Nürburgring: Was führte zur Katastrophe?
Ein Werks-Nissan GT-R beim 24h-Rennen 2014
Es ist einer der schlimmsten anzunehmenden Unfälle im Motorsport: Ein ausser Kontrolle geratenes Rennfahrzeug trifft einen Fan. Rennfahrer sind sich bewusst, welchem Risiko sie sich aussetzen und akzeptieren dies, sobald sie ins Cockpit steigen. Auch wenn auf jedem Ticket vermerkt ist, dass Motorsport gefährlich ist: Dass ein Enthusiast sein Leben verliert und weitere Fans verletzt werden, ist unbeschreiblich grausam.
Was genau führte zu der Katastrophe beim Auftakt der VLN-Langstreckenmeisterschaft? Amateuraufnahmen im Internet zeigen, wie der im Werksauftrag vom britischen RJN-Team eingesetzte Nissan GT-R Nismo GT3 mit Jann Mardenborough am Steuer mit der Front aufsteigt, nahezu senkrecht in der Luft steht, bevor er mit dem Heck auf der Streckenbegrenzung landet und anschliessend über den Fangzaun katapultiert wird. Ein sehr ungewöhnlicher Unfall. Wir kennen aus den vergangenen Jahren die Bilder von durch die Luft wirbelnden Sportwagen, doch der Nissan ist kein 900kg leichter Prototyp, sondern ein richtig dicker Brummer. Ohne Fahrer und Betriebsmittel wiegt der GT-R stattliche 1.300 kg. Bisher ist kein Unfall mit einem GT3-Sportwagen bekannt, der nach einer ähnlichen Situation abgehoben und sich überschlagen hat. Am Flugplatz, wie an den anderen vielen Kuppen der Nordschleife, liefern die GT3-Renner schon seit einigen Jahren spektakuläre Flugeinlagen. Der Nissan zählte in der Vergangenheit schon zu den Fahrzeugen, der seine Nase trotz des Frontmotors an dieser Stelle besonders hoch in die Luft streckte. Als die Front des Nissan aufstieg, war Mardenborough nur noch Passagier. Die genaue Unfallursache ist nun Gegenstand von Untersuchungen.
Wer ist Jann Mardenborough? Der Brite gewann 2011 das Nissan Rennfahrercasting GT Academy gegen 90.000 Konkurrenten und gilt seitdem als einer der talentiertesten Fahrer, die das Programm hervorgebracht hat. Zwei Mal startete Mardenborough bei den 24h von Le Mans und zog sich stets einwandfrei aus der Affäre, aus zahlreichen Einsätzen kannte er auch den GT-R gut. Nissan steckte den Briten in die Formel-3-Euroserie, im vergangenen Jahr gewann er in Hockenheim sein erstes GP3-Rennen. Das fahrerische Können von Mardenborough ist über jeden Zweifel erhaben, auf der Nordschleife bestritt er am Samstag sein erstes Rennen. Vor 17 Tagen war er erstmals auf der Nordschleife unterwegs, als er bei einem Lizenzlehrgang die neu eingeführte Nordschleifen-Permit des DMSB erwarb, die ihn dazu legitimierte, den GT3-Nissan auf der Nürburgring-Nordschleife zu fahren. Für den von Nissan beim 24h-Rennen geplanten Werkseinsatz Mitte Mai ist er ebenso als Fahrer eingeplant wie als Stammfahrer in der Sportwagen-Königsklasse LMP1 in der Sportwagen-WM FIA WEC.
Für das Sportprogramm von Nissan ist die Katastrophe mit ihrem Werksauto auf der Nordschleife das zweite Drama innerhalb weniger Tage: Erst in der vergangenen Woche mussten die Japaner offenbaren, mit ihrem ambitionierten Le-Mans-Projekt so im Hintertreffen zu sein, dass sie auf die beiden ersten WM-Läufe in Silverstone und Spa verzichten und erst in Le Mans erstmals in Erscheinung treten.
Der tödliche Unfall war nicht das einzige Drama am Nürburgring am Samstag, schon im Zeittraining gab es eine Beinahe-Katastrophe. Der erfahrene GT-Pilot und Nordschleifenkenner Niclas Kentenich verunfallte in einem Porsche und zog sich einen Beckenbruch und weitere Knochenbrüche zu. Offenbar hatte sich eine Leitplanke in den Porsche gebohrt und verfehlte Kentenich nur knapp.
Man muss kein Hellseher sein um vorherzusagen: Die Katastrophe beim VLN-Auftakt wird unmittelbare Konsequenzen für den Sport auf der Nordschleife haben, in welcher Weise ist noch nicht abzusehen.
Unmittelbare Folgen hatte das Drama schon am Samstag: Ein für Montag und Dienstag geplanter Nordschleifentest mehrerer Werke in Vorbereitung auf das 24h-Rennen Mitte Mai wurde noch am Samstagnachmittag abgesagt.