History: Gesperrt! Weitere verbannte GP-Piloten
Im ersten Teil unserer Geschichte haben wir vom ungestümen Romain Grosjean erzählt, vom überforderten Yuji Ide, von Stars wie Michael Schumacher, Mika Häkkinen und Nigel Mansell, die gepatzt haben, vom undurchsichtigen Ricardo Londono und vom Schlitzohr Hans Heyer.
Immer wieder haben wir erlebt, dass Fahrer im Rahmen der Formel-1-WM gesperrt werden mussten, teilweise aus skurrilsten Gründen – entweder vom Verband oder gleich vom eigenen Rennstall. Was einige Piloten nicht davon abgehalten hat, trotzdem zu fahren. Hier Teil 2 unserer Story.
Jean-Pierre Beltoise 1971
Der Franzose Jean-Pierre Beltoise hatte seine Karriere auf zwei Rädern begonnen. Ab 1963 nahm er an Sportwagerennen teil. 1964 erlitt er beim 12-Stunden-Rennen von Reims so schwere Armverletzungen, dass er den linken Arm nie wieder voll nutzen konnte. Das gleiche Problem, das heute Williams-Fahrer Robert Kubica hat, nur ist es beim Polen der rechte Arm.
Ignazio Giunti war 29 Jahre alt und stand am Etappenziel seiner Wünsche. Er war Werksfahrer bei Ferrari und konnte 1970 seinen ersten Grand Prix für den Rennstall aus Maranello fahren – in seinem ersten Rennen wurde er gleich Vierter, dies auf dem damals noch längeren, atemraubend schnellen Kurs von Spa-Francorchamps. Sein erster Einsatz 1971 war allerdings in der Marken-WM, bei den 1000 Kilometern von Buenos Aires, am 10. Januar 1971.
Es lief gut für Ignazio Giunti. Im Training konnte er den kleinen, offenen Ferrari-Sportwagen vom Typ 312PB gegen die starke Konkurrenz von vier Porsche 917 der Teams von John Wyer und Hans-Dieter Dechent in die erste Reihe stellen. In den ersten Rennrunden gab es einen verbissenen Dreikampf der 917er von Vic Elford und Pedro Rodríguez mit Giuntis Ferrari.
Die Porsche mussten früher zur Tankstelle, somit übernahm der Italiener die Führung. Den Zeitpunkt zum Tanken verpasst hatte hingegen Jean-Pierre Beltoise, der sich mit seinem Namensvetter Jabouille einen Matra teilte. Der Wagen blieb 600 Meter vor der Boxeneinfahrt stehen. Beltoise schob nun – mit mehr oder weniger nur einem Arm – seinen Wagen auf der Strecke. Doch er musste nicht nur die leicht ansteigende Start/Ziel-Gerade bewältigen, sondern auch noch die Piste queren, da die Boxengasse an der rechten Streckenseite war, sein Matra sich aber noch links befand.
Drei Runden ging das gefährliche Unterfangen gut, dann drehte Beltoise das Lenkrad nach rechts und schob den Wagen Richtung Streckenmitte. Im 38. Umlauf befand sich Giunti im Windschatten des Fillipinetti-Ferrari von Mike Parkes, als der Richtung Ziellinie fuhr. Parkes fand links um Haaresbreite einen Weg vorbei am Matra. Doch Ignazio, der hinter dieser Kuppe und dazu noch direkt hinter seinem Konkurrenten Parkes fuhr und so Matra nicht sehen konnte, scherte aus und knallte in den Wagen von Beltoise. Der Franzose hatte Glück, weil er gerade wieder neben seinem gestrandeten Boliden stand.
Der Aufprall war fürchterlich, der Ferrari explodierte regelrecht, vor den Augen der Besucher auf der vollbesetzten Haupttribüne entbrannte ein Inferno, in dem Ignazio Giunti den Tod fand. Das Fehlverhalten von Beltoise sorgte für eines der dunkelsten Kapitel der Rennsportgeschichte. Beltoise wurde kurz nach dem Unfall von den argentinischen Behörden verhört. Später erhielt er Geldstrafen und zeitweisen Lizenzentzug des Automobilverbands. Ignazio Giunti bekam posthum eine Teilschuld zugeschoben, man warf ihm vor, die Flaggenzeichen nicht beachtet zu haben.
Beltoise blieb Matra bis ins Jahr 1971 treu, Privatleben und Karriere waren jedoch weiter von Rückschlägen geprägt: 1966 kam seine erste Gattin Éliane bei einem Autounfall ums Leben. Jean-Pierre wechselte für 1972 zu BRM und gewann im Regen-GP von Monaco seinen einzigen Grand Prix. Die Verhältnisse waren wie gemacht für das extreme Feingefühl des Parisers, und Lenkkräfte spielten bei solchen Bedingungen keine Rolle.
Er absolvierte für Ligier die meisten Testfahrten im Hinblick auf deren Formel-1-Debüt der Franzosen 1976, doch Teamchef Guy Ligier und Hauptgeldgeber Gauloises gaben dem sechs Jahre jüngeren Jacques Laffite den Vorzug. Damit war Jean-Pierres Formel-1-Karriere beendet. Beltoise war darüber jahrelang verbittert. Die Erinnerung an den Tod von Giunti hat ihn bis zu seinem Tod 2015 verfolgt.
