Heinz Kinigadner zur Dakar: Keiner kennt Patentrezept
Red Bull-KTM-Werkspilot Toby Price bei der Dakar-Rallye 2020
Der tragische Unfall von Paulo Gonçalves bei der Rallye Dakar hat die Diskussion über die Sicherheit bei diesen Langstrecken-Wettbewerben wieder neu wachgerüttelt. In den letzten zwei Jahren hatten sich fast alle Topfahrer mehrmals arg verletzt; das Material wurde immer besser, die Konkurrenz ständig stärker, der Kampf um Minuten immer anspruchsvoller. Aber genau dieses Abenteuer, diese ständige Gefahr macht einen Teil des Reizes der Dakar Rallye aus.
Der zweifache 250-ccm-Motocross-Weltmeister Heinz Kinigadner warnte im Interview mit SPEEDWEEK.com schon im Oktober 2018 vor den neuen Gefahren in der Rallye-Szene. Damals ging es um die zwei WM-Läufe in Chile und Argentinien. «Sie haben eine Woche gedauert. Es gab jeweils 22 Teilnehmer, zwischen den Veranstaltungen gab es eine Woche Pause, die Teams waren drei Wochen lang unterwegs. Und bei den Spitzenfahrern gab es sechs wirklich Schwerverletzte», kritisierte der Tiroler damals.
Die Rallye-Szene sei brutal ungesund geworden, stellte Kini im Herbst 2018 fest.
«Es wird inzwischen so extrem schnell gefahren. Und wir haben von der Fahrerqualität im Rallye-Sport jetzt ein so hohes Niveau erreicht… Die überspringen jede Düne – und wissen nicht, was dahinter ist. ?Das ist gestört.?Wir warten alle drauf, dass etwas passiert, bei dem wir dann nimmer sagen: ‚Es ist schlimm.‘ Irgendwann wird etwas passieren, was zu schlimm wäre», befürchtete der KTM-Berater vor 16 Monaten.
Aber eine Patentlösung kannte auch der zweifache Motocross-Weltmeister nicht. «Alle Lösungen und Vorschläge, die wir eingeleitet haben, dass die Motorräder zum Beispiel nicht mehr so große Tanks draufhaben dürfen, dass sie leichter werden müssen, weil das hohe Gewicht viele Unfälle versursacht hat, haben dazu geführt, dass sie schneller fahren», weiß Kinigadner. «Wir haben jetzt Tanks mit 30 oder 31 Litern, früher wurde mit bis zu 50 Litern gefahren. Jetzt werden die Bikes beim Tanken nur ca. 30 kg statt 50 kg schwerer – also steigen die Geschwindigkeiten.»
Der Hubraum wurde längst von 690 ccm auf 450 ccm gesenkt. Zweizylinder sind verboten. Früher ist BMW sogar mit 1100-ccm-Boxermotoren nach Dakar gestürmt…
Kinigadner: «Ja, aber wir haben trotzdem bis 75 PS. Inzwischen fahren wir wie früher mit der 690er wieder 180 km/h Spitze. Der Motortausch wird mit Zeit-Penaltys bestraft, aber selbst die Dakar-Rallye wird zwei Wochen lang mit einem Motor problemlos durchgefahren. Das Material ist einfach super geworden, sehr ausgereift.»
Bei der Dakar-Rallye 2020 in Saudi-Arabien wird erstmals das Roadbook bei sechs von zwölf Etappen erst am Morgen ca. 30 Minuten vor dem Start an die Teilnehmer verteilt. «Das war eine Idee des neuen Rennleiters David Castera. Er ist ja selber bei Yamaha mit Peterhansel als Motorradfahrer bei der Dakar dabei gewesen. Später war er viele Jahre lang bei der A.S.O. in Südamerika sportlicher Leiter der Dakar. Dann ist er als Co-Pilot im Auto von Cyril Despres mitgefahren. Dazu war er Veranstalter der Marokko-Rallye. Dort hat er bewiesen, das er sein Geschäft beherrscht. Als sein Vorgänger Marc Coma vor einem Jahr als Dakar-Sportdirektor aufgehört hat, haben Nani Roma und ich bei der A.S.O. vorgeschlagen, Castera zu nehmen, weil er einen guten Job macht. Er hat schon in Marokko das vormarkierte Roadbook eingeführt. Dadurch können sich die Fahrer nicht so akribisch auf alle Vorkommnisse vorbereiten. Die Teams mit mehr Geld hatten ja bereits fünf ‚map men‘ hinter sich, die ihnen sagten, wo es lang geht. Diese ‚map men‘ waren mir schon lange ein Dorn im Auge, denn ein Privatfahrer kann sich nie einen leisten. 2020 gibt es sechsmal dieses vorbereitete Roadbook. Es muss natürlich möglichst fehlerlos sein, sonst sind die Fahrer, die vorne starten, stark im Nachteil.»
