Exklusiv: Honda & Yamaha schreiben Einheits-Software
Die drei «Gründungsmitglieder» der Hersteller-Vereinigung MSMA haben der Grand Prix Commission als oberstes Gremium der MotoGP-WM quasi ein Ultimatum gesetzt. «Wenn wir einstimmig Ideen vorbringen, wie wir als Hersteller die Einheits-Software für die MotoGP-Weltmeisterschaft 2016 verbessern können, dann muss das akzeptiert werden», lautet das Begehren der Werke.
Die von Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta angeführte Grand Prix Commission hat auf diesen Vorschlag eingewilligt, verlangt aber, dass die Interessen der neu eingestiegenen Werke Suzuki und Aprilia nicht massgeblich beeinträchtigt werden und auch sie zustimmen.
Eigentlich wollte sich die Dorna um ein konkurrenzfähiges «Electronic Control Unit» (ECU) kümmern und diese Motorsteuerung auch finanzieren, doch Zulieferer Magneti-Marelli hat in den letzten zwei Jahren bei der Entwicklung der ECU für die Open-Class-Teams nur bescheidene Fortschritte erzielt.
Die Dorna hat für die Entwicklung der Motorsteuerung mit Magneti Marelli eine gewisse Anzahl von Arbeitsstunden vereinbart, die längst überschritten wurde. Das heisst: Es wurden zusätzliche Kosten fällig.
Natürlich wurde inzwischen in der Grand Prix Commission die Frage erörtert, wer für die Weiterentwicklung der der ECU bezahlen wird, wenn Honda, Yamaha und Ducati Software-Updates an Magneti Marelli liefern.
Die drei Werke liessen durchblicken, dass sie notfalls selber für die Kosten aufkommen würden.
Zuletzt war zu hören, wegen anhaltender technischer Unzulänglichkeiten der aktuellen Einheits-ECU für die Open-Class-Teams sehen Honda und Yamaha ?gezwungen, gemeinsam eine Software zu schreiben und sie an Marelli zu liefern.
Das hat mehrere Gründe: Erstens sind die Marelli-Experten auch nach zwei Jahren nicht annähernd in der Lage, eine klaglos funktionierende Traction-Control zu programmieren. Zweitens wird den Marelli-Technikern mit Marco Venturi an der Spitze nachgesagt, sie seien den Elektronikern der Teams fachlich nicht gewachsen. Und drittens geht es um die Sicherheit der Fahrer.
Die Techniker der Open-Class-Teams leiden seit zwei Jahren unter der ?vorsintflutlichen ECU von Magneti Marelli. Sie wurde zum Beispiel bei Forward erstmals in der Saison 2013 verwendet, damals auf der FTR-Kawasaki mit Colin Edwards. Ich erinnere mich an die ratlosen Gesichter der Forward-Mannschaft und den Ärger des Texaners.
Auch Avintia-Kawasaki beklagte damals, Magneti Marelli sei quasi mit einem leeren Computer zum ersten Test nach Sepang gekommen. Die Avintia-Truppe mit Héctor Barbera kam kaum zum Fahren, Colin Edwards ging es nicht anders. Die Open-Fahrer mussten anfangs auf sämtliche elektronische Fahrhilfen verzichten. Als ehemaliger Yamaha-Werksfahrer fühlte sich Colin Edwards in die digitale Steinzeit versetzt.
2016: Die Chancengleichheit steigt
Sergio Verbena (Athina Forward Racing) zählt zu jenen Open-Class-Crew-Chiefs, die sich auf die Saison 2016 freuen, wenn alle Teams und Fahrer mit einer einheitlichen Elektronik-Einheit unterwegs sein werden.
«Denn die Elektronik macht heute bei den Rundenzeiten die grössten Unterschiede aus», ist Verbena überzeugt. «Stefan Bradl bremst gemäss unseren Daten härter als Lorenzo, aber sobald die Werksfahrer Gas geben, stellt ihnen die Factory-Software 100 Prozent der Power zur Verfügung, die Open-Class-ECU nur 80 Prozent... Diese Unterschiede werden wir 2016 nicht mehr erleben.»
