MXoN 2014: Hubert Nagl: Das große Interview, Teil 4
Die europäischen Fahrer sind konkurrenzfähig, erklärt Hubert Nagl
Das Motocross der Nationen gilt auch als Gradmesser zwischen Europa und den USA, zwischen der Weltmeisterschaft und den US-Outdoors. Andererseits haben wir es mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zu tun, die USA von der Größe eines halben Kontinents im Vergleich zu kleinen Ländern wie Belgien oder Niederlande. Hätten die Amerikaner gegen ein «europäisches» Team, bestehend aus Cairoli, Roczen und Herlings überhaupt eine Chance?
«Im Sand nicht den Hauch. Vielleicht auf einer amerikanischen Strecke. Dort haben sie höhere Geschwindigkeiten als in Europa, die Motorräder gehen ganz anders und sie fahren drüben anderen Sprit. Im Schlamm oder in schwierigem Geläuf hätten sie keine Chance, davon bin ich überzeugt.»
Wodurch unterscheidet sich eigentlich der Treibstoff genau?
«Durch die höhere Oktanzahlen können die Motoren viel höher verdichtet werden und die Leistung ist wesentlich besser. Die Motorräder sind lauter. Ich finde das auch bei den Nations so als Punkt. Ich werde mich nie damit anfreunden, dass dort auch mit zweierlei Maß beim Material gefahren wird.»
Aber die Amerikaner fahren doch bei den Nations den europäischen Treibstoff?
«Müssen sie! Mehr sage ich jetzt nicht.»
Wird das überprüft oder kontrolliert?
«Weiß man nicht. Es könnte sein. Aber ich gehe einmal davon aus und möchte den Amerikanern nicht auf die Füße treten, aber die Jungs da drüben, die werden schon entsprechend hofiert, dass sie überhaupt kommen. Es wird vielleicht der Villopoto einmal fahren - aus Jux und Tollerei einmal eine Saison, wenn er von Kawasaki oder woher auch immer gutes Geld verdient. Aber jeder Ami würde sich totlachen, 1000 Euro Startgeld zu bezahlen, um fahren zu dürfen. Die Illusion, dass die Amerikaner alle mit Freude zu uns herüber kommen, die kann man sich abschminken. Und deshalb wird sich das auch nie komplett angleichen. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Europäer in den letzten Jahren schon einen Riesenschritt gemacht haben. Die Amis waren irgendwo früher doch einmal in einer anderen Sphäre und waren entfernt von der europäischen Realität. Aber mittlerweile bin ich überzeugt: Wenn der Cairoli oder der Herlings oder die Top-Ten gegeneinander fahren, dann sind da vielleicht noch zwei oder drei Amis dabei. Mehr auch nicht, denn die kochen auch nur mit Wasser. Sie haben vielleicht ein oder zwei Ausnahme-Atlethen, aber man sieht es ja jetzt am Kenny. Die Zeiten sind gelaufen, dass die Amerikaner mit uns Katz und Maus spielen.»
Roger de Coster ist letzte Woche 70 geworden. Er ist ihr Trainerkollege für das favorisierte Team USA. Ein Belgier, der die USA zu zahlreichen Siegen geführt hat. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis des Erfolges und welchen Anteil hat daran der Teamchef?
«Roger de Coster ist natürlich ein Mann mit unsagbarer Erfahrung. Das alleine ist schon ein Mythos. Er war selbst mehrfach Weltmeister. Das ist ein Mann, der sein ganzes Leben lang mit dem Sport in engster Weise verbunden war. Dass er irgendwann einmal in die USA gegangen ist, hat sicherlich auch seine Gründe gehabt. Früher war eben Belgien die absolute Hochburg, was Motocross betrifft, nicht nur in Europa. Die Europäer, auch die Deutschen, wie der Weil, haben ja den Amerikanern eigentlich das Fahren beigebracht. Nur irgendwann haben sie es eben besser gemacht als bei uns und man muss natürlich fairerweise sagen, dass die Amis ganz andere Möglichkeiten haben. »
Über das Motocross der Nationen zu sprechen bedeutet, man kommt automatisch immer wieder zurück auf das Thema Amerika. Die Supercross-Rennen in den USA füllen große Baseball-Arenen. Zuschauerzahlen von 80.000 sind keine Seltenheit. Was machen die Amerikaner anders, dass Supercross und Motocross einen anderen, einen höheren Stellenwert hat, als in Deutschland oder Europa?
