Analyse Uddevalla-GP: Das 35-Stunden-Rennen
Nach dem Schweden-GP steht Antonio Cairoli bei sechs GP-Siegen bei zehn Events in diesem Jahr. Diese sechs lassen sich ganz einfach mit zehn multiplizieren, dann hat man die 60 GP-Siege, die der Italiener nun in einer Dekade in der WM erreicht hat. Die Kulisse für seinen jüngsten Doppelsieg war Uddevalla, der Sieg hatte eine spezielle Resonanz, weil er letztes Jahr an selber Stätte einen spektakulären Doppel-Nuller einkassierte.
Die Geister von damals hat Cairoli mit der besten Form von Exorzismus vertrieben: Ein Holeshot, eine Flucht an der Spitze und dann ein paar Spielchen mit Teamkollege Ken de Dycker. Um das wohl beste Weekend von Cairoli in dieser Saison komplett zu machen, zog Titelrivale Gautier Paulin (Kawasaki) einen schwarzen Tag ein, der WM-Leader aus dem KTM-Werksteam konnte den Franzosen weitere 20 Punkte distanzieren. Nun besteht der Abstand schon aus 69 Zählern, das bedeutet schon fast einen Vorsprung von drei Laufsiegen bei noch 14 ausstehenden Starts.
Was noch? Oh ja, das verdrehte Knie aus Maggiora spielte bei Cairoli so gut wie keine Rolle. Dies obwohl der sechsfache Weltmeister erzählte, dass er die regelmässigen Treffen mit seinem Team zum Fussballspielen (nur ein kleines Beispiel, wie eingeschweisst die italienische Fraktion bei KTM ist) im Moment aus seiner Agendas streichen muss.
Enduro-Rennen am Samstag im Schlamm
Das schöne Frühsommer-Wetter war in Schweden noch nie zuverlässig für diesen Grand Prix, einer von nur drei Austragungsorten, die seit Beginn dieses Jahrhunderts ohne Unterbrechung im WM-Kalender dabei sind. Am Samstag strömte der Regen einige Male am Nachmittag heftig auf das Gelände und ruinierte die rutschige und ausgefahrene Strecke. Die Qualifikationsrennen erinnert mehr an Enduro, es war ungewohnt, die Motorräder vorsichtig um die Strecke gurgeln zu hören statt die gewohnte Vollgas-Aggression zu hören. Der Boden war so delikat, dass Monster-Energy-Yamaha-Pilot Steven Frossard – ein Fahrer, der in einem ganzen Jahr nur zwei GP gefahren ist – fähig war, die Prozession bis ins Ziel anzuführen und sich überraschend die Pole-Position zu sichern.
Als der Sonntag kam, hatten sich die Wolken gelichtet und der Schlamm war getrocknet, aber die zerfurchte und technische Unterlage war ein besonderes Fest für diejenigen, welche die Präzision im Motocross lieben. Das Überholen war naturgemäss ein Opfer der ausgehärteten Fahrspuren.
Die belgischen Streithähne
Das ersten MX1-Rennen fühlte sich wie 35 Stunden an und nicht wie 35 Minuten, weil alle Rundenzeiten fast gleich waren und die in Stein gemeisselte 3- bis 4-Sekunden-Abstände zwischen den vorderen Fahrern unverrückbar waren. Cairoli führte vor Honda-Pilot Max Nagl, Clément Desalle und de Dycker. Der Letztgenannte intensivierte seinen Streit mit seinem belgischen Landsmann Jeremy van Horebeek, was zu einer verbalen Schlammschlacht und zu hässlichen Blockpass-Szenen führte. Paulin lag noch weiter zurück, weil er das Vorderrad seiner Kawasaki aus der Kontrolle verloren hatte.
Zum Glück verhalf war im zweiten Lauf der Boden etwas aufgeweicht, so war mehr Kreativität möglich. Aber Nagl stürzte trotzdem zwei Mal und war jede Chance auf sein erstes Podest in Honda-Farben weg. Cairoli führte wieder, nahm sich eine Atempause und schaute sich Teamkollege de Dycker von hinten an. Aber der Weltmeister stellte fest, dass sich in Form von CLS-Kawasaki-Pilot Tommy Searle eine aggressive Kraft nähert, beendete die KTM-internen Spielchen und übernahm wieder die Kontrolle. Searle Kampf mit Desalle um Rang 3 war intensiv und sehenswert. Die Hitze des Gefechts war so gross, dass der Brite in den letzten Runden die gelben Flaggen beim Zielsprung nicht erkannte. Dass er den Sprung voll nahm, wurde nach dem Rennen bestraft. Seine hart erkämpfte dritte Position wurde in den 13. Rang umgewandelt, was den Zorn des Briten auf Twitter nach sich zog.
Tommy Searle: Harte Strafe, aber es gibt eine Vorgeschichte
Die Flaggen waren allerdings tatsächlich von der betreffenden Spurrinnne aus schwierig zu sehen (mindestens zwei andere MX1-Fahrer haben dies danach im Presseraum bestätigt), vor dem Anlauf zum Sprung gab es praktisch keine Möglichkeit, es zu erkennen. Searle kann sich also durchaus hart angefasst fühlen, aber bei einem vergleichbaren Zwischenfalls beim Thailand-GP wurde er bereits schon Mal verwarnt. Desalle wurde frustrierter Dritter im GP-Klassement und erhielt seine siebte Trophäe in diesem Jahr.
«Ich bin sehr glücklich. Letztes Jahr habe ich hier eines meiner schlechtesten Rennen erlebt, nun eines der besten», sagte Cairoli. «Es ist speziell, dass es der 60. GP-Sieg ist. Mein Knie war okay und ich hoffe, dass ich wieder das normale Training in dieser Woche aufnehmen kann.»