Clay Regazzoni 1973
Der Tessiner Clay Regazzoni kam 1970 als Formel-2-Champion zu Ferrari, da war er schon reife 30 Jahre alt, aber einer der unterschrockensten Fahrer im Feld, gefürchtet im Zweikampf. Er gewann seinen vierten Grand Prix, passenderweise in Monza, und wurde noch WM-Dritter, obschon er nur sieben von dreizehn WM-Läufen bestritten hatte. 1971 und 1972 fuhr er ebenfalls für Ferrari, anschliessend dockte er mit Marlboro-Geld bei BRM an.
Die Saison begann vielversprechend, aber dann wurde schnell klar, dass BRM nicht den besten Motor und mit Firestone auch nicht die konkurrenzfähigsten Reifen hatte. Vor dem Kanada-GP nahm Regazzoni über die Mängel seines Autos kein Blatt mehr vor den Mund. Worauf ihn Teamchef Tim Parnell aus dem Auto holte, offiziell, weil Clay in den Rennen zuvor nicht so gut gefahren sei. Inoffiziell, weil es ihn störte, dass jemand so über BRM ablederte. Von fahrerischen Mängeln wusste Regazzoni selber nichts, er erfuhr erst am Donnerstag vor dem Rennen nach seiner Ankunft in Mosport davon, dass er gar nicht fahren würde. Von einem Journalisten. Clay wurde durch Peter Gethin ersetzt. In den USA sass Regazzoni auf Druck von Marlboro wieder im Auto. Dann aber ging er zu Ferrari zurück und wurde 1974 hinter Emerson Fittipaldi WM-Zweiter.
Clay Regazzoni bereute, dass er am Chaos-GP von Kanada 1973 nicht teilnehmen konnte, denn der erste Einsatz eines Führungswagens (heute: Safety-Car) geht auf diesen WM-Lauf zurück und ein halbes Dutzend Fahrer hätten dieses Rennen gewinnen können. Safety-Car-Pilot Eppie Wietzes suchte sich mit dem Porsche 914 zur Sicherheit den falschen Leader aus, bis heute wird darüber diskutiert, wer in Wahrheit den Kanada-GP gewonnen hat. Wietzes fing in seinem knallgelben 914er das Feld nach einem Unfall zwischen François Cevert und Jody Scheckter ein, blieb aber aus Versehen vor dem Iso-Marlboro-Auto von Howden Ganley. Das ermöglichte es es einigen Fahrern, inklusive des späteren Siegers Peter Revson, eine Runde gut zu machen. Davon abgesehen schickten die Organisatoren nach dem Crash auch gleich eine Ambulanz auf die Bahn, worauf Stars wie Denny Hulme einen eher ungewöhnlichen Gegner überholen mussten.
Vern Schuppan 1974
Der Australier Vern Schuppan nahm 1974 unerlaubt am Grossen Preis von Schweden teil, und das kam so: Die Organisatoren wollten unbedingt ein volles Feld sicherstellen (in Anderstorp 25 Autos), also wurde Ensign-Fahrer Schuppan gebeten, sich in die Startaufstellung zu platzieren – sollte ein Gegner kurz vor dem Start ein Problem haben. Denn Vern hatte sich als 26. eigentlich nicht für den Grand Prix qualifiziert. Nach der Aufwärmrunde signalisierte niemand Schuppan, bitteschön an die Box zu fahren, also stand Vern auch noch in der Aufstellung, als das Feld auf die Reise geschickt wurde. Und als in den ersten Runden ebenfalls kein Befehl kam, das Rennen gefälligst abzubrechen, blieb der Australier einfach auf der Bahn. Bis die Zielflagge fiel! Schuppan kam drei Runden hinter Sieger Jody Scheckter (Tyrrell) ins Ziel und wurde von den inzwischen erwachten Rennkommissaren prompt disqualifiziert.
Tim Schenken 1974
Genau das Gleiche wie Vern Schuppan tat der Australier Tim Schenken beim Grossen Preis der USA in Watkins Glen! So wie Schuppan hatte sich auch Schenken eigentlich nichts fürs Rennen qualifiziert, doch die Regeln verboten es nicht, dass diese Fahrer als Reservisten die Warm-up-Runde fahren. Mit der gleichen Überlegung wie in Schweden – damit flugs jemand einspringen kann, wenn ein Gegner Besuch der Defekthexe erhält. Schenken, einmalig im Lotus-Team von Colin Chapman unterwegs, kam nicht wie abgemacht nach der Aufwärmrunde zur Box, sondern begann das Rennen. Weil Chapman ihm das so befohlen hatte! Nach einigen Runden zeigten sich die amerikanischen Rennkommissare ein wenig geistesgegenwärtiger als die Kollegen aus Schweden und holten den Australier von der Bahn.
