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24h Le Mans 2015: Fallen historische Rekorde?

Von Oliver Runschke
Schneller als Jackie Oliver im Porsche 917 LH von 1971 war in Le Mans niemand

Schneller als Jackie Oliver im Porsche 917 LH von 1971 war in Le Mans niemand

Das Tempo der LMP1 bringt in diesem Jahr historische Le-Mans-Rekorde in Gefahr. Die zu erwartenden Rundenzeiten bei den 24h von Le Mans Mitte Juni können Angst machen. Und dann ist da noch Nissan.

Wenn die Rundenzeiten im Sportwagensport alljährlich purzeln, ruft das unter Fans und Berichterstattern im Regelfall grosses Entzücken hervor. Wenn das Ganze in Le Mans passiert, diesem Urviech einer Rennstrecke in der französischen Provinz, kommt noch ein wohliger Schauer dazu, seit einigen Jahren aber gepaart mit grosser Sorge. Mit sinkenden Rundenzeiten wurden auch die Unfälle in Le Mans zuletzt spektakulärer, daran konnten auch Finnen auf dem Heck und Löcher in den Kotflügeln bei den LMP1 nichts ändern. High-Speed-Abflüge der LMP1 führten in den vergangenen Jahren verstärkt zu Rückenverletzungen. Siehe Anthony Davidson in Le Mans 2012, Kaz Nakajima im Mai in Spa oder den fast vergessenen Gulliaume Moreau, der nach seinem Unfall beim Le-Mans-Testtag 2012 bis heute nicht ins Cockpit zurückgekehrt ist. Die Audi-Piloten Mike Rockenfeller und Loic Duval waren nach ihren Horror-Abflügen 2011 und 2014 zwar unverletzt, aber wochenlang ausser Gefecht gesetzt.

Wenn in Le Mans Rekorde wackeln, ist das immer auch ein Zeichen zur Sorge. Der Sorge, das der Speed der Topklasse LMP1 zu hoch für den «Circuit de la Sarthe» ist. Eine Strecke, von der 9,2 der 13,6 Kilometer öffentliche Landstrassen sind.

2010 fuhren Timo Bernhard, Romain Dumas und Mike Rockenfeller im Audi R15 plus zu einem neuen Distanzrekord und überboten damit die historische Bestmarke von Helmut Marko/Gijs van Lennep im Porsche 917 K aus 1971. Etwas, das nach der Massakrierung der sechs Kilometer langen Hunaudiéres-Geraden durch zwei Schikanen im Jahr 1990 nie für möglich gehalten wurde.

Durch die unfassbaren Rundenzeiten der LMP1 in diesem Jahr wackeln nun zwei weitere Rekorde. In Silverstone beim WEC-Auftakt war die schnellste Rundenzeiten drei Sekunden schneller als im Vorjahr, in Spa bei Lauf zwei war Timo Bernhard im Porsche 919 Hybrid zuletzt fünf Sekunden schneller als sein Teamkollege Marc Lieb ein Jahr zuvor. Wie schnell mag dann erst in Le Mans gehen? Einer Strecke, die mit 13,6 Kilometer Länge fast doppelt so lang ist wie Spa? Die Ingenieure von Audi, Toyota und Porsche wissen seit Monaten, aber sie verraten es nicht.

Sollte es am Trainingsmittwoch und Donnerstag in Le Mans nicht aus Kübeln giessen ist klar: Wenn es nur bei der Verbesserung der Zeit um fünf Sekunden wie zuletzt in Spa bleibt, sind die Top-LMP1 des Jahrgangs 2015 die schnellsten Sportwagen, seit 1990 auf Druck der FIA die beiden Schikanen installiert wurden.

Und bis zu weiteren, historischen Rekorden ist es nicht mehr weit. Der schnellste Rundenschnitt in Le Mans wurde vor 30 Jahren gefahren. Hans-Joachim Stuck fuhr 1985 beim Le-Mans-Debüt des Porsche 962C mit einem Schnitt von 251 km/h auf die Pole. Umgerechnet auf die heutige Streckenvariante wäre eine Rundenzeit unterhalb von 3:14,843 Min. notwendig, um das einzustellen. Sieben Sekunden schneller als Toyota-Pilot Nakajima auf seiner Pole-Runde im vergangenen Jahr erscheint aber keinesfalls utopisch.

Plötzlich erscheint dieser Rekord ebenso in Gefahr, wie die absolut schnellste Runde, die in allen bisherigen 82 Ausgaben des bedeutendsten Langstreckenrennens der Welt gefahren wurde. Jackie Oliver wurde 1971 beim Le-Mans-Testtag im Porsche 917 Langheck von John Wyer mit 3:13,6 gestoppt. Nie zuvor und nie danach umrundete jemand schneller die Strecke. Auch diese Marke könnte 2015 wackeln.

Das alles gibt grossen Anlass zur Sorge und mit Sicherheit haben weder Veranstalter ACO noch die FIA damit gerechnet, wie die Rundenzeiten beim Wettrüsten zwischen Audi, Toyota und Porsche in diesem Jahr implodieren. Vor sieben, acht Jahren hat der ACO verlauten lassen, dass er die Strecke bis zu Rundenzeiten von 3:30 Min. für sicher hält. Alles, was dauerhaft deutlich darunter fällt, erfordert Umbaumassnahmen, die entweder aufgrund der enormen Länge von 13,6 Kilometern nicht finanzierbar sind oder der Strecke schlichtweg ihrem einzigartigen Charakter nehmen würden. Der ACO ist ohnehin nur Veranstalter, die Strecke ist in Besitz eines Gremiums aus Land, Region, Landkreis und Stadt Le Mans.

Wenn es in den vergangenen Dekaden zu schnell wurde, hat der ACO regelmäßig eingegriffen und das Tempo zu reduziert. Dies wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch 2016 passieren. Durch den Durchflussmengenbegrenzer, der die Energiezufuhr der Königsklasse LMP1 regelt, war das ohnehin selten einfacher.

Eine Le-Mans-Bestmarke wird hingegen vermutlich wirklich für die Ewigkeit sein: Die 405 km/h Topspeed des WM-Peugeot mit Roger Dorchy aus 1988. Dennoch sind in diesem Jahr deutlich höhere Topspeeds als in den Vorjahren zu erwarten. Die grosse Frage ist, in welche Topspeed-Regionen Nissan mit dem GT-R LM Nismo vorstößt. Der skurrile LMP1 mit Frontmotor und Frontantrieb setzt konzeptbedingt ausschliesslich auf die Karte Topspeed. Im vergangenen Jahr lagen die höchsten Topspeeds der LMP1 bei knapp unter 340 km/h. Um einen Vorteil zu haben, müssen die Nissan vermutlich mindestens 360 km/h fahren – wenn die GT-R zu solchen Stunts überhaupt in der Lage sind, denn Insider trauen dem Nissan bestenfalls zu, sich gerade einmal vor den LMP2 zu halten. Es wäre mit einem kaum getesteten Prototypen der höchste Topspeed, seit dem Ende der Gruppe-C-Ära 1993 und seit dem die Schikanen installiert wurden, war keiner schneller als 366 km/h. Da kann man nur hoffen, dass alles gut geht.

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