Sylvain Guintoli ist 40: Der letzte Aprilia-Champion
Bis zur Saison 2014 war Sylvain Guintoli ein durchschnittlicher WM-Pilot. In der 250er- und MotoGP-WM brachte er es in sieben Jahren nur zu einem Podestplatz (Dritter 2003 mit der 250er in Assen) und beendete die Meisterschaft im besten Fall auf Platz 9.
Auch als er 2009 fix in die Superbike-WM wechselte, war er nicht gleich erfolgreich. Im Regen war er stets einer der Besten, im Trockenen musste er bis Februar 2013 warten, um endlich zu triumphieren.
Guintoli ist kein klassischer Siegertyp. In 174 Superbike-WM-Läufen stand er zwar 42 Mal auf dem Podest, aber nur neunmal ganz oben. In meiner Kolumne anlässlich seines WM-Titels schrieb ich 2014: «Vom Niemand zum Weltmeister»
Nach seinem Titelgewinn mit Aprilia fuhr Guintoli noch jeweils ein Jahr für das Werksteam von Honda und Yamaha. Seit 2017 ist er Test- und Ersatzfahrer für das MotoGP-Team von Suzuki. Guintoli hat die letzten Jahre viel dazu beigetragen, die Suzuki zu dem benutzerfreundlichen Motorrad zu machen, das Joan Mir 2020 zum WM-Titel trug. Nebenher arbeitete er auch immer wieder als Experte fürs Fernsehen und bestreitet die Endurance-WM.
Dass Guintoli 2014 Superbike-Weltmeister wurde, kam überraschend. Er fuhr zwar für das sehr starke Aprilia-Werksteam, hatte aber den höher gehandelten Marco Melandri als Teamkollege. Tom Sykes war damals die Nummer 1 bei Kawasaki und im Jahr davor Weltmeister. Jonathan Rea mühte sich mit der Honda ab und Chaz Davies bildete die Speerspitze von Ducati.
Vor dem letzten Event des Jahres in Katar, damals wurden noch zwei Rennen pro Wochenende gefahren, führte Sykes die Weltmeisterschaft mit zwölf Punkten Vorsprung auf Guintoli an, Melandri als Dritter lag bereits uneinholbare 66 Punkte hinten.
Katar war der Showdown.
Den ersten Lauf gewann Guintoli vor dem damaligen Kawasaki-Werksfahrer Loris Baz und dessen Teamkollege Sykes.
Damit hatte sich Guintolis Rückstand vor dem letzten Rennen des Jahres auf drei Punkte reduziert.
Und auch dieses gewann der Franzose in überragender Manier vor Rea und Sykes.
Innerhalb zwei Tagen hatte Guintoli in der arabischen Wüste zwölf Punkte Rückstand in sechs Vorsprung verwandelt und feierte den größten Sieg seiner Karriere.
«In Katar hatte ich maximalen Druck, ich war sehr fokussiert», erinnerte sich Guintoli. «Als ich dann tatsächlich gewann, konnte ich es nicht glauben. Ich blieb die ganze Saison am Ball, nach Laguna schlug ich Sykes in jedem Rennen. Das musste ich, um eine Chance zu haben – ich konnte mir keinen Fehler erlauben, sonst wäre ich draußen gewesen. In Katar musste ich beide Rennen gewinnen, ich durfte nichts zurückhalten. Ich fuhr so gut wie nie zuvor. Ich fühlte mich wirklich gut und war schneller als alle anderen.»
«Ich fuhr so lange Rennen und war immer der Außenseiter», meinte der heute 40-Jährige. «Im Regen wollte ich gute Rennen zeigen, weil ich immer wusste, dass ich nicht das beste Motorrad habe. In Katar musste ich wie ein Champion fahren. Für mich war das unnatürlich, in so einer Situation war ich nie zuvor. Die stressbedingte Situation und der massive Druck ließen mich besser fahren. Ich weiß, dass ich nie zuvor so gut fuhr. Das ging mir leicht von der Hand. Es war nicht so, dass sich jede Kurve anfühlte, als wäre es die letzte in meinem Leben. Ich saß fest im Sattel, meine Fahrweise war sehr fließend und effizient. Ich hatte viel Vertrauen und spulte stur meine Runden ab.»
Vor dem Rennen machte der damalige Aprilia-Pilot unmissverständlich klar, dass Rang 2 in der Weltmeisterschaft nicht zur Diskussion stünde, dass er Champion werden würde.
«Nach Jerez und Magny-Cours kam ich nach Katar und war mir sicher, dass ich es schaffen kann», erzählte Sylvain SPEEDWEEK.com. «Zwischen Magny-Cours und Katar lag ein Monat, in dieser Zeit setzte sich bei mir die Meinung durch, dass das meine Meisterschaft ist. Vor Katar sagten mir einige Freunde, dass ich überzuversichtlich sei. Normal bin ich das nicht und sage immer, dass ich mein Bestes gebe. Aber vor Katar war ich überzeugt, dass ich es schaffe. Ich hatte diese feste Überzeugung, ein seltsames Gefühl. Ich glaube sogar, dass Sykes tief in sich drin wusste, dass ich gewinnen werde. Ich fühlte mich stark, er fühlte sich schwach, hatte viel Druck. Er war derjenige, der gejagt wurde und der seinen Vorsprung eingebüßt hat.»