Jago Geerts: Wieder alles riskiert und alles verloren
Jago Geerts mit seinem Coach Steve Ramon vor dem WM-Finale in der Türkei
Jago Geerts war erneut die tragische Figur der Motocross-WM. Zum dritten Mal in Folge wurde er WM-Zweiter. Er war schon so oft so nah dran, aber noch nie so nah wie in diesem Jahr. Erneut hat der Belgier Nerven gezeigt. Erneut ist er gestürzt. Erneut hat er aufgeholt. Erneut hat er alles riskiert und erneut hat er alles verloren.
Als Tom Vialle den zum Greifen nahen WM-Titel mit seinem Crash im zweiten Lauf beinahe wegwarf, war es der Bruchteil einer Sekunde, der über Sieg oder Niederlage entschied. Hätte Geerts schneller reagiert und wäre er ausgewichen, wäre er Weltmeister gewesen. Aber hätte, wäre, wenn... Das Gas am Anschlag krachte er voll in die am Boden liegende KTM und flog sogar noch heftiger ab als Vialle selbst. Das war tragisch, bitter und in dem Moment sogar ein wenig ungerecht, denn Geerts hatte den Crash schließlich nicht verursacht, sondern Vialle.
Aber so ist das im Sport. Es geht nicht immer gerecht zu. Das musste übrigens auch Tom Vialle in dieser Saison erfahren, als er im zweiten Lauf des Deutschland Grand-Prix auf P2 liegend mit Motorschaden liegenblieb. In diesem Moment hat Vialle mindestens 22 Punkte liegengelassen, die Geerts gewonnen hat.
Solche Dramen blieben dem Belgier in diesem Jahr erspart. Er hatte am letzten Sonntag in Afyonkarahisar zweifellos Pech, aber im Laufe dieser Saison durchaus auch Glück – siehe 2. Lauf im Talkessel.
Sein Trainer, Ex-Weltmeister Steve Ramon, läuft vor jedem Rennen rund um die Strecke und studiert akribisch die Linien. Manchmal starrt er minutenlang auf Passagen und durchdenkt dabei vermutlich alle mögliche Szenarien und Strategien. Am Start zieht Geerts stoisch seine Konzentrations- und Atemübungen durch, während Vialle tiefenentspannt am Startgatter steht und scheinbar nur darauf wartet, dass das Gatter endlich fällt, weil er irgendwie Bock auf Motorradfahren hat. Das Umfeld von Geerts ist zweifellos hoch professionell, wirkt aber auch etwas verbissen und vom Ehrgeiz zerfressen. Das tut dem jungen Belgier allem Anschein nach nicht gut.
Jago Geerts ist ein extrem talentierter und zugleich extrem ehrgeiziger Fahrer. Hoffentlich schauen sich Ramon und der Rest seines Umfeldes auch einmal etwas von der Unbekümmertheit und Lockerheit eines Tom Vialle oder Tim Gajser ab. Aber Steve Ramon war in seiner aktiven Zeit auch nicht die personifizierte Lockerheit. Doch Leben ist Veränderung.
Fest steht: Ohne Geerts und das epische Duell des Saisonfinales wäre die WM 2022 vergleichsweise belanglos gewesen. Wo es Sieger gibt, gibt es immer auch Verlierer und ohne Verlierer gibt es keine Sieger – Binsenweisheit, aber wahr. Die Leistungen von Jago Geerts haben den größten Respekt verdient. Nächstes Jahr werden die Karten neu gemischt und wenn Jago Geerts die Freude am Motocrossfahren zurück gewinnt, stellen sich auch wieder die Erfolge ein. So wie es jetzt ist und in den letzten Jahren war, kann es für ihn auf Dauer eigentlich nicht weitergehen.
Ergebnis MX2 Afyonkarahisar:
1. Tom Vialle (F), KTM, 1-2
2. Jago Geerts (B), Yamaha, 2-3
3. Roan van de Moosdijk (NL), Husqvarna, 4-3
4. Kay de Wolf (NL), Husqvarna, 3-4
5. Simon Längenfelder (D), GASGAS, 5-5
6. Thibault Benistant (F), Yamaha, 10-6
7. Andrea Adamo (I), GASGAS, 8-7
8. Jan Pancar (SLO), KTM, 7-8
9. Kevin Horgmo (NOR), Kawasaki, 9-9
10. Liam Everts (B), KTM, 6-10
WM-Endstand nach WM-Runde 18 von 18:
1. Tom Vialle (F), KTM, 758
2. Jago Geerts (B), Yamaha, 754 (-4)
3. Simon Längenfelder (D), GASGAS, 596, (-162)
4. Kevin Horgmo (NOR), Kawasaki, 527, (-231)
5. Thibault Benistant (F), Yamaha, 510, (-248)
6. Kay de Wolf (NL), Husqvarna, 445, (-313)
7. Mikkel Haarup (DK), Kawasaki, 443, (-315)
8. Andrea Adamo (I), GASGAS, 437, (-321)
9. Stephen Rubini (F), Honda, 384, (-374)
10. Liam Everts (B), KTM, 310, (-448)