Zauberlehrling Can Öncü liegt hinter dem Zeitplan
Can Öncü: Zuviel Druck für einen 17-Jährigen?
15 Jahre, 3 Monate und 23 Tage war Can Öncü alt, als er 2018 im verregneten Moto3-Rennen in Valencia als jüngster GP-Sieger in die Geschichte einging. Im gleichen Jahr gewann Can mit fünf Siegen und zehn Podestplätzen in zwölf Rennen den Red Bull Rookies-Cup vor seinem Zwillingsbruder Deniz.
Für 2019 wurde der Zauberlehrling ins Moto3-KTM-Werksteam von Aki Ajo befördert, kam dort mit nur acht Punkten und WM-Rang 31 aber völlig unter die Räder. Also transferierte ihn sein Manager und Mentor Kenan Sofuoglu, selbst fünffacher Weltmeister, für 2020 in die Supersport-WM.
Im Kawasaki-Team von Manuel Puccetti sollte der Youngster laut Sofuoglu 2020 Erfahrung sammeln, 2021 den Supersport-Titel gewinnen und 2022 in die Superbike-WM aufsteigen.
Diesem Plan hinkt Can Öncü deutlich hinterher. 2020 schaffte er es immerhin achtmal in die Top-10 und wurde jeweils zweimal guter Sechster und Siebter. Die WM beendete er als Zwölfter, während Teamkollege Philipp Öttl auf identischem Material Dritter wurde.
In Estoril sorgte Öncü am vergangenen Wochenende als Siebter für sein bestes Saisonergebnis, mit 17 Punkten ist er derzeit WM-13. Einige Beobachter sind überzeugt, dass er mit dem Erfolgsdruck nicht zurechtkommt – an seinem Talent zweifelt niemand. Öncü wird an seinem Landsmann Toprak Razgatlioglu gemessen. Und an Sofuoglu, der 2016 den letzten Supersport-WM-Titel für Kawasaki erobert hat. Dabei wird oft vergessen, dass Can erst knapp 18 Jahre alt ist.
«Can ist ein außergewöhnliches Talent, er ist sehr speziell», meint Puccetti. «Ich sehe ihn zukünftig auf einem ähnlichen Niveau wie Toprak oder Kenan. Ich mache ihm null Druck, um in die Top-3 oder Top-5 zu fahren, das ist momentan nicht wichtig. Wichtig ist, dass ein klarer Aufwärtstrend ersichtlich ist. Ich vermute, dass wir bis in zwei Saisons den neuen Toprak sehen. Junge Fahrer heranzuziehen, ist immer sehr mühsam. Aber sie verschaffen einem unglaubliche Befriedigung, wenn sie erfolgreich werden. Als wir mit Toprak das erste Rennen in der Superbike-WM gewannen, war das ein unbeschreiblich gutes Gefühl.»
Toprak Razgatlioglu kam über den Yamaha-R6-Cup in Deutschland über den Red Bull Rookies-Cup (Zehnter und Sechster) 2014 in die Superstock-600-EM. In seinem ersten EM-Jahr wurde er 13., im zweiten Meister. 2016 und 2017 ging der Mann aus Alanya in der Superstock-1000-EM an den Start, die er als Fünfter und Zweiter beendete. Seit 2018 fährt Razgatlioglu in der Superbike-WM. In seinen beiden Jahren als Kawasaki-Privatier für Puccetti eroberte er beachtliche 15 Podestplätze und zwei Siege.
Seit 2020 startet er für das Yamaha-Werksteam und eroberte bislang 13 Podestplätze, darunter drei Siege. Vergangenes Jahr wurde Toprak WM-Vierter, nach zwei Events 2021 liegt er hinter Jonathan Rea (Kawasaki) auf Gesamtrang 2!