Louis Christen: «Ein klares Reglement muss her»
Louis Christen, Konstrukteur der LCR-Gespanne
SPEEDWEEK.com unterhielt sich mit dem Schweizer über nötige Veränderungen in der Seitenwagen-WM.
Die Fahrerfelder bei der Seitenwagen-WM und auch bei der IDM nehmen immer weiter ab, warum?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Einer der Gründe ist, dass der Seitenwagen-Sport heute nicht mehr den Stellenwert hat, den er einmal hatte. Aber im Motorsport hat sich im Laufe der Zeit alles geändert. Wir müssen akzeptieren, dass Änderungen stattfinden, aber in unserem Sport sind auch viele ältere Herrschaften dabei, die zwar nach wie vor geschätzt sind, aber eher nach hinten schauen. Jüngere Leute mit neuen Ideen gibt es nicht so oft.
Die Gespanne waren ja schon mal viel weiter. Ein großer Nachteil ist es doch, nicht mehr im Rahmen des Moto GP oder anderen großen Events vertreten zu sein, oder?
Ja sicher. Meine Vorstellung, wie man das verbessern könnte, ist die: Ich würde auf akzeptable Rennstrecken gehen, wo es eine gewisse Sympathie für die Gespanne gibt. Schleiz, Oschersleben, Assen, in Frankreich oder England. Ich würde da am Samstag und Sonntag zwei Rennen fahren. Vielleicht drei oder vier Veranstaltungen, das wäre dann die Weltmeisterschaft. Der Pannoniaring, wo die Seitenwagen-WM jetzt war, ist zwar sehr sympathisch, besser kann es eigentlich nicht sein, aber es ist der verkehrte Platz für uns. Es gibt genug Fahrer, die in der WM mitfahren könnten. Aber ein Engländer, der nach Ungarn fahren soll, um dort einen WM-Lauf zu bestreiten, der ihm nichts bringt in seiner Karriere, da fährt er doch nicht. Die FIM hat ihrerseits den Zwang, dass sie Nationen berücksichtigen muss, die sich anbieten. Auch in Rijeka geben sie sich alle Mühe, aber da hat es doch immer Probleme gegeben. Wir sind dort sehr willkommen, aber es passt dort nichts zusammen. Wenn ein Sponsor für die Läufe aber Preisgeld aussetzen würde, dann würde es wohl schon ganz anders aussehen. Wir müssen pragmatisch sein und dort dran arbeiten, wo es neue Möglichkeiten gibt und nicht immer noch Sachen machen, die schon 20 Jahre nicht funktioniert haben.
Müssten wir nicht die Engländer mehr ins Boot holen?
Ja, aber es ist wieder von Sachen abhängig, die wir nur wenig beeinflussen können. Da ist mit dem Roger Body ein ehemaliger Rennfahrer, der hat als Geschäftsmann Sponsoren wie Hyundai und damit Geld aufgetrieben und finanziert damit die nationale Meisterschaft. Sogar das Fernsehen ist dabei. Da sind dann die Fahrerfelder voll. Da fahren die guten Engländer, die zweite Reihe hinter Reeves und Birchall in England. Die kommen zu uns nicht. Vor fünf Jahren war das ganz anders, da hatte der Body keine Sponsoren, da war auch tote Hose. Da kam zum ersten Mal die Idee, 600 ccm zu fahren, keine F1, keine F2, nur eine einzige Klasse. Das wissen nur wenige, dass man darüber schon vor Jahren gesprochen hat. Heute hat der Roger Body nicht mehr das Interesse daran, denn er hat das Geld und damit das große Starterfeld. Er ist aber immer noch an einer globalen Lösung interessiert.
Was muss sich ändern, damit die Fahrerfelder bei den Seitenwagen wieder voller werden? Ist eine angedachte Reduzierung des Hubraumes von 1000 auf 600 ccm die Lösung?
1000 ccm ist eine gute Sache, die Motoren passen zu uns. Aber diese Motoren werden immer stärker, vor allem die Elektronik hat sich enorm verbessert. Damit die Motoren mit über 200 PS auch von einigermaßen durchschnittlich begabten Menschen beherrscht werden können, muss man elektronische Regelungen haben. Jedes Jahr kommen technische Neuerungen hinzu. Jede Firma will das Neueste bringen, die Kunden sind gewillt das Geld dafür auszugeben. Es gibt auch im privaten Straßenbereich nach oben keine Grenzen, BMW ist da schon sehr weit gegangen. Für die Gespanne können wir die Elektronik aber so nicht gebrauchen, das funktioniert nicht. Die Offenneigung mit Traktionskontrolle können wir nicht brauchen, das funktioniert nicht.
Die Beifahrer können diese Kräfte wahrscheinlich gar nicht mehr halten?
Genau, du kannst mit diesen Motoren viel rücksichtsloser fahren. Wenn ein alter Zweitakter nicht die richtige Drehzahl hatte, dann kam nichts, nur ein leeres Schlucken. Das hörte der Beifahrer und konnte sich darauf einstellen. Heute kann der Fahrer alles falsch machen, dann gibt er wieder Vollgas und der Motor zieht rücksichtslos. Da ist der Beifahrer nicht bereit und fliegt raus. Der hat keine Chance um sich vorzubereiten. Wenn der gute Fahrer eine saubere Linie fährt, kein Problem, aber im Zweikampf, in der Kampflinie, wenn drei oder vier Gespanne im Sprintrennen in eine Kurve fahren, wenn der Beifahrer nie weiß, was der Fahrer vorne macht, dann sind sie draußen. Kürzlich sind in England bei einem Rennen gut die Hälfte der Beifahrer rausgefallen. Das sind Sachen, da müssen wir Lösungen für die Zukunft suchen. Die Formel 1 hat das auch gemacht. Der Suzuki 750 ccm Motor für alle wäre der beste Motor, vielleicht ein guter Kompromiss.
