MotoGP: Das Saisonfinale ist in Barcelona

Die Wahrheit über den Argentinien-Grand-Prix

Kolumne von Ivo Schützbach
Die anfänglich harsche Kritik am MotoGP-Rennen in Termas de Rio Hondo ist überwiegender Zustimmung gewichen. Alle sind von der grenzenlosen Begeisterung der Argentinier angetan.

«Das ist dritte Welt hier», schimpft ein Teamchef, als er mir auf der Treppe zum Media Center entgegenkommt. Dritte Welt? Nein, die sieht anders aus. Ich war dort. Ich nenne das südamerikanischer Flair. Wie in Brasilien oder Mexiko (ja, ich weiß, wo Mexiko liegt). Man könnte es auch überschaubares Chaos nennen. Oder Lockerheit. Der Südamerikaner nimmt es mit Verkehrsegeln, einspurigen Straßen, Pünktlichkeit oder Genauigkeit halt nicht so eng wie ein penibler Deutscher oder Schweizer.

Dafür werden einem hier Fleischstücke serviert, so groß, dass sie zuhause eine Familie ernähren würden. Und Bier in Liter-Flaschen. Wer ein kleines bestellt, wir ungläubig angesehen. Oder wer Vorfahrt gewährt. Wer macht auch so was?

Die ganze Stadt ist eine Party

Termas de Rio Hondo liegt gute 1000 Auto-Kilometer von der Hauptstadt Buenos Aires entfernt. Nein, nicht in der Pampa, aber im Nirgendwo. Die Kleinstadt in der Provinz Santiago del Estero hat um die 30.000 Einwohner. Dieses Wochenende sind es sicher 100.000. Wer es nicht gesehen hat, kann sich nicht vorstellen, was südamerikanisches Temperament bedeutet.

Die ganze Stadt ist eine Party, hier wird MotoGP gelebt, gefeiert, getrunken und getanzt. Bis in den Morgen hinein. Selber schuld, wer in seinem völlig überteuerten Hotel zu schlafen versucht. Mein Hotelier versichert, der Staat würde ihm die Preise diktieren. So würde ich mich auch herausreden – falls das nicht stimmt.

Abzocke wird dieser Tage groß geschrieben. Ein angereister Gaucho hat mir erzählt, das hier wäre eine der ärmsten Gegenden Argentiniens. Zumindest an diesem Wochenende ist es eine der teuersten. Nirgends auf der Welt hatte ich einen so teuren Mietwagen, der gleichzeitig so schlecht war. Der Wert des Autos entspricht nicht einmal der Hälfte des Mietpreises für fünf Tage. Kein Wunder, sind hier auch noch Eselkarren unterwegs.

Und jede Menge dicke Motorräder. Vielleicht stimmt es ja doch, dass Südamerika ein riesiger Wachstumsmarkt für die Motorradindustrie ist. Hier fahren auf jeden Fall jede Menge große BMW und Supersport-Maschinen herum. Helmpflicht gibt es keine, T-Shirt und Flip-Flops sind State of the Art. Der uncoole Angststreifen auf dem Reifen passt da nicht ins Bild, lässt sich aber jederzeit den schlechten Straßen zuschreiben. Und wer sich nicht traut auf der Straße ordentlich am Kabel zu ziehen, der macht es nachts im Leerlauf vor der Eisdiele, bis sich der Drehzahlbegrenzer verschluckt und der Motor seine Innereien in den Krümmer kotzt.

Viel Polizei-Präsenz

Allgemein lässt die Infrastruktur zu wünschen übrig, doch alle sind sichtlich bemüht. Sogar die auffällig präsente, aber nie aufdringliche Polizei und Security – und selbst das Militär.

Imcmorgendlichen Verkehrschaos muss man sich eben selber helfen, aus einer Spur werden zwei, mit dem Grünstreifen drei. Und dass eine ZX-10R geländefähig ist, habe ich auch gelernt. Ich frage mich in meiner Naivität nur, wie es die ganzen Menschen nach durchzechter Nacht bereits so früh wieder auf die Beine schaffen? Sie waren wohl nie im Bett.

Fahrer werden vergöttert

Valentino Rossi ist auch in diesem Teil der Welt der beliebteste Fahrer – mit Abstand. Als Vale in der Stadt beim Abendessen war, wählte er unvorsichtiger Weise ein Restaurant mit Panorama-Scheiben. Erst einmal entdeckt, dauerte es nur Minuten, bis die Wirtschaft von Fans belagert war. Der Dottore musste von der Polizei ins Hotel eskortiert werden, er würde dort sonst heute noch Autogramme schreiben.

Eine riesige Tribüne ist mit VR46-Fahnen geschmückt. Der Merchandising-Verkauf floriert, jeder will sich im Kleidchen seines Helden zeigen. Ich kann mir nur ausmalen, was abginge, wenn ein Sebastian Porto in seinen besten Jahren hier fahren und gewinnen würde – die Fans drehen jetzt schon durch.

Außer auf dem Sachsenring, in Jerez und zu besten Valencia-Zeiten habe ich am Freitag noch nie so viele Leute auf der Rennstrecke gesehen. Offiziell fasst das Stadion 60.000 Zuschauer. Am Samstag wurde erzählt, es wären bereits 80.000 Tickets verkauft. Dieser Begeisterung kann man sich nicht entziehen. Dafür nimmt man auch südamerikanisches Flair in Kauf – und genießt es mit jedem Tag mehr.

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