Ducati V4R kastriert – Drehzahllimit der falsche Weg?
Die Ducati-Speerspitze Michael Rinaldi (li.) und Alvaro Bautista
Alle drei Events werden die Drehzahllimits der in der Superbike-WM eingesetzten Motorräder überprüft und gegebenenfalls angepasst. Der dahinterstehende Algorithmus ist komplex, berücksichtigt eine Vielzahl von Kennzahlen und ist dadurch nicht zu durchschauen. Zuletzt erfolgte eine Anpassung nach Assen, als die Drehzahl der Ducati V4R um 250/min reduziert und die der Kawasaki ZX-10RR um 250/min erhöht wurde. Doch Fans der Superbike-WM wissen: Wie in den Niederlanden gewann Álvaro Bautista auch in Barcelona und Misano die Superpole und alle drei Rennen.
Die Balance-Instrumente gibt es seit 2018, sie beinhalten neben dem Drehzahllimit auch sogenannte Konzessionspunkte, die die Top-5 in jedem trockenen Hauptrennen erhalten. Für einen Sieg werden fünf Punkte notiert, für einen zweiten Platz vier Punkte und so weiter. Die Regel greift, sobald ein Hersteller nach drei Events 20 Punkte oder mehr Rückstand auf den Besten hat. Dann dürfen die erfolglosen Hersteller in einem genau definierten Bereich am Motor oder Chassis aufrüsten, was Kawasaki für die zuvor genannte Drehzahlerhöhung nutzte.
Außerdem kann der Motorrad-Weltverband FIM, wie bei Ducati geschehen, die Maximaldrehzahl anpassen.
Natürlich waren die Ducati-Fahrer von der Reduzierung nicht begeistert, vor allen diejenigen, die nicht an jedem Rennwochenende Siege einfahren. «Das haben wir Álvaro zu verdanken, er gewinnt zu oft», scherzte Bautistas Teamkollege Michael Rinaldi im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Aber das ist nicht Ducati anzulasten, denn alle anderen Fahrer, mich eingeschlossen, fahren den anderen nicht davon. Nur Álvaro tut das, weil er derzeit der Stärkste ist. Es ist nicht das Motorrad oder was anderes, er selbst macht den Unterschied. Ich halte es deshalb für unfair, dass alle Ducati-Piloten bestraft werden.»
Weil die Top-5 in die Kalkulationen der Konzessionspunkte einfließen (bis 2022 waren es die Top-3) und der Algorithmus sogar jeden Fahrer berücksichtigt, kommt es nicht nur auf Seriensieger Bautista an. Ducati-Privatier Axel Bassani fuhr in diesem Jahr bereits in sieben Hauptrennen in die Top-5, Rinaldi gelang das viermal. Für Kawasaki eroberte Jonathan Rea sechs solche Ergebnisse, Alex Lowes steuerte eines bei.
«Ich beschwere mich nicht über den Algorithmus und respektiere das Reglement, aber wenn man mich fragt, ob es richtig ist, alle Ducati-Fahrer zu bestrafen, wenn nur Álvaro gewinnt, dann sage ich, was ich davon halte», hielt der Italiener fest. «In Barcelona fuhr ich hinter einer BMW und kam auch aus dem Windschatten nicht vorbei. Und bei einem Test konnte ich auch Xavi Vierge mit seiner Honda nicht überholen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch die alte Drehzahl hatte. Sicher hat Ducati über die Jahre ein fantastisches Motorrad entwickelt, aber auf den Geraden lassen wir die anderen nicht einfach stehen. Wir Fahrer machen nicht die Regeln und müssen damit leben, wir können nur unsere Meinung sagen.»
Rinaldi weiter: «Ich kann mich nicht daran erinnern, als wir mit der V2 nicht das schnellste Motorrad hatten und Johnny Titel in Serie gewann, dass das irgendjemand interessierte. Jeder sagte, Johnny ist der stärkste Fahrer auf dem Grid und er und Kawasaki haben einen guten Job gemacht. Bei Álvaro beschweren sich plötzlich alle. Ich sage also, es geht nicht nur ums Motorrad und den Algorithmus, man müsste auch den Fahrer und das Team in die Berechnung einbeziehen.»
Genau das tut der Algorithmus nicht und soll er auch nicht: Seine Aufgabe ist es, mathematisch die Leistungsfähigkeit eines Motorrads herauszuarbeiten. Mit den zur Verfügung stehenden Balance-Instrumenten soll dann im zweiten Schritt für Chancengleichheit gesorgt werden. Letztlich soll auf annähernd gleichen Motorrädern der beste Fahrer gewinnen.
Was Rinaldi über Rea und Kawasaki sagt, kann man so auch nicht stehen lassen. Tatsächlich wurde die Drehzahl der Kawasaki bei Einführung der Balance-Regel im Jahr 2018 von 15.200 auf 14.100/min reduziert – und Rea gewann trotzdem 2018, 2019 und 2020 seine Titel Nummer 4, 5 und 6!
Rea ist sogar der Grund dafür, dass die Balance-Regel eingeführt wurde.
Wäre das viel diskutierte Gewichtslimit aus Sicht von Rinaldi besser geeignet, um für Chancengleichheit zu sorgen?
«Sicher wiegt Álvaro wenig, allerdings muss er wahrscheinlich doppelt so hart trainieren wie ich, um die erforderliche Kraft für das Motorrad zu haben. Er macht einfach einen fantastischen Job und davon möchte ich ihm nichts wegnehmen», winkte der 27-Jährige ab. «Ich beklage mich auch nicht über mein Motorrad, wie es viele andere machen. Wenn ich stürze, habe ich einen Fehler gemacht. Ich sitze auf dem Bike, und das Bike und ich können Rennen gewinnen. Es ist einfach, etwas anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben. Aber wir fahren in einer Weltmeisterschaft und es gibt Fahrer, die zu viele Ausreden haben.»