DTM 1984: Als die Grenzgänger etwas Großes starteten
1984 fand das erste DTM-Rennen statt
Volker Strycek konnte es fühlen. Diese Stimmung, diese Anspannung, die Vorfreude, wenn man weiß: Da könnte etwas Großes entstehen. Es ist der 11. März 1984, als in Zolder, in Belgien, 70 Kilometer nordwestlich von Aachen, tatsächlich eine neue Ära im Motorsport beginnt.
«Wir sind damals alle sehr aufgeregt nach Zolder gefahren. Ein großes Starterfeld mit klangvollen Namen, und ich war mit dabei», erinnert sich Strycek. Die neu geschaffene Deutsche Produktionswagen-Meisterschaft geht in ihre erste Saison. Die neue Rennserie trat in die Fußstapfen der renommierten Deutschen Rennsport-Meisterschaft, zwei Jahre später wird sie zur DTM.
Dort fuhren seriennahe Gruppe-A-Fahrzeuge, noch dazu in verschiedenen Leistungsstufen. Ein Handicap-Reglement mit Zusatzgewichten und Restriktionen bei den Reifenbreiten sollte dafür sorgen, dass große und kleine Fahrzeuge gleiche Chancen haben. In Zolder unter den 24 Startern: Strycek, Harald Grohs, Hans-Joachim Stuck, Olaf Manthey, Jörg van Ommen oder Leopold Prinz von Bayern.
«Allen Beteiligten wurde schnell klar, dass die Idee der klassenlosen Gesellschaft recht gut funktioniert», sagt Strycek: «Es entstand schnell eine Situation wie in der heutigen DTM: enges Feld, hohe Leistungsdichte, viele Autos. Die neue Serie war auf Anhieb faszinierend und enorm spannend.»
24 Fahrzeuge waren es beim ersten Rennen in Zolder, das Harald Grohs gewann. Er profitierte davon, dass Markenkollege Hans-Joachim Stuck zwei Runden vor Schluss in Führung liegend ein Vorderrad verlor.
Grohs spricht nicht nur deshalb gerne über die Vergangenheit. Über die goldenen Zeiten der DTM, den Start in eine Ära, die er aktiv mitgestaltete, und die ihn auch selbst prägte.
Der gebürtige Essener gerät dann geradezu ins Schwärmen. Streut immer wieder eine Anekdote ein, einen witzigen Spruch. Über die alten Autos, die die Herzen der DTM-Fans noch heute höher schlagen lassen.
Über Konkurrenten, die er mit seiner Fahrweise schon mal zur Weißglut trieb. Und über den 11. März, an dem er Geschichte schrieb.
«Die Serie boomte von Anfang an. Das Feld war hochkarätig besetzt, es wimmelte von Superstars. Es war faszinierend», sagte Grohs im Gespräch mit SPEEDWEEK.com.
1984 waren Marken am Start, die Rang und Namen hatten, wie BMW, Mercedes, Rover, Audi, VW, Ford, Volvo, Chevrolet, Opel, Alfa Romeo oder Fiat. Keine Werksengagements wie heute, sondern Privatteams mit ein wenig Unterstützung vom Werk oder aber Privatfahrer. Hemdsärmelig. Die Teams sind mit dem Transporter gekommen, vier Mechaniker und der Fahrer. Alles einige Nummern kleiner, weniger Brimborium, dafür mindestens genauso viel Ehrgeiz und Herzblut, hartes Racing, echter Motorsport. Puristisch.
«Da wurde mal die Hinterachse gewechselt, mal kürzer oder länger übersetzt, mit den Höhen gespielt, Sturz und Spur, das war es aber auch. Als Fahrer brauchtest du einen sensiblen Hintern, technisches Verständnis und eine gute Mannschaft», erklärt Grohs, der im BMW 635 CSi des Vogelsang-Teams saß: «Ein fantastisches Auto, sehr stabil.»
Der Sechszylinder-Motor leistete vor 40 Jahren mit 3,5 Litern Hubraum im seriennahen BMW 286 PS.
