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Rocky: Neue DTM ohne Hersteller fragiler, aber freier

Von Andreas Reiners
Mike Rockenfeller

Mike Rockenfeller

Mike Rockenfeller spricht im Interview mit SPEEDWEEK.com unter anderem über die Vorteile der neuen DTM, die Herausforderungen in einem GT3-Auto und seine Teamkollegin Sophia Flörsch.
Mike, die DTM startet 2021 in eine neue Ära: Hat man mit 37 noch Lampenfieber, bevor es in Monza losgeht?

Ja, auf jeden Fall, eben weil es eine neue Ära ist, denn mit den ganzen Neuerungen und Änderungen ist alles noch etwas ungewisser. Deshalb bin ich gespannt, wo wir stehen werden beim Auftakt in Monza, denn es wird nicht ganz einfach, es ist etwas anderes als in den Jahren zuvor. 

Wie ist dein Gefühl: Was ist mit deinem Team Abt Sportsline möglich in Monza?

Dass Abt oder auch das Team Rosberg und da wiederum Fahrer wie Nico Müller und auch ich bekannte Größen sind, hat wenig bis gar nichts zu sagen. Ich denke, dass Teams und auch Fahrer in den Vordergrund rücken werden, die sich im GT-Sport seit Jahren auskennen. Das sind Leute, die seit Jahren 20, 25 Rennen GT-Rennen pro Saison fahren. Die stehen anders da als Abt oder auch ich. Ich will nicht tiefstapeln, aber das sollte man nicht unterschätzen.

Wie fühlt sich die neue DTM für einen Routinier bis jetzt an?

Insgesamt ist es positiv, was die Stimmung angeht. Man hat das Gefühl, dass alles ein bisschen freier ist als früher. Man muss sich wahrscheinlich keine Sorgen mehr machen, dass zu viele Strategiespielchen gespielt werden. Genau das haben wir uns immer gewünscht. Die finanzielle Power durch die Hersteller fehlt zwar, und dadurch ist es für die DTM generell vielleicht schwieriger und fragiler. Aber für den Sport ist es durchaus gut. Die Stimmung unter den Teams zum Beispiel war nie schlecht, aber es war alles abgekapselt, und es hat sich über die Jahre eher verschlechtert. Ich hoffe, dass in der DTM durch den Neuanfang Freundschaften im Fahrerlager wieder mehr und dass Erfolge wieder mehr anerkannt werden. Das war in den vergangenen Jahren doch alles sehr politisch und angespannt, extrem verbissen und ein bisschen vergiftet. Aber das ist auf dem Niveau aber auch ein Stück weit normal. Es wird nicht einfacher als vorher für die DTM, aber der Neustart ist eine große Chance.

Was bedeutet der Hersteller-Rückzug für ein Team wie Abt Sportsline?

Wir haben in den vergangenen Jahren Werksunterstützung erhalten, im Fall von Audi also zum Beispiel durch Teile, Tests, Vorgaben, Empfehlungen. Jetzt ist es ein Stück mehr Eigenverantwortung. Heißt: Man tauscht Daten nicht mehr unter den Audi-Teams aus, man hat nicht mehr diese geballte Ingenieurspower hinter dem Projekt. Das ist nun alles in Team-Hand. Das ist geil, aber auch eine neue Situation. Andere Teams sind das lange gewohnt, wir noch nicht so sehr, und deshalb gilt es, so schnell wie möglich herauszufinden, was das Auto braucht.

Wenn du dir das fertige Produkt anschaust: Kaufen die Fans das?

Warum nicht? Die DTM hat alle Chancen, viele Zuschauer zu generieren. Ich kann mir vorstellen, dass man sogar alte Fans zurückgewinnen kann, die das Gefühl hatten, dass viele Dinge abgekartet oder abgesprochen waren. Es gab durchaus Spielchen in der Vergangenheit, aber das hat man heute nicht mehr, und bei den Hardcore-Fans ist das durchaus entscheidend. Die breite Masse der Fans wird sich vor allem über die Markenvielfalt – Audi, BMW, Mercedes, Ferrari, Lamborghini, McLaren – freuen. Die wollen vor allem schöne Rennen sehen mit tollen Autos und coolen Typen. Und das hat die DTM.

Ist das möglicherweise sogar die bessere DTM?

Es ist anders. Ob es besser wird, muss man sehen. Es ist in der modernen Motorsport-Welt ein Stück weit zurück zu den Wurzeln. Am Ende muss immer gutes Racing stehen.

