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Mike Kranefuss: Der Ford-Karrieremann wird 85

Kolumne von Rainer Braun
​«Ich bin ja längst Amerikaner», sagte Mike Kranefuss vor Jahren in einem Interview. Am 3. Juli feiert der frühere Ford-Sportdirektor im US-Städtchen Mooresville seinen 85. Geburtstag.

Das muss Michael Kranefuss erst mal einer nachmachen: Vom Assistenten in der Kölner Ford Motorsportabteilung innerhalb kurzer Zeit zum deutschen Sportchef, dann zum Europa-Direktor mit Sitz in England und schließlich der Wechsel nach Detroit als weltweit verantwortlicher Leiter aller Rennaktivitäten der Ford Motor Company. Und das alles passierte innerhalb von gerade mal zehn Jahren!

Als Michael Kranefuss, den seine Freunde nur Mike nennen, Anfang 1969 als Assistent in die neu formierte Ford-Rennsportabteilung nach Köln kam, hatte er gerade die Enttäuschung des an der Politik gescheiterten Sauerlandring-Projekts hinter sich. Dort war er als rechte Hand des «Sauerland-Barons», Schlossherrn und Porsche-Rennfahrers Karl von Wendt schon ständig mit dem Thema Motorsport beschäftigt, zumal Mike selbst Hobby-Racer mit einem kleinen Abarth 1000 TC war.

Seine Karriere, über alle Stationen durchsetzt mit Lockerheit, Spaß und guter Laune, nahm erst so richtig Fahrt auf, als sein Chef Jochen Neerpasch von Ford zu BMW abwanderte und Assistent K. im Mai 1972 auf die Führungsposition nachrückte. Bis dahin hatten die beiden trotz völlig konträrer Charaktereigenschaften bestens harmoniert. Hier der stille, introvertierte und immer ernst wirkende Chef, dort der quirlige, fröhliche und stets zu Scherzen aufgelegte Assistent aus dem Münsterland.

Das geniale Projekt Capri RS seines Vorgängers trug dazu bei, dass Mike K. gleich im ersten Amtsjahr vom Erfolg geradezu überrollt wurde. Er musste die Siegmaschine Capri RS nur noch mit ein paar neuen technischen Updates weiter entwickeln. So gewann Ford im Verlauf der Saison 1972 wirklich alles, was es im großen Tourenwagen-Geschäft zu gewinnen gab. Sowohl die Meisterschafts-Trophäe des international wichtigen Tourenwagen-EM als auch der kaum weniger relevante Titel der Deutscheb Rennsport Meisterschaft (DRM) landeten in der Montagehalle der Ford-Rennabteilung in Köln-Niehl.

«So ein Jahr erlebt man als Sportchef nur einmal», gestand mir Mike bei einem gemeinsamen Abendessen in Köln am Ende der Traum-Saison 1972. «Aber 1973 wird härter und technisch noch viel anspruchsvoller», fuhr er in ernster Tonlage fort.

Dazu brauchte es allerdings keine hellseherischen Fähigkeiten, denn Erzfeind BMW mit Neerpasch als Antreiber rüstete den BMW CSL gewaltig auf. Und so wurde das Jahr 1973 zum dramatischsten und technisch hochwertigsten Schlagabtausch zwischen Ford und BMW. Tatsächlich gewannen die Münchner fast alles und entrissen Ford den EM-Titel.

Unbeirrt auf seinem Weg

Trotz des Rückschlags ging Kranefuss unbeirrt seinen Weg, forcierte parallel mit Partner Zakspeed die Weiterentwicklung des Escort RS mit dem Resultat, dass sich «der Knochen» als Retter in der Not entpuppte und vier DRM-Titel in Folge (1973 bis 1976) holte.

Trotzdem musste Kranefuss ab 1974 die Folgen der Energiekrise verdauen, seine Abteilung deutlich verkleinern und große Teile der Aktivitäten neben Zakspeed an die Ford-Tuner-Partner Grab und Wolf auslagern. Später kam noch Eggenberger in der Schweiz hinzu. Die glorreiche PS-Schmiede am Niehler Hafen in Köln schrumpfte von Jahr zu Jahr, am Ende blieb nur noch die reine Verwaltung des Ford Motorsports.

Mit der Berufung zum Welt-Direktor in die USA Anfang 1981 endete die Ära Kranefuss in Köln. Seine letzte Großtat hierzulande war die Geburt des legendären Turbo-Capri, den er bei Partner Zakspeed entwickeln ließ. Zusätzlich kam 1980 noch das 700 PS-Turbo-Monster «Super Capri» mit größerem Hubraum als Porsche 935-Schreck hinzu.

Nachfolger Lothar Pinske verwaltete das angetretene Erbe in Köln über die schon genannten Partner-Teams. Mit dem Bau des Sierra RS-Turbo setzte auch Pinske noch ein echtes und leider auch letztes Highlight. Seine Teams fuhren damit weitere Titelgewinne in der EM und der DTM ein – natürlich auch verfolgt und registriert vom großen Super-Manager Kranefuss in den USA.