Die Kosten? Lagen für eine Saison bei rund 400.000 D-Mark. Sein Vogelsang-Team war damals wirtschaftlich allerdings gut strukturiert und aufgestellt, hat die Autos gekauft und die Einsätze bezahlt. «Das hat wunderbar funktioniert.» Grohs gehörte zu denjenigen, die Geld mit dem Motorsport verdient haben.
Nicht besser, sondern anders
War denn früher alles besser, wie man so oft sagt? Grohs: «Es war nicht besser, sondern anders. Wir waren nicht so gläsern, wir hatten mehr Freiraum. Es gab echte Freundschaften, gemeinsame Reisen, das Grillen im Fahrerlager. Man hat es insgesamt etwas lockerer genommen.»
Ein Beispiel hat er auch parat: In der damaligen Tschechoslowakei wollte sein Konkurrent Klaus Ludwig einen Satz andere Federn haben, die es bei Ford nicht gab. Grohs half aus, prompt wurde er von Ludwig geschlagen. Ein anderes Mal zerfeuerte Roland Asch sein Auto auf der Avus in Berlin sehr stark. Vogelsang hat bis 5 Uhr morgens geholfen, das Auto wieder aufzubauen. «Das wäre heute undenkbar», so Grohs.
Im Auto ging es schon damals zur Sache. 60 Grad im Cockpit, keine Servolenkung, klassische Handschaltung. Grohs: «Die Lenkkräfte waren gewaltig, dazu kamen 90 Kilogramm Bremsdruck, permanent schalten, beschleunigen, bremsen. Man musste austrainiert sein.»
Brutale Kämpfe
Und auf der Strecke? «Wir waren Grenzgänger, immer am Rande der Legalität. Das waren brutale Kämpfe, es ging richtig rund. Da konnte man sich rechts und links anlehnen. Mit drei, vier, fünf Autos ging es auf die Schikane zu. Da musste man sehen, wo man bleibt. Aber die Rennen haben einen fantastischen Spaß gemacht.»
Die Folge für ihn: «Ich hatte nicht viele Freunde im Fahrerlager. Ich wurde akzeptiert, war aber nicht unbedingt beliebt, weil ich eine sehr rustikale Fahrweise hatte. Aber es hat jeder ausgeteilt. Zum Jahresende wurde es noch schlimmer, als es um den Titel ging.»
Den Titel holte das Eichhörnchen
Um den ging es für ihn, nachdem er zum Auftakt siegte («Ein tolles Gefühl und schöne Erinnerungen»). Er gewann noch drei weitere Rennen.
Den Titel holte aber Strycek, das «Eichhörnchen», wie Grohs ihn nennt. Das ist etwas, das Grohs sowieso bis heute wurmt. Denn er war nach dem zweiten Lauf in Hockenheim disqualifiziert worden. Die Punkte fehlten ihm am Ende. Grohs wettert: «Das war für mich ein persönlicher Rachefeldzug des damaligen Technischen Kommissars.»
Bei der technischen Abnahme wurde zuerst moniert, dass der Auspuff zu laut sei, erinnert sich Grohs: «Sie haben so lange gesucht, bis sie etwas gefunden haben. Es gab ein Problem mit dem Motor, 0,2 Millimeter Ventilhub, deswegen haben sie mich disqualifiziert. Das ist eine riesige Sauerei, dass ich durch so einen Blödsinn die Meisterschaft verloren habe.»
Stilles Abkommen?
Er hätte sich etwas mehr Rückendeckung gewünscht, ob von Vogelsang oder aus München. Denn: «Der Motor war plombiert, da hat keiner dran gearbeitet, es kam alles vom Werk. Stuck, Strycek, alle fuhren den gleichen Motor. Ich glaube, dass zwischen Vogelsang und BMW ein stilles Abkommen getroffen wurde, weil sie dachten, der Grohs wird eh Meister, machen wird es etwas spannend.»
147 Punkte hatte er als Dritter am Ende, vor ihm lagen Olaf Manthey (147,5) und eben Strycek (155). Er hatte es geschafft, in jedem Rennen unter die ersten Zehn zu fahren und stand fünfmal auf dem Podium.
Für ihn war es der einzige Titel. Für die DTM war es der Startschuss zu etwas Großem.