Thomas Gradinger (23): Prothese oder steifes Gelenk?
Thomas Gradinger
Thomas Gradinger hat seit 2017 einen erstaunlichen Aufstieg hingelegt. Mit sechs Siegen und zehn Podestplätzen in zwölf Rennen wurde der Twen 2017 Deutscher Supersport-Meister. Seit dem Jahr darauf fuhr er in der Weltmeisterschaft für die Yamaha-Teams Nerds (2018) und Kallio (2019) in 25 Rennen 15 Mal in die Top-10 und siebenmal in die Top-5. In Assen schaffte er es 2019 sogar als Dritter aufs Podest, womit er der erfolgreichste Österreicher in dieser Klasse ist.
Für 2020 hatte sich der 23-Jährige mit dem Kiefer-Team für die Supersport-WM geeinigt, doch Jochen Kiefer zog bereits vor dem Saisonstart den Stecker, weil das Projekt finanziell nicht zu 100 Prozent gesichert war.
Somit stand Gradinger ohne Team da, als die Weltmeisterschaft am 1. März in Australien begann.
Dann kam die fünfmonatige Coronapause.
Am 24. Mai war Gradinger unter anderen mit Patrick Hobelsberger auf dem Red Bull Ring in Spielberg beim Trainieren, als das Unglück geschah. «Eine ganz blöde Geschichte, bei den Gaudi-Veranstaltungen passiert immer der größte Mist», erzählte er. «Ich habe mir eine Yamaha R6 als Trainingsmotorrad gekauft und bin gefahren. Am zweiten Tag ist mir in einer ziemlich schnellen Kurve schlagartig das Hinterrad weggerutscht und ich hatte einen Highsider. Ich kam neben dem Asphalt auf und dachte mir, ich hätte den Arm gebrochen, weil meine ganze rechte Seite taub war, da hat es wohl einen Nerv eingeklemmt. Ich bin dann ins Kiesbett gelaufen, damit mich keiner umfährt. Dort musste ich mich hinlegen, die Sanitäter waren gleich da und haben mir was gegen die Schmerzen gegeben. Ich kam dann nach Judenburg ins Krankenhaus, dort wurde die Zertrümmerung des rechten Sprunggelenks festgestellt; der Knorpel war auch beschädigt und das Schlüsselbein habe ich mir ausgekugelt. In den Fuß bekam ich drei Platten und um die 15 Schrauben.»
«Schlimm ist das alles nicht, es ist nur mühsam, weil es so lange dauert», hielt der Youngster aus Sankt Marienkirchen fest. «Das Blöde ist der Knorpelschaden, die Knochen sind nicht das Problem. Nach sechs Wochen wurde beim CT festgestellt, dass der Knorpel nicht so ist, wie er sein sollte. Danach war ich bei einem Spezialisten der auch Brüche richtet, wo andere Ärzte abwinken, weil man nichts mehr retten kann. Aber selbst er hat gesagt, dass für mich eine Operation keinen Unterschied machen würde. Ich wurde vor die Wahl gestellt: Entweder Sprunggelenksprothese oder versteifen. Ich lasse jetzt erst mal alles ausheilen, in zwei Monaten habe ich wieder einen CT-Termin und einen bei dem Spezialisten. Dann schauen wir, wie es weitergeht. Ich versuche es wahrscheinlich ohne versteifen und schaue, wie es von den Schmerzen her geht. Wenn es gar nicht geht, kann man es immer noch versteifen. Es gibt Leute, die auch mit einem versteiften Sprunggelenk ohne hinken laufen können, weil es darüber und darunter noch ein Gelenk hat – es ist alles möglich. Man muss sich halt gut adaptieren und es spricht jeder anders darauf an. Es kommt auch darauf an, inwieweit und in welcher Stellung das Gelenk versteift wird. Eine Prothese kommt nicht in Frage, weil sie das nicht aushalten und wahrscheinlich nach einem Jahr kaputtgehen würde.»
Was bedeutet das für deine Karriere als Motorradrennfahrer? «Dass ich ein bisschen mehr Metall drin habe», lachte Gradinger im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Ich werde schon ein bisschen auf dem Motorrad eingeschränkt sein, aber es ist rechts. Sollte ich mit dem Fuß die Hinterradbremse nicht mehr betätigen können, dann kann ich eine Daumenbremse anbauen. Ich glaube nicht, dass die Verletzung für mich ein Nachteil ist. Man sagt, dass Knochen drei bis sechs Monate brauchen, bis sie wirklich 100-prozentig zusammengewachsen sind. Ich laufe derzeit noch an Krücken und darf ganz leicht, mit maximal 20 Kilogramm Belastung, auf den Fuß draufsteigen. Danach muss ich Muskeln im Fuß aufbauen, bis es Sinn macht, dass ich wieder Motorrad fahre.»