Warum gibt es keine Übungsgespanne für den Nachwuchs?
In allen anderen Motorradklassen gibt es kleine Motorräder, wo Jünglinge oder fast Kinder damit umgehen können. Da bleiben immer ein paar Talente oder Interessierte hängen. Im Gespannsport ist das nicht möglich. Es braucht Leute, die schon Motorsportinteresse haben und die sich für die Gespanne interessieren. Kleinere Gespanne für die Kinder zu machen, das geht nicht. In England ist die Situation anders. Motorradsport ist dort fast Breitensport, es gibt wohl fast in jedem Dorf, hinter jeder Scheune ein Sportgerät mit Rädern. Dort kommen viel mehr Leute mit unserem Sport in Kontakt und dann bleiben da immer welche hängen. Dann gibt es Formel-2-Gespanne, die sich auf etwas niedrigerem Niveau befinden, aber sie sind preiswert und sehr gut geeignet, um das einfach mal auszuprobieren. Bei uns gibt es für ein paar Tausend Euro nichts. Auch sind wir insgesamt nur eine kleine Gruppe, wir sind nicht überall vertreten, die Kontakte zu Sponsoren fehlen häufig.
Wird in Zukunft mit langen oder kurzen Gespannen gefahren?
Das lange Gespann habe ich erfunden. Die Frage ist doch, was macht Sinn und was nicht. Das Konzept des langen Gespanns stimmt. Im Laufe der Jahre habe ich immer mal Aufträge bekommen für spezielle Gespanne. Ich hatte da auch Freude dran und der Kunde hat für seine Wünsche bezahlt. Den Sponsoren geht es aber meist nur um den kurzfristigen Erfolg. Was auf der TT passiert, ist eine eigene Sache. Der heutige 600er, wie er dort verwendet wird, hat zirka 150 PS, mehr als früher ein 500er Zweitakter. Auf der TT geht es den Leuten nur um die persönliche Schau. Ich bin deswegen jahrelang nicht mehr dort gewesen, da das Motorenreglement frei ist. Wenn alles frei ist, brauchst du nichts zu kontrollieren, da kannst du die Kosten für die Kommissare auch noch sparen.
Sind die 600-ccm-Motoren nicht zu lahm?
Man kann auch mit 100 PS guten Sport betreiben. Schau nur die Moto 2 an. Bei den 600ern gibt es geeignete Motoren für uns und von der F2 her liegen gute Kenntnisse vor. Ich habe in den letzten Jahren 55 F2-Gespanne gebaut. Die Birchalls kommen demnächst mit einem langen Gespann und schrauben einen 600er Motor rein. Die F1 haben größere Räder. In der F2 ist das nicht so sauber geregelt. Und: Die F2 sollte primär für Anfänger sein. Das war meine Motivation, als ich anfing sie zu bauen. Mit dem F2-Gespann sollte der Klaffi nicht TT-Sieger werden, sondern ich habe es für den Nachwuchs konstruiert.
Was sagen die Fahrer zu dem Thema?
Ich habe mit Reeves, Birchall und Holden gesprochen und die WM-Fahrer haben in Rijeka darüber abgestimmt. Fest steht, wie brauchen ein klares Reglement auch in der FIM. Die entscheidenden Leute müssen sich zusammen setzen und alles unter einen Hut bekommen, für alle akzeptable Regelungen festsetzen. Dazu gehört der Roger Body, Ralph Bohnhorst und auch der Eckart Rösinger. Der ist auch einer von uns und er kämpft mit seiner Rennserie auch ums Überleben.
Was ist mit den Franzosen?
Die Franzosen sind erfolgreich. Sie haben große Fahrerfelder und viele Rennen. Aber sie haben ihre eigene Welt, sie brauchen die anderen gar nicht. Alle haben passendes Material, auch Schweizer aus dem französischen Teil fahren in Frankreich mit. Die sind dort ein bißchen unter sich. Man muss denen etwas bieten, damit sie eine WM mitfahren. Drei oder vier Veranstaltungen je zwei Rennen, das ist die WM. Dann können alle auch ihre nationalen Meisterschaften fahren. Eine kleine überschaubare Serie als WM, die würde auch die ausländische Journaille anlocken. Das wäre eine Serie, die für die Zukunft passt, eine Serie mit wenigen hochwertigen Veranstaltungen, wie die Langstrecken-WM oder der Gamma Racing Day. Das wäre machbar und realistisch.
Die Birchall-Brüder haben deinen Betrieb übernommen. Müssen bei einer eventuellen Umstellung auf 600 ccm nun alle ihr Gespann bei ihnen kaufen?
Ich arbeite schon lange daran, solche Missverständnisse aufzuklären. Wir haben aufgrund der Währungsprobleme Schwierigkeiten mit dem Schweizer Franken. In Zahlen heisst das, ein Gespann, was früher 30.000 Franken gekostet hat, kostet heute 45.000 Franken. Und das nur aufgrund der anderen Umrechnung. Die Handwerks- und Energiekosten sind bei uns in der Schweiz so hoch. Ein Mitarbeiter bei mir kostete vor zwei Jahren 5000 Euro netto, das sind brutto 7500 Franken pro Monat. Ich als Hersteller habe das Problem, immer billiger produzieren zu müssen. Wenn es die Birchalls in England machen, wird es erheblich billiger. Die Währungsprobleme sind dort weg. Also profitieren doch alle davon.