Was glaubst du, wie das Racing mit den GT3-Autos wird?

Wir hatten ein tolles Racing in den letzten Jahren, das müssen wir erst einmal wieder schaffen. Etwas überspitzt gesagt: Wir haben kein DRS, kein Push-to-Pass, wir haben einen konstanten Reifen – alles Dinge, die auf dem Papier nicht unbedingt mega Racing zulassen. Auch das ABS sorgt vielleicht eher dafür, dass man weniger Fehler sieht. Das muss man abwarten, das wird sich zeigen. Ich hoffe sehr, dass wir wieder gutes Racing haben werden, denn das ist der entscheidende Punkt.

Wie groß wird deiner Meinung nach das Thema Balance of Performance, also die Leistungsangleichung der verschiedenen Autokonzepte?

Mich hat es sehr gewundert, dass nach den ersten Tests schon große Reden geschwungen wurden. Es ist kein einfaches Thema, aber es ist Teil des Spiels. Es liegt an den Verantwortlichen, dass es passt. Und wenn es mal nicht für alle passt, dann ist es eben so. Solange gut reagiert und an den richtigen Stellschrauben gedreht wird, damit es ausgeglichen ist, ist doch alles gut. Ich kann mir vorstellen, dass es Diskussionen gibt, ich finde aber, dass die fehl am Platz sind. Denn wenn man sich jedes Mal darüber beschwert, ist man in der falschen Rennserie.

Wie sehr werden bei dem Thema Spielchen gespielt?

Natürlich wird das versucht, aber so viel ist da gar nicht möglich, was will man groß hinter dem Berg halten? Denn im Grunde können alle Daten eingesehen werden. Wir haben auch nicht genug Rennen, um zu oft absichtlich langsam zu fahren. Ja, vielleicht wird das Thema eine riesige Katastrophe, weil die Macher nicht fähig sind, das glaube ich aber nicht. Man muss dem Ganzen etwas Zeit geben. Und klar ist: Man wird das nie zu 100 Prozent treffen. Es muss über das ganze Jahr gesehen passen, dass am Ende jeder eine faire Chance hatte.

Was sagst du zum Fahrer-Auto bzw Teamfeld?

Das liegt sogar über meinen Erwartungen, denn im Dezember war nicht klar, dass es die DTM 2021 überhaupt geben wird. Gerhard Berger macht sicher auch Fehler, aber ich glaube nicht, dass es unter diesen Vorzeichen viele andere so hinbekommen hätten. Keine Frage: Das Feld ist bunt gemischt und hochkarätig.

Ist es problematisch, dass „Paydriver“ dazugehören oder macht das möglicherweise sogar den Charme aus?

Das gehört dazu, es darf aber nicht nur noch so sein. „Paydriver“ sagt erst einmal nichts über das Können des Fahrers aus. Trotzdem muss man vom Profisport leben können. Wenn keiner mehr Geld damit verdient, ist es kein Profisport mehr.

Was wird die größte Herausforderung für dich?

Das ABS, das Bremsen. Das wird das Hauptthema, aber auch, das Gefühl für das Auto zu finden. Es ist anders, es ist deutlich schwerer als das Class-1-Auto, es ist weicher, es hat weniger Abtrieb. Es bewegt sich mehr, das Feedback ist nicht so direkt, weshalb man seine eigenen Sensoren mehr auf das Auto ausrichten muss. Ist es zum Beispiel nur ein Rutschen des Autos oder doch ein Bewegen? Vorher war das klarer zu spüren, jetzt ist es etwas verschwommener.

Welches Auto ist besser zu fahren, schöner, anspruchsvoller – Class 1 oder GT3?

Das ist schwer zu sagen. Die Class-1-Prototypen waren im Grunde Formelautos mit Dach, die GT3-Autos haben als Basis ein Straßenauto. ABS und Traktionskontrolle machen das Fahren etwas leichter, weil man weniger Fehler macht. Doch wenn es um die letzten drei Zehntelsekunden geht, wird es schwierig, weil man mit dem ABS auch viel übertüncht, weil man nicht weiß, ob man zu viel oder zu wenig im ABS war.

Warum dauert eine Eingewöhnung „so lange“?

Das letzte Quäntchen ist Übung, Übung, Übung. Und ein paar Testtage im Vergleich zu 25 Rennen pro Jahr in den vergangenen Jahren wie bei meinem Teamkollegen Kelvin van der Linde – das holt man nicht mal eben auf, weil es um die letzten Zehntel geht. Trotzdem: Mein Ziel muss es sein, gut in die Saison reinzukommen und vorne dabei zu sein.

