Exklusiv: Hubert Nagl spricht über den Zustand der WM
Steilauffahrten wie in Teutschenthal sind auf modernen Strecken rar geworden
Der Promoter der Motocross-WM, Youthstream, hat im provisorischen Kalender für 2016 die Veranstaltungen in Teutschenthal und Uddevalla mit dem Vermerk 'tbc' versehen (to be confirmed – noch zu bestätigen) und in Kegums Kritik an den Strecken in Teutschenthal und Uddevalla geäußert.
Wir wollten es genau wissen: Sind die 'Oldschool'-Strecken wie in Teutschenthal oder Uddevalla zu gefährlich? Hatten die Unfälle von Max Nagl, Jeffrey Herlings und Aleksandr Tonkov etwas mit der Strecke im Talkessel zu tun?
Wir fragten Denjenigen, der es wissen muss: Hubert Nagl, Ex-Motocrosser und langjähriger Teamchef der DMSB-Nationalmannschaft, der in Teutschenthal vor Ort erleben musste, wie sich die WM-Hoffnungen seines eigenen Sohns durch einen Unfall im Qualifikationsrennen pulverisierten.
Herr Nagl, Sie haben natürlich keine schönen Erinnerungen an den Deutschland-Grand-Prix. Wie schätzen Sie die Streckenverhältnisse im Talkessel ein?
Der Talkessel ist eine der schönsten Naturstrecken Europas, ausgestattet mit vielen Steilhängen und Sprüngen. Die Strecke ist besonders für die Fans sehr attraktiv, was die Zuschauerresonanz beweist. In den letzten Jahren wurde aber auch Vieles nach den Wünschen von Youthstream verändert: Die Startanlage wurde so verlegt, dass Youthstream ihre Skybox zentral platzieren kann, Rhythmus-Sektionen wurden auf Wunsch des Promoters eingebaut, ein neuer Step-Up-Sprung im Innenbereich der Strecke usw.. Die Strecke ist schneller geworden, aber im Vergleich zu den amerikanischen Strecken sind wir hier noch weit im grünen Bereich.
Auch Uddevalla (Schweden) wurde von Youthstream kritisiert.
Das kann ich auch nicht nachvollziehen. Uddevalla ist genau wie Teutschenthal eine herrliche Naturstrecke mit den Felsen ringsherum, die von den Zuschauern als Natur-Tribüne genutzt wird.
Es gab in diesem Jahr in Teutschenthal mehrere Unfälle, prominentestes Opfer war Ihr Sohn Max, der zu dem Zeitpunkt die WM anführte. Hatte der Unfall von Max Nagl etwas mit der Strecke oder der Streckenpräparation in Teutschenthal zu tun?
Definitiv nein. Der Boden war an dieser Stelle nicht besonders griffig, aber so ist das nun einmal im Motocross. Es ist ja ein Geländesport und das Gelände ist für alle Fahrer das gleiche. Das ist für Max unglücklich gelaufen, aber es war ein normaler Rennunfall.
Sieht das Max auch so?
Da bin ich ganz sicher.
Hatten die anderen Unfälle von Jeffrey Herlings und Aleksandr Tonkov etwas mit der Strecke zu tun?
Im Falle von Herlings war es eindeutig Eigenverschulden. Das hat er ja selbst zugegeben. Den Zwischenfall von Tonkov kann ich nicht beurteilen, den habe ich nicht gesehen.
Ist die WM insgesamt zu gefährlich?
Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Auf der einen Seite sind über das Wochenende viel zu viele Fahrer auf der Strecke. Bereits am Samstag werden Rennen ausgetragen: Neben den Qualifying-Rennen auch noch die EMX-Rennen, WMX-Rennen usw., so dass sich schon am Samstag tiefe Rinnen ausfahren, Bremswellen entstehen an Stellen, wo sie die Grand-Prix-Fahrer gar nicht erwarten, weil sie ganz andere Linien fahren und eine ganz andere Pace haben. Das kann dann wirklich zur Gefahr werden. Es gibt bei den vielen Rennen auch gar keine Zeit mehr für die Streckenpräparation.
Haben wir deshalb in diesem Jahr so viele Unfälle gesehen?
Den Fahrern wird an einem Rennwochenende einfach zu viel abverlangt. Die vielen Unfälle, die wir in dieser Saison gesehen haben und die Verletzten, die wir gerade beklagen, sind Folgen einer massiven Überforderung der WM-Fahrer. So etwas macht man in keiner anderen Sportart – auch nicht in der Formel 1. Als Boxer bestreitest du 3 oder 4 Kämpfe im Jahr, aber im Motocross sollen die Piloten an 2 Tagen Rennen fahren – und das 18 mal im Jahr und möglichst an jedem Wochenende, verteilt über alle Kontinente. Das ist brutal und die eigentliche Ursache der vielen Verletzten. Das MXGP-Feld ist doch ein einziges Lazarett! Villopoto, Desalle, Nagl, van Horebeek, Cairoli, Strijbos und Searle, das sind jetzt nur die prominentesten Opfer. 7 Fahrer, die für Top-Ten-Plätze gut sind, waren oder sind verletzt. Das ist ein wirkliches Problem, das an dem enormen Pensum liegt, das die Fahrer zu bewältigen haben. Es liegt nicht an den Strecken.
Das Qualifying-Rennen am Samstag ist also das Problem?
Ja. Es ist doch für jeden Fahrer ein Riesen-Unterschied, ob er ein Zeittraining absolviert, oder ein Rennen abgehalten wird. Die Startphase ist bei jedem Rennen sehr gefährlich. Das Risiko ist einfach zu groß. Dazu kommt die extreme physische Belastung, denn immerhin sind auch in diesem Rennen die besten Fahrer der Welt am Start. In einem Zeittraining legst du eine schnelle Runde hin, das ist weitaus ungefährlicher und für die Fahrer nicht so belastend, dass sie permanent am Limit sind. Wenn Youthstream unbedingt die Show braucht, dann bitte schön, es gibt ja in anderen Sportarten auch Spektakel wie die «Super-Pole», um die Startpositionen auszufahren. Aber ein Qualifying-Race zu veranstalten, bei dem es um nichts geht als die Startposition, das ist völlig übertrieben. Auch dadurch werden die Strecken ruiniert und die Fahrer gleich mit. Das sehen wir ja gerade.