Die Jungfräulichkeit verloren, das erste Mal Speedway
Speedway ist ein sehr spezieller Motorrad-Rennsport. Einerseits sehen wir simple Technik mit Vergasermotoren, es gibt kein Getriebe und keine Bremsen, das Hinterrad ist starr gelagert. Andererseits beschleunigen die Maschinen mit ihren knapp 80 PS auf Dreck von 0 auf 100 km/h so schnell wie ein Superbike auf der Straße. Die ersten 30 Meter ist jedes Straßenmotorrad chancenlos, so brachial ist der Antrieb des luftgekühlten 500-ccm-Einzylinder-Viertakters.
Viele Straßen- oder Motocrossfahrer fragen sich: Was kann schwer daran sein, Vollgas links herum zu fahren?
Kevin Wahr durfte es vergangenes Wochenende probieren. Der einzige deutsche Supersport-WM-Pilot war zu Gast bei Martin Smolinski, der auf seiner Heimbahn im bayerischen Olching Tag der offenen Türe hatte. Sponsoren, Fans, Medienschaffende, befreundete Rennfahrer, alle durften sich im 400-Meter-Oval auf den Motorrädern des einzigen deutschen Grand-Prix-Siegers versuchen.
Für jemanden, der nie in seinem Leben auf einem Speedwaybike saß, machte Kevin Wahr eine ordentliche Figur. Jeder konnte sehen, dass der Nagolder ein guter Motorradfahrer ist, mit dem richtigen Gespür für den Gasgriff und ein rutschendes Hinterrad.
Um einen weiteren Anhaltspunkt zu haben, schickte SPEEDWEEK.com Michael Reich auf die Strecke. Der 40-Jährige testet von Zeit zu Zeit Straßen-Rennmotorräder für uns, als Bad Waldseer ist er mit Grasbahnrennen aufgewachsen – und schlug sich ebenfalls herzeigbar.
Die Eindrücke der beiden Speedway-Neulinge im Doppelinterview.
War es wie in der Fahrschule auf dem Parkplatz, immer nur links herum, kann das jeder?
Kevin Wahr: «Ich habe ja dicke Sprüche geklopft, also musste ich auch was machen. Zum Teil war es, wie ich erwartet habe, wenn man mal im Drift ist, dann geht es. Zum Teil war ich aber auch überrascht, man kriegt Speed drauf, wenn der Motor auf die richtige Drehzahl kommt, dann ist auch richtig Grip da.»
100 km/h Topspeed werden dich ja kaum beeindruckt haben, oder?
Kevin Wahr: «Das ist was anderes hier, du kannst Formel 1 ja auch nicht mit Autocross vergleichen. Speedway ist eine ganz andere Sportart, das hat mit Straßensport nicht viel zu tun, außer dass auch ein Motor drin ist.»
«Die Mopeds sind alle gleich, keiner hat ein besseres oder schlechteres. Es kommt auf den Fahrer an, was auch cool ist.»
«Straßenrennsport ist mehr technikorientiert, da muss man mehr abstimmen.»
Michael Reich: «Ich hätte nie gedacht, wie viel Kraft man braucht, in den Beinen und den Armen. Einfach ist da gar nichts. Wer sagt, dass die vier Runden fahren keine Kunst ist, der hat keine Ahnung. Jeder sollte mal selber fahren, dann sieht er was dahintersteckt.»
«Von der Geschwindigkeit ist es nicht schnell auf der Speedwaybahn, das macht mir gar nichts aus. Auf der kleinen Bahn kommt einem das aber schnell vor. Ich bin das Driften nicht gewöhnt. Ich weiß nicht, wie das Motorrad reagiert, weil ich es nicht richtig drauf habe. Schon ein kleiner Drift kommt dir vor wie querstehen.»
Grundsätzlich: Was ist an einem Speedwaybike anders als an einem Straßenmotorrad?
Michael Reich: «Außer dem Gasgriff, den du komplett nach hinten ziehst, ist alles anders. Das ist wie ein Fahrrad mit richtig Power unterm Hintern. Das unterschätzt jeder.»
War es ein Problem für dich, dass das Motorrad kein Getriebe und keine Bremsen hat?