«Aber es ist auch ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung, dass sie bei der ersten Marathon-Etappe nur zehn Minuten Zeit hatten, das Roadbook anzuschauen. Dann mussten die Motorräder in ein Parc Fermé gestellt werden», sagt Kinigadner. «Es ist auch sinnvoll, dass sie bei den Marathon-Etappen die Räder und Reifen markiert haben. Dadurch können Rucksack-Fahrer, die nicht schnell fahren und den Hinterreifen nicht beanspruchen und ihre Siegfahrer dann am Retourweg, also am zweiten Tag der Marathon-Etappe, dann vom Rucksack-Fahrer ein fast neues Rad bekommen. Das ist jetzt auch verboten. Die Räder sind markiert oder verplombt. Es gibt eine Strafzeit, wenn sie getauscht werden.»
Aber die Veranstalter in Saudi-Arabien wirken manchmal überfordert. «Denn am Freitag haben sie den Teams einen Schnitt von 95 km/h prognostiziert, gefahren sind sie dann 115 km/h Schnitt», rechnet Kini vor. «Unsere Fahreer sind wegen dieser Prognose mit einem Baja-Reifen gestartet, weil wir wussten, er hat einen bessern Grip und hält bis 100 km/h Schnitt tadellos durch. Aber dann war der Schnitt bei 115 km/h, dadurch hat es bei Toby Price den Hinterreifen zerrissen. Die anderen waren auch alle am Limit.»
Doch der US-Amerikaner Andrew Short eilte seinem Freund Price zu Hilfe. Er baute das Hinterrad der Werks-Husqvarna aus, überließ dem Red Bull-KTM-Kollegen den Reifen – und knatterte auf der Felge ins Ziel: Er verlor dadurch 35 Minuten! Dabei hatte Short die Etappe als Gesamtzwölfter begonnen. Und Toby Price büsste durch den defekten Reifen dank der raschen Hilfe nur acht Minuten ein – und blieb Gesamtzweiter.
«Short hat das aus eigener Entscheidung gemacht, weil unsere beiden Teams von KTM und Husqvarna immer gemeinsam in Marokko trainieren, die Athleten sind inzwischen wirklich gut befreundet» sagt Kinigadner. «Short ist ja vorher auf der Marathon-Etappe gestürzt, dabei ist das Roadbook ruiniert worden. Am nächsten Tag musste er während der Rennzeit reparieren und ein Ersatzteil vom Lkw holen. Er hat dadurch noch einmal 30 Minuten Strafzeit bekommen. Deshalb lag er gesamt schon mehr als eine Stunde hinten, als er Toby Price zu Hilfe kam. ‚Shortie’ war in der Gesamtwertung nicht mehr vorne dabei... Er hätte aber sehr wohl in der Tageswertung nach vorne kommen können.»
Bei Husqvarna-Sponsor Rockstar rief die Hilfe von Short viel Unmut hervor – denn er stand einem Red-Bull-Fahrer bei…
Aber Kinigadbner betont: «Es war eine Entscheidung der Freunde Short und Price untereinander, dass Andrew Beistand geleistet hat. Das ist nicht von der Teamführung dirigiert worden.»
Dakar 2020: Stand nach Etappe 7
Pos | Fahrer (Motorrad) | Zeit (hh:mm:ss) | Diff (hh:mm:ss) |
---|---|---|---|
1 | R. Brabec (Honda) | 28:25:01 | |
2 | P. Quintanilla (Husqvarna) | 28:49:49 | 00:24:48 |
3 | Ji. Cornejo (Honda) | 28:52:02 | 00:27:01 |
4 | T. Price (KTM) | 28:53:45 | 00:28:44 |
5 | J. Barreda (Honda) | 28:54:30 | 00:29:29 |
6 | M. Walkner (KTM) | 28:58:05 | 00:33:04 |
7 | L. Benavides (KTM) | 29:03:59 | 00:38:58 |
8 | S. Howes (Husqvarna) | 29:40:03 | 01:15:02 |
9 | F. Caimi (Yamaha) | 29:40:32 | 01:15:31 |
10 | S. Svitko (KTM) | 29:44:42 | 01:19:41 |
11 | A. Metge (Sherco Tvs) | 30:04:37 | 01:39:36 |
12 | A. Short (Husqvarna) | 30:05:50 | 01:40:49 |
13 | R. Faggotter (Yamaha) | 30:44:06 | 02:19:05 |
14 | M. Michek (KTM) | 31:01:06 | 02:36:05 |
15 | J. Betriu (KTM) | 31:01:43 | 02:36:42 |