Momentan verfügt die Open-Fahrer von Honda und Yamaha zwar über den um eine Stufe weicheren Hinterreifen, aber sie haben kein Seamless-Getriebe und müsseen sich mit dem Electronic Control Unit von Marelli herumschlagen, dessen Software nachgesagt wird, sie hinke drei Generationen hinter der Software von Honda und Yamaha hinterher.
Zur Erinnerung: Jetzt fahren alle Teams mit der Hardware von Marelli, die Factory-Teams von Repsol-Honda, Movistar-Yamaha, Tech3-Yamaha, LCR-Honda Marc VDS Honda, Ducati Corse, Pramac Ducati Ecstar-Suzuki und Aprilia Gresini Racing benützen ihre eigene Software, während die echten Open-Class-Teams wie Athina Forward Yamaha, Avintia Ducati, LCR-Honda (Miller), AB Motoracing, Power Electronics Aspar die umstrittene Software von Magneti Marelli verwenden müssen.
Die Open-Teams von Yamaha und Honda wundern sich auch, warum Avintia Ducati beim Open-Bike das Seamless-Getriebe benützen kann, die Fahrer von Honda und Yamaha hingegen nicht.
Der Italiener Corrado Cecchinelli, ehemals bei Ducati, gilt als glühender Fürsprecher der Marelli-ECU. Manche Teammitglieder werfen ihm elektronische Ahnungslosigkeit und beargwöhnen seine ganz offensichtliche Nähe zu Ducati. Als «Director of Technology» fungiert Cecchinelli als Berater der Dorna-Manager; er hat massgeblich am Zustandekommen des Marelli-Deals mitgewirkt.
Fahrer sind keine Software-Entwickler
Bei der Honda Racing Corporation wächst der Unmut gegen die Marelli-Software. Takeo Yokoyama ist Chief Engineer von HRC für die MotoGP-Klasse. Ihm widerstrebt es zutiefst, seine Werksfahrer 2016 mit dem Marelli-Zeug in die MotoGP-WM schicken.
Je näher der Tag der Einführung für die Einheits-Software auch für die Factory-Teams rückt, desto deutlicher dämmert den Japanern sowie Ducati-Erzfeind Aprilia, dass die langjährige Liaison zwischen Magneti Marelli und Ducati (die Roten arbeiten in der MotoGP seit dem Einstieg 2003 mit Marelli zusammen) gewisse Nachteile für die Rivalen Honda, Yamaha, Suzuki und Aprilia darstellen könnte, die bis 30. Juni 2015 noch ihre hauseigene Software entwickeln dürfen.
Da es auch um die Sicherheit der Fahrer geht, sollen jetzt Honda und Yamaha gemeinsam eine Motorsteuerung für 2016 entwickeln, Marelli soll ausgebootet werden.
«HRC wird die Marelli-Software für 2016 nicht akzeptieren», war in Austin zu hören.
Das heisst: Marelli wird ihre nicht zeitgemässe Open-Class-Firmware womöglich bald in den Mülleimer befördern müssen.
Ein hochrangiges MSMA-Mitglied erzählte uns: «Honda und Yamaha haben sich gegenseitig ihre Software gezeigt und alle Geheimnisse auf den Tisch gelegt.»
Das Ziel von Yamaha und Honda und letztlich auch Ducati ist es, für 2016 eine Software an Marelli zu liefern, die der aktuellen Factory-Software dieser erfolgreichen MotoGP-Hersteller in nichts nachsteht.
Die MotoGP-Werke haben null Interesse daran, ihre hochbezahlten Werksfahrer als Versuchskaninchen mit einer viel zu komplexen Marelli-Einheits-Firmware auf die Piste zu schicken und die Sicherheit ihrer Stars aufs Spiel zu setzen.
Fakt ist: Die Rennfahrer müssen sich beim Grand Prix auf die Rundenzeiten konzentrieren können. Marc Márquez, Valentino Rossi und Co. sind keine Software-Entwickler.