Michael Reich: «Gar nicht, ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Das ist ein Einzylinder-Motor, der bremst mit der Motorbremse, wenn du Gas wegnimmst. Ich habe die Bremse nicht vermisst, hatte aber auch nicht die Geschwindigkeit drauf.»
Hast du gemerkt, dass du ein PS-Gewicht-Verhältnis wie bei einem Superbike hast?
Michael Reich: «Ja, gigantisch. Vor allem, der Motor spricht sofort an, da geht richtig was nach. Man merkt, dass richtig Power da ist.»
Was ist die Kunst beim Driften? Auf der Straße versucht man das zu vermeiden.
Michael Reich: «Wenn du ein paar Runden gefahren bist, wird das Driften einfacher. Das Problem ist der Kurveneingang, ganz klar. Wenn du es einigermaßen schaffst, das Motorrad zu Beginn der Kurve ins Driften zu bekommen und du das hältst, dann geht es. Es ist machbar, auf einem gewissen Level. Ab Mitte Kurve ist driften nicht so schwer.»
Du hast vor den Kurven lange Gas weggenommen: Wo liegt das Problem, Vollgas in die Kurve hineinzufahren, wie es jeder macht, der einigermaßen Speedway fahren kann?
Kevin Wahr: «Du musst dich trauen. Mir war klar, dass ich nicht nach Olching komme und die Strecke Vollgas fahre. Dafür braucht es Übung. Im Speedway braucht man genau so Übung wie in anderen Sportarten.»
«Die Feinheiten im Speedway sind kleiner und spezieller als auf der Straße, man muss die Linkskurven perfektionieren.»
Michael Reich: «Beim Umlegen am Kurveneingang musst du am Gas sein, dafür musst du die Eier haben.»
Ein Lauf im Speedway geht nur über vier Runden und dauert gut eine Minute. Trotzdem bist du ins Schwitzen geraten.
Kevin Wahr: «Das ist Sport. Wenn ich auf meinem Motorrad zwei Runden fahre, schwitze ich auch. Da schwitze ich schon, wenn ich nur die Kombi anhabe.»
«Fakt ist: Speedway ist ein härterer Sport, als ich gedacht habe. Im Fernsehen sieht das einfach aus. Ich dachte mir, es kann nicht schwer sein, ein bisschen im Kreis zu driften. Aber es gibt Tücken, da sind Spurrillen. Wenn du den Drift nicht sauber machst, fährt das Motorrad geradeaus in die Bande. Das siehst du im Fernsehen nicht.»
«Wenn einer ein Straßenrennen anguckt und sieht, wie wir mit über 200 km/h auf Asphalt eine Kurve andriften, dann ist jedem klar, dass er das nicht beim ersten Mal hinbekommt.»
«Ich glaube, ich habe mich nicht so verkehrt angestellt, ich fuhr die Kurve im Drift. Bis ich aber eine Runde Vollgas und einen gescheiten Kurveneingang fahre, das braucht einiges an Übung. Und dann ist es wie in jedem Sport: Die letzten fünf Prozent zu erreichen, ist das Schwierige.»
«Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es einfacher ist im Speedway auf ein gutes Level zu kommen, als im Straßenrennsport.»
Martin Smolinski hat ein paar Showrunden gedreht. Jetzt schätzt du deine eigenen Leistungen noch mal anders ein, oder?
Michael Reich: «Ja, das ist unglaublich. Als Anfänger bist du froh, wenn du einen leichten Drift hast und denkst, dass du schnell bist. Dann fährt ein Smolinski an dir vorbei, nimmt im vollen Drift die Hand vom Lenker und winkt den Fans.»
Das war jetzt auf einer harten und ebenen Speedwaybahn. Wie muss es erst auf einer löchrigen Grasbahn oder tiefen Sandbahn sein? Würdest du dir das auch zutrauen?
Michael Reich: «Auf der 1000-Meter-Bahn? Ich glaube, dass kann man erst machen, wenn man auf der Speedwaybahn einigermaßen gut rumkommt. Wenn man mal die ganze Kurve im sauberen Drift durchzieht, dann kann man sich auf eine Langbahn trauen.»
Und jetzt stell dir vor, du fährst mit fünf Gegnern in die erste Kurve und jeder schiebt den anderen an.
Michael Reich: «Klar, da geht es um Millimeter, die fahren sich an die Karre. Das ist heftig, was diese Jungs machen.»