Während der zehn Jahre in Köln habe ich Mike Kranefuss nicht nur als Sportchef, sondern auch als guten Freund, Frohnatur und Stimmungskanone erlebt. Ich glaube, einen fröhlicheren und stets zu Späßen aufgelegten Typen in so einer hochrangigen Position hatte es bis dahin noch nie gegeben und wird es wohl auch nie mehr geben.

Sportchef und Spaßvogel, geht das überhaupt? Und ob, wie eine kleine Auswahl nachfolgender Episoden beweist.

Kraftlos um Mitternacht

Bei einer rauschenden Ford-Ballnacht anlässlich der Ehrung «Rennfahrer des Jahres» im Rahmen der Essener Motorshow 1971 (Preisträger waren Dieter Glemser und Rolf Stommelen) ging es stimmungsmäßig besonders hoch her.

Ehrengäste des von Ford und Motor Show-Organisator Wolfgang Schöller veranstalteten Festes mit viel Prominenz waren Jackie Stewart und Nina Rindt. Spät am Abend trat Roberto Blanco auf, bei «Ein bisschen Spaß muss sein» und weiteren Blanco-Hits wurde aus der Kranefuss-Ecke lautstark und ungeniert mitgeträllert, sodass der Künstler seinen Auftritt vorzeitig und stocksauer abbrach. Rufe nach einer Zugabe verhallten ohne Ergebnis.

Stattdessen schenkten die Saalkellner ordentlich Wein und Champagner aus mit dem Resultat, dass Mike & Friends irgendwann um Mitternacht erschöpft zu Boden sanken …

Leger und locker

Um Etikette In Sachen Kleidung am Rennplatz hat sich der Ford-Sportchef in seiner Kölner Zeit nie groß gekümmert. Oft dirigierte er seine Piloten von den Boxen aus mit bis zum Bauchnabel offenem Hemd und vom Wind zerzaustem Haarkranz.

Dafür kam er meist mit Krawatte und Anzug ins Büro in Köln-Niehl, obwohl es auch hier ziemlich locker zuging. Offene Zufahrt, kein Portier, keine Schranke. Ein paar Schritte und man stand inmitten der Rennwerkstatt.

Schon bei der Vorfahrt konnte man die An- oder Abwesenheit des Sportchefs im ebenerdigen «Niehler Oval Office» mit einem schnellen Blick durchs Fenster prüfen. In der Regel saß er telefonierend am Schreibtisch, umgeben von Rauchschwaden aus der ewig qualmenden Tabakpfeife.

Karneval in Köln

Dem närrischen Treiben mochte sich auch Ford nicht verschließen und lud im Februar 1971 zu einer zünftigen Faschings-Fete. Das Motto «Fiesta Mexicana» war als nachträgliche Verneigung vor dem Ford Escort-Sieg von Mikkola/Palm beim Rallye-Marathon London-Mexiko anlässlich der Fußball-WM 1970 gedacht.

Alle Party-Gäste wurden bei Eintreffen mit einheitlichen Ponchos und Sombreros verkleidet. Neben vielen Ford-Werksfahrern, Teamchefs und lokalen TV- und Presseleuten war auch der deutsche FIA-Technik-Delegierte Herbert W. Schmitz zu Gast.

Bei fortgeschrittener Stimmungslage regelte Mike mit dem strengen FIA-Mann mal eben schnell in aufgelockerter Atmosphäre ein paar strittige Technik-Details zu Gunsten des Capri RS. So kann man’s also auch machen …

Pokern, 17 und 4, Backgammon

Was haben sich da Dramen abgespielt, wenn das Spiel im Fahrerlager oder in den Hotels an den Rennstrecken nicht nach Mikes Vorstellungen lief!

Harmlos waren noch die privaten Pokerrunden zu Hause bei mir oder auch bei ihm. Wenn’s da für die eine oder andere Partei zu eng wurde, haben die Ehefrauen einfach das Ende der Partie eingeläutet.

Aber bei den Spiele-Marathons rund um die DRM-Wochenenden wurde Mike von Toine Hezemans & Co oft genug schmerzhaft zur Kasse gebeten. Der arme Kerl hatte vor allem beim Pokern sowieso wenig Glück und dazu auch noch seinen eigenen Dickkopf nach dem Motto: Hab’ ich 20 Mark verloren, mach’ ich nach dem Verdopplungsprinzip in der nächsten Runde weiter. Das ist leider oft genug danebengegangen.

Und mit seinem Vertragspiloten Toine Hezemans hatte er sich auch noch das größte Zocker-Schlitzohr im ganzen Fahrerlager ausgesucht.