Harald Ertl 1976
Und noch ein Fahrer ging unerlaubt ins Rennen – der in Österreich geborene, aber für Deutschland startende Bartträger Harald Ertl. Ertl stellte sich unter den gleichen Bedingungen auf wie zwei Jahre vor ihm Schuppan und Schenken. Der spätere deutsche Rennsportmeister erklärte sich so: «Da mir am Start keiner sagte, ich solle bitteschön wieder an die Box fahren, fuhr ich weiter und dachte – die schwarze Flagge wird schon kommen.» Sie kam aber nicht. Stattdessen brach am Hesketh-Renner die Halbachse, bevor die Rennleitung aktiv werden konnte.
Andrea de Cesaris 1981
214 Formel-1-WM-Läufe fuhr der Römer Andrea de Cesaris von Kanada 1980 bis Jerez 1994. Zu einem Sieg hat es nie gereicht. Am Speed lag es nicht. Von dem hatte «de Crasheris» schon fast zu viel. Den wenig schmeichelhaften Spitznamen verdiente sich Andrea mit sehr vielen Unfällen in der ersten Hälfte seiner Karriere, aber in der zweiten entwickelte er sich zu einem überaus zuverlässigen Piloten. Er war auch ein Wandergeselle: 1980 Alfa Romeo, 1981 McLaren, 1982 und 1983 wieder bei Alfa, 1984/85 in Diensten von Ligier, 1986 Minardi, 1987 Brabham, 1988 Rial, 1989/90 BMS-Dallara, 1991 Jordan, 1992/93 Tyrrell, 1994 nochmals Jordan, dann schliesslich Sauber. Kein Pilot ist für mehr GP-Rennställe gefahren.
Im Sommer 1981 hatten die McLaren-Mechaniker die Nase gestrichen voll von Andrea de Cesaris. Nach einem weiteren Unfall im Training weigerten sie sich, für den Italiener den Wagen zu reparieren. McLaren legte seinen Hitzkopf auf Eis. Dabei hatte er in der Quali immerhin Rang 13 erreicht. Das Unfall-Bild von de Cesaris ging um die Welt: Denn als nach dem Einschlag die Reifenstapel in Dutzenden von Walzen zersprengten, schien rechts davon das Michelin-Männchen Reissaus zu nehmen. Später hat jemand errechnet, dass Andrea in jener Saison mehr als zwanzig Crashes hatte. Andrea de Cesaris kam Anfang Oktober 2014 in seiner Heimatstadt Rom bei einem Motorradunfall ums Leben.
Roberto Guerrero 1982
Eigentlich hätte der Kolumbianer Roberto Guerrero 1982 in Kyalami (Südafrika) zum ersten Grand-Prix-Fahrer seines Landes in der Formel-1-WM werden sollen. Wie wir aus der ersten Geschichte der Gesperrten wissen, erhielt sein Landsmann Ricardo Londono 1981 in Brasilien keine Fahrerlaubnis. Das wäre bei Guerrero nicht das Problem gewesen. Dennoch gab es Knatsch mit Dokumenten. Denn während Roberto für Ensign in Südafrika das Training bestritt, erhielt Teamchef Mo Nunn Post von den Anwälten – Willy Maurer hatte gegen Guerrero eine einstweilige Verfügung verhängen lassen, weil der Formel-2-Teambesitzer fand, Guerrero habe einen gültigen Vertrag mit ihm. Nunn holte Roberto aus dem Wagen, offiziell, weil er «psychisch und physisch nicht in der Lage ist, ein Formel-1-Auto zu fahren». Bis zum folgenden Rennen in Brasilien waren die Probleme gelöst, Guerrero durfte fahren und beendete die Saison punktelos, mit Rang 8 in Hockenheim als Highlight.
Ayrton Senna 1984
Der spätere Superstar Ayrton Senna unterzeichnete beim Unternehmer Ted Toleman einen Dreijahresvertrag, um 1984 den Schritt in die Formel 1 zu machen – an der Seite des früheren Motorrad-Weltmeisters Johnny Cecotto. Aber schon nach wenigen Rennen erkundigten sich fast alle GP-Teams nach den Vertragsdetails Sennas, um den angehenden Weltmeister aus seinem Abkommen zu sprengen. Lotus machte das Rennen, im Rahmen des niederländischen WM-Laufs in Zandvoort wurde der Vertrag verkündet. Leider hatte es Senna versäumt, Toleman davon in Kenntnis zu setzen. Teambesitzer Ted Toleman verpasste Senna einen Denkzettel und liess ihn beim Rennen in Monza nicht fahren. Stattdessen wurden die beiden Autos von Stefan Johansson und Pierluigi Martini bewegt. Cecotto hatte seine GP-Karriere nach einem üblen Unfall in England beenden müssen. Senna durfte ab dem Europa-GP auf dem Nürburgring wieder Toleman fahren, bedankte sich beim Finale von Portugal mit Rang 3 (hinter Sieger Prost und Weltmeister Lauda), ein Jahr später gewann Ayrton im gleichen Estoril unter strömendem Regen seinen ersten Grand Prix, ab 1988 sass er im McLaren und machte Prost das Leben zur Hölle.