«Die können dafür nicht Fußball spielen [lacht]. Deutschland ist ein Fußball-Land. Das wird von den Medien gepusht. Ganz entscheidend sind die Medien ganz einfach. Wir führen ein Nischendasein. Motocross ist eine Randsportart. Wenn wir eine ähnliche Medienpräsenz hätten, wie der Fußball, dann hätten wir auch wesentlich mehr Zuschauer als das momentan der Fall ist. Aber für das stiefmütterliche Dasein ist das manchmal gar nicht so schlecht. Wenn wir ein großes Rennen haben, 30-, 40- oder 50-Tausend Zuschauer trotzdem zu mobilisieren, ist ja auch schon etwas. Supercross ist klar, weil wir die Arenen, die Stadien gar nicht haben dafür. Und wir würden in Deutschland so ein Stadion auch nie füllen, egal wer da wäre, weil einfach das Gesamtinteresse nicht mit dem Interesse in den USA vergleichbar ist.»
Wir müssen das Thema Ken Roczen deshalb noch einmal aufgreifen. Ist Ken Roczen in den USA bekannter, als in Deutschland?
«Ich befürchte mittlerweile fast: Ja. Roczen hat in den USA einen richtigen Hype ausgelöst. Er ist jung, er ist kein Amerikaner und führt die Amerikaner vor. Das ist ein Selbstläufer. Und bei dem wahnsinnigen Interesse, welches von Haus aus da drüben herrscht, mit einem wesentlich gesteigerten Medieninteresse. Wenn ich zurück denke, als Ken Weltmeister wurde, das war traurig, was da in Deutschland abgelaufen ist.
Der Markenwechsel war für Roczen eine weitere Begründung für die Absage zum Nationencross. Sie kennen die Problematik des Markenwechsels aus erster Hand, als Ihr Sohn Max vor zwei Jahren von KTM zu Honda wechselte und sofort konkurrenzfähig war. Braucht die Umstellung tatsächlich so viel Zeit?
«Überhaupt nicht. Ken ist ja vor KTM Suzuki gefahren. Ken ist eigentlich von Kindheit an ein Suzuki-Mann. Ich kenne den Ken seit er vier Jahre alt ist. Und selbst seine alte LEM, mit der er damals herumgegurkt ist, die war bereits gelb. Die hat der Heiko gelb lackieren müssen, dass sie aussieht, wie eine Suzuki. Ken fährt mit jedem Motorrad schnell und ich bin der Meinung, dass jetzt, wenn er auch noch auf seinem «Lieblingsmotorrad» sitzt, gibt ihm das noch einmal einen Schub und ich bin auch überzeugt, dass wenn sich Kenn nicht irgendwann einmal ernsthaft verletzt,
was man auf gar keinen Fall hofft, dann wird er den Amis in den nächsten vier bis fünf Jahren ganz schön an der Nase herumfahren, sowohl im Supercross, als auch bei den Outdoors. Davon bin ich fest überzeugt.
Der mögliche Wechsel von US-Multi-Champion und Superstar Ryan Villopoto in die Weltmeisterschaft wird derzeit heftig diskutiert. Was ist Ihre Position zum Thema Villopoto und Weltmeisterschaft.
«Ich denke, wenn er denn kommt, ist es mit Sicherheit eine Bereicherung für die ganze Grand-Prix-Szene. Ryan Villopoto ist sicher für Top-Plätze gut. Ich würde aber vorsichtig sein, ihn sofort zum Weltmeister zu machen, oder dass er permanent Top-3 fährt. Auch ein Villopoto muss dann zuerst einmal einem Antonio Cairoli oder Jeremy van Horebeek schlagen, der sich gigantisch entwickelt hat, unter Umständen auch den Max, wenn der Max mal einen guten Tag hat. Auch Desalle ist ein starker Fahrer. Wir haben hochkarätige, schnelle Piloten im Grand-Prix. Er wird schon auf die Zähne beißen müssen. Aber ich fände es eine Bereicherung. Warum nicht? Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist ganz klar und ein Villopoto kann vielleicht auch medial wieder ein bisschen was bewegen und den Sport nach vorne bringen. Ich sehe es positiv, wenn er kommt. Der Bessere soll gewinnen, das ist ganz klar.»