Die Bar im Holiday Inn

Ein Platz, an dem die Wellen der abendlichen Fröhlichkeit an den Rennwochenenden in Hockenheim besonders hoch schlugen. Auch hier war Freund Kranefuss immer einer der Hauptdarsteller. Je später die Stunde, desto ausgelassener die Stimmung.

Seine berühmt-berüchtigte Parade-Disziplin: Er schüttete sich ein halbes Glas Bier vermeintlich in den Gehörgang seines rechten Ohrs und zielte anschließend mit der bereits kurz vorher im Mund deponierten anderen Hälfte des Gerstensafts per Strahl auf Freund und Feind. Diese Übung war meist nur nach Mitternacht zu bestaunen und galt auch bei anderen fröhlichen Zusammenkünften als Höhepunkt.

1000 Eier

Ford Motorsport hatte 1977 eine für die damalige Zeit futuristische Armband-Uhr in kleiner Stückzahl bei Heuer herstellen lassen. Die «Ford RS Chronosplit Unit 77 Digital», so die offizielle Bezeichnung, war klobig-groß, auffällig und nicht gerade preiswert.

Ich weiß nicht mehr genau, ob es Toine Hezemans oder RTL-Mann Willy Knupp war, der Mike nach dem Preis gefragt hat. Seine flapsige Antwort lautete jedenfalls: «1000 Eier.» Gemeint waren natürlich D-Mark.

Am nächsten Tag erschien einer der beiden genannten Herrschaften tatsächlich mit 1000 Eiern im Handgepäck, erbat die Herausgabe der Uhr zu den genannten Konditionen – und bekam sie auch. Heute zahlen Sammler dafür noch bis zu 5.000 Euro.

«Willst du in mein Haus einziehen?»

Als klar war, dass Mike in die USA geht, rief er mich Ende Oktober 1980 an und fragte, ob ich in sein Haus im Bergischen einziehen wolle. «Zunächst für drei Jahre zur Miete, bis klar ist, ob ich in den USA bleibe oder lieber wieder zurückkomme.» Da ich das Anwesen von privaten Besuchen bei ihm und seiner Frau Immi kannte, sagte ich nach kurzer Beratung mit meiner Frau zu. Am 1. Dezember 1980 zogen wir tatsächlich in sein Haus in der Berggemeinde Much ein, zentral gelegen im Städtedreieck Köln/Bonn/Siegburg.

Als Kranefuss das Unternehmen zwecks vorgezogenem Ruhestand 1993 auf eigenen Wunsch verließ, titelte das große US-Motorsportmagazin «Speed Sport News» zum Abschied auf Seite 1 in fetten Lettern: THANKS AND GOOD LUCK MIKE, WHEREVER YOU GO.

Ein größeres Kompliment für die geleistete Arbeit geht für amerikanische Verhältnisse kaum noch. Besuche in seiner alten Heimat Deutschland sind leider selten geworden, und wenn überhaupt, dann nur kurz.

Nach seiner Pensionierung hat er sich nochmal für ein paar Jahre ein eignes NASCAR-Team gegönnt und investierte danach noch in die IndyCar-Serie. Ein paar Kilometer von seinem Wohnort Mooresville in North Carolina entfernt liegt die NASCAR-Hochburg Charlotte mit seinem berühmten Oval.

Mike und seine Frau Immy sind jetzt seit fast 55 Jahren verheiratet, ihre Söhne Dan und Philip haben die beiden inzwischen zu vierfachen Großeltern gemacht. Vor allem Mike verbringt ganz bewusst viel Zeit mit den Enkelkindern, «weil ich das bei meinen eigenen Jungs leider aus beruflichen Gründen versäumt habe».

Heute mit 85 sagt Mike klipp und klar: «Es geht mir richtig gut, ich habe meine gesundheitlichen Probleme überwunden, Racing ist Vergangenheit, es gibt keine Entzugserscheinungen. Mein Leben ist ruhig und friedlich geworden. I’m pretty happy these days.»

Eigentlich wollte er das alles und noch viel mehr in seine Biografie «A Life in Racing» packen. Schon vor etwa 15 Jahren sollte das von US-Autor Lee Klancher verfasste Werk in den Buchhandel kommen, aber bei der finalen Textprüfung meldeten die Anwälte Bedenken an und rieten von einer Veröffentlichung ab.

«Sie meinten, dass meine Ausführungen zu offen, ehrlich und kritisch sind und es Ärger geben könnte.» Das Buch wird also nie erscheinen, «aber wenigstens die Enkelkinder dürfen das Manuskript lesen, damit sie wissen, was ihr Opa so alles angestellt hat».

Lieber Freund Mike, alles Gute und die besten Wünsche zu deinem 85. Genieße dein entspanntes Leben jenseits des großen Teichs und bleib‘ vor allem gesund.

Deine alten Kölner Kumpels werden am 3. Juli 2023 ein kühles, frisch gezapftes Kölsch auf dich trinken und sich jene herrlichen Geschichten erzählen, von denen ich hier nur einen Bruchteil aufgeschrieben habe.

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