochenende ihre bisherigen Stahlchassis mit je einem Karbon-Bike. Am Samstag hatten sie nur noch je zwei Karbon-Modelle in der Box stehen.
Die Motegi-Bilanz von Red Bull-KTM: Bestzeit für Binder am Freitag, dazu beide Fahrer direkt im Q2, nachher Startplatz 3 für Miller und Startlatz 5 für Binder. Im Sprint glänzte das Red Bull-KTM-Duo mit den Plätzen 2 (Binder) und 4 (Miller). Am Sonntag rettete Miller die KTM-Ehre mit Platz 6, Binder stürzte.
Brad Binder: «Mit dem Karbonrahmen wurde die Traktion verbessert. Das war 2023 bisher eine Schwachstelle seit dem Saisonbeginn.»
Und niemand stellte bisher die Frage: Was ist aus der bisherigen KTM-Religion aus Stahl geworden? Warum wurden alle stählernen Prinzipien über Bord geworden?
Ing. Hubert Trunkenpolz, Vorstandsmitglied der Pierer Mobility AG, hielt im Interview mit SPEEDWEEK.com fest: «Das ist ganz einfach erklärt! Kein anderer Motorrad-Hersteller hat soviel Karbon-Kompetenz wie die Pierer-Gruppe – siehe X-Bow, Freeride und FELT Bicycles. Karbon ist die logische Weiterentwicklung des Stahlrahmens, was nicht heisst, dass wir den Gitterrohrrahmen bei den Serienbikes aufgeben. Aber im Motorsport ist das Karbon-Chassis die Zukunft – und wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Wir sind gegenüber allen zielführenden Ideen aufgeschlossen. Bei uns wurde sogar vor nicht allzu langer Zeit über ein Alu-Chassis laut nachgedacht. Stefan Pierer und ich haben dann in Absprache mit Pit Beirer diese Pläne sofort abgedreht und stattdessen vor einem Jahr die Entwicklung des Karbon-Chassis freigegeben! Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein…»
«Wichtig ist für uns, dass alles bei KTM 'in-house' entwickelt und nur die Produktion auf verschiedene Karbon-Hersteller verteilt wird», ergänzte Trunkenpolz. «Die Karbon-Entwicklung findet immer bei KTM Technologies in Anif bei Salzburg statt.»
KTM: Karbon-Kompetetenz auch beim X-Box-Sportwagen
Schon die KTM-Karbonschwingen für die RC16 wurden vor vier Jahren bei KTM Technologies in Anif entwickelt. «Die Herstellung des Karbon-Rahmens wurde zu Bräutigam in Deutschland 'outgesourced'», wie Hubert Trunkenpolz bestätigt.
Der KTM-Sportwagen X-BOW GT-XR mit dem legendären, turboaufgeladenen 2,5-Liter Fünfzylinder-Motor der Audi AG mit satten 500 PS wird bei KTM Sportcar in Graz gebaut und mit einem Karbon-Monocoque der CarboTech-Nachfolgefirma Mubea in Salzburg ausgestattet. Die Firma Brebec in der Slowakei stülpt die Aussenhaut drüber.
«Die Technik entwickelt sich weiter», gibt Hubert Trunkenpolz zu bedenken, dessen Anfangsbuchstabe T im Familiennamen auf das T von KTM (das stand ursprünglich für: Kronreif & Trunkenpolz, Mattighofen) hinweist.
MotoGP-Ergebnisse GP-Rennen, Motegi (1.10.):
1. Martin, Ducati, 12 Rdn in 24:06,314 min
2. Bagnaia, Ducati, + 1,413 sec
3. Marc Márquez, Honda, + 2,013
4. Bezzecchi, Ducati, + 2,943
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 3,181
6. Miller, KTM, + 6,837
7. Augusto Fernández, KTM, + 7,587
8. Di Giannantonio, Ducati, + 8,602
9. Raúl Fernández, Aprilia, + 11,229
10. Quartararo, Yamaha, + 12,244
11. Nakagami, Honda, + 14,714
12. Mir, Honda, + 14,924
13. Crutchlow, Yamaha, + 16,057
14. Bradl, Honda, + 17,253
15. Pol Espargaró, KTM, + 24,921
16. Pirro, Ducati, + 33,962
17. Morbidelli, Yamaha, + 1:14,934 min
18. Oliveira, Aprilia, 1 Runde zurück
19. Viñales, Aprilia, 1 Runde zurück
– Zarco, Ducati, nach Sturz nicht klassifiziert
– Binder, KTM, 7 Runden zurück
MotoGP-Ergebnisse Sprint, Motegi (30.9.):
1. Martin, Ducati, 12 Rdn in 21:00,734 min
2. Binder, KTM, + 1,390 sec
3. Bagnaia, Ducati, + 5,276
4. Miller, KTM, + 6,194
5. Zarco, Ducati, + 6,315
6. Bezzecchi, Ducati, + 8,919
7. Marc Márquez, Honda, + 9,298
8. Di Giannantonio, Ducati, + 10,189
9. Viñales, Aprilia, + 12,404
10. Raúl Fernández, Aprilia, + 15,366
11. Pol Espargaró, KTM, + 15,473
12. Augusto Fernández, KTM, + 15,592
13. Mir, Honda, + 17,052
14. Oliveira, Aprilia, + 18,092
15. Quartararo, Yamaha, + 19,333
16. Morbidelli, Yamaha, + 19,645
17. Nakagami, Honda, + 21,862
18. Crutchlow, Yamaha, + 26,026
19. Pirro, Ducati, + 27,911
20. Bradl, Honda, + 28,178
– Aleix Espargaró, Aprilia, 4 Runden zurück
WM-Stand nach 28 von 40 Rennen:
1. Bagnaia, 319 Punkte. 2. Martin 316. 3. Bezzecchi 265. 4. Binder 201. 5. Aleix Espargaró 171. 6. Zarco 162. 6. 7. Viñales 139. 8. Marini 135. 9. Miller 125. 10. Quartararo 111. 11. Alex Márquez 108. 12. Morbidelli 77. 13. Oliveira 69. 14. Augusto Fernández 67. 15. Marc Márquez 64. 16. Di Giannantonio 52. 17. Rins 47. 18. Nakagami 45. 19. Raúl Fernández 36. 20. Pedrosa 32. 21. Bastianini 25. 22. Mir 20. 23. Pol Espargaró 12. 24. Savadori 9. 25. Folger 9. 26. Bradl 8. 27. Pirro 5. 28. Petrucci 5. 29. Crutchlow 3.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 490 Punkte. 2. KTM 272. 3. Aprilia 240. 4. Honda 142. 5. Yamaha 131.
Team-WM:
1. Prima Pramac Racing, 478 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 400. 3. Ducati Lenovo Team 354. 4. Red Bull KTM Factory Racing 326. 5. Aprilia Racing 310. 6. Monster Energy Yamaha 188. 7. Gresini Racing 161. 8. CryptoDATA RNF 109. 9. LCR Honda 98. 10. GASGAS Factory Racing Tech3, 88. 11. Repsol Honda 84.