Audi: Scharfe Kritik an neuen Regeln
Dr. Martin Mühlmeier ist nicht zufrieden
«Aus unserer Sicht ist diese neue Balancierung nicht nachvollziehbar. Otto- und Dieselmotoren waren fair eingestuft, wie verschiedene Messungen beweisen. In einer breiten Öffentlichkeit wird nur zu leicht übersehen, dass die existierenden Teams, die auf Benziner vertrauen, weit davon entfernt sind, das im Reglement gegebene Potenzial der Ottomotoren und Fahrzeuge überhaupt auszunutzen. Bislang hat der ACO diese Potenziale richtig eingeschätzt. Nun hat sich eine andere Sichtweise durchgesetzt.»
Ist absehbar, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf die Zahl der Boxenstopps bei den 24 Stunden von Le Mans haben wird?
«Die Auswirkungen sind sehr unglücklich. Die Änderung der Tankvolumina ist inzwischen nicht mehr wissenschaftlich begründbar. Seit 2007 dürfen LMP1-Fahrzeuge mit Ottomotoren 90 Liter, Diesel nur noch 81 Liter tanken. Das spiegelte die unterschiedlichen Brennwerte beider Kraftstoffarten gerecht wider. 2011 sind die Diesel-Tankfüllungen auf 65 Liter reduziert worden. 2012 wird dieser Wert verringert auf 60 Liter. Hinzu kommt, dass Hybridfahrzeuge nochmals zwei Liter weniger tanken dürfen. Diese absolute Zahl von zwei Litern stammt aber noch aus einer Zeit, als das Tankvolumen 81 Liter betragen hat. Anders gesagt: Jetzt ist der prozentuale Anteil von zwei Litern bei 60 Liter Gesamtvolumen viel höher, was ungerechtfertigt ist. Praktisch ausgedrückt: Es kann durchaus passieren, dass Hybridfahrzeuge in Le Mans künftig eine Runde früher tanken müssen als Dieselfahrzeuge ohne Hybridsystem. Wie soll dem Zuschauer dabei technischer Fortschritt vermittelt werden?»
Hybridantriebe dürfen ihre rekuperierte Energie auch auf die Vorderräder abgeben, aber nur oberhalb von 120 km/h. Was bedeutet dies?
«Es bedeutet, dass mit dem Antrieb auf die Vorderräder keine Traktionsvorteile aus engen Kurven heraus umgesetzt werden können. Das Hybridsystem kann also auch an dieser Stelle keine Vorteile geltend machen. Je weniger nutzbare Vorteile eine solche Technik bietet, desto fragwürdiger wird es, in solche Systeme zu investieren.»
Auch im Bereich Sicherheit hat sich einiges verändert. Dies betrifft die Finne auf der Heckabdeckung. Über Vorder- und Hinterrädern sind künftig Öffnungen vorgeschrieben. Begrüßen Sie diese Schritte?
«Mehr Sicherheit ist immer begrüßenswert. Aber es muss geprüft werden, wie und ob sie überhaupt erreicht wird. Die Abmessungen der Finne werden nur leicht verändert. Viel gravierender sind die großen Öffnungen über den Rädern, die jetzt vorgeschrieben sind. Sie sollen seitlichem Abheben entgegenwirken, wenn das Auto einen großen Gierwinkel erreicht, sich also zu drehen beginnt. Dieser Gedanke ist durchaus richtig. Leider aber verringern diese Öffnungen die Stabilität bei Geradeausfahrt. Denn die Balance des Autos wird nach vorne verschoben, die Tendenz zum Übersteuern somit verstärkt. Das heißt: Die Gefahr, dass sich ein Auto überhaupt dreht, wird sogar erhöht.»
Können Sie die Summe der Maßnahmen für 2012 insgesamt abschließend beurteilen?
«Wir haben dem ACO zu verstehen gegeben, dass wir mit verschiedenen Schritten nicht einverstanden sind. Der ACO hat die 24 Stunden von Le Mans konsequent zu einem Zukunftslabor entwickelt, oft eine Vorreiterrolle gespielt und damit zusammen mit den Automobilherstellern dem Motorsport, aber auch der Automobilentwicklung wichtige Impulse gegeben. Nun soll aber eine Balance erzielt werden, in der die Leistungsfähigkeit vergleichsweise alter Fahrzeug- und Motorkonstruktionen mit modernsten Entwicklungen gleichgestellt werden soll. Das fördert aus unserer Sicht den Fortschritt nicht!»
Quelle: Audi Sport