Teamkollegin von dir ist Sophia Flörsch. Was glaubst du, was man von ihr erwarten kann?

Sie macht sich sehr gut, aber erwarten sollte man erst einmal nicht zu viel. Es kommt auch immer auf das Quäntchen Glück an. Aber sie lernt schnell und ist auch auf der Strecke schnell. Wie sie das GT3-Auto bewegt, wie gut sie ein LMP2-Auto bewegt, wie nah sie bei uns dran ist von den Zeiten her: Chapeau. Das ist schon gut, vor allem wenn man selbst weiß, wie man zu kämpfen hat. Sie muss sich aber trotzdem erst einmal reinfinden.

Medial ist die DTM eine andere Nummer als zum Beispiel die Formel 3: Welchen Rat gibst du ihr da?

Frau hin oder her – am Ende wirst du an den Leistungen gemessen. Natürlich ist es für die DTM und Abt ein großer Gewinn. Aber langfristig sind es die Leistungen, die den Unterschied machen, die zeigen, ob es wirklich ein Gewinn ist. Die größte Followerzahl bringt ja nichts, wenn es auf der Strecke nicht langt. Ich glaube aber, dass es bei Sophia passt. Aber klar: In der DTM ist es nicht einfach, alles zusammenzubekommen und vorne mitzufahren. Außerdem kommt es auf die Erwartungen von außen an: Man sollte nicht erwarten, dass sie in ihrem ersten Jahr bereits um den Titel mitfahren wird. Top-Ten-Ergebnisse wären aus meiner Sicht schon ein toller Erfolg. Am Anfang wird es noch eine Schonfrist geben, aber die ist irgendwann vorbei, mit Samthandschuhen sollte man sie dann auch nicht anfassen. Schließlich fährt sie in der DTM für ein Topteam.

Sie hat einen Karriereplan, der weiterhin die Formel 1 vorsieht. Ist GT3 da der richtige Weg?

Natürlich kann sie dieses Ziel weiterhin haben, aber dafür sollte sie dann eher Formel 2 fahren. Dann ist eine GT3-DTM eher nicht der richtige Schritt Aber: Es ist generell gar nicht so entscheidend, in welchem Auto man sitzt. Bist du gut, kannst du dich auf alles einschießen und in allen Autos schnell sein. Soll heißen: Wenn Sophia in der DTM schnell ist und vorne mitfahren kann – warum sollte sie dann nicht auch im Formelsport schnell sein und es in die Formel 1 schaffen können? Am Ende muss die Leistung stimmen, egal in welchem Fahrzeug.

Neben Sophia ist auch Esmee Hawkey am Start. Wie gut ist das für die DTM, aber auch für die Entwicklung von Frauen im Motorsport?

Ein buntes Fahrerfeld ist toll, weil es gute Geschichten und Aufmerksamkeit bringt. Für die DTM ist das positiv. Aber auch hier gilt: Langfristig wird es entscheidend sein, wie die Leistung auf der Strecke aussieht. Wünschenswert wäre es, wenn beide vordere Platzierungen einfahren können. Dann kann das Thema explodieren, dann ist es ein deutlicher Mehrwert, auch für den weiblichen Nachwuchs.

Die DTM lebt mit neuem Reglement weiter: Wie siehst du die Situation des deutschen Motorsports?

Der Motorsport hat es nicht einfach, doch er funktioniert weiterhin. Es befindet sich noch viel im Wandel im Moment, auch was Straßenautos und Elektromobilität betrifft. Durch Corona gibt es eine Durststrecke, aber es findet auch eine Neuorientierung statt. Das sieht man zum Beispiel an Le Mans, wo zahlreiche Hersteller in der Top-Klasse an den Start gehen wollen. Das ist ein Boom, den ich so auch noch nicht erlebt habe.

Wie erklärst du dir das?

Le Mans war schon immer interessant für die eine oder andere Marke. Was den Unterschied macht, ist die Zusammenlegung des Reglements und die Suche nach einem Betätigungsfeld im klassischen Motorsport. Das ist eine Wahnsinnszeit, auf die wir im Langstreckensport zusteuern, zumindest sehen die Vorzeichen danach aus. Das ist schon megageil, das würde ich gerne miterleben. Das ist das klare Ziel, mit der Vergangenheit und mit der Erfahrung, die ich habe.

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