Neues Rätsel Racing-Raritäten: Prächtige Aussicht
Aus dem Archiv unserer Partner der britischen Foto-Agentur LAT stellen wir bekanntlich jede Woche ein kleines Stück Motorsporthistorie vor. Das Vorgehen ist kinderleicht – sagen Sie uns, wer zu erkennen ist, wo und wann das Bild entstand (Beispiel: Jo Siffert, Monza, 1970) und gewinnen Sie mit etwas Glück einen kleinen Preis. Bitte Namen, Adresse, Geburtsjahr und Telefonnummer nicht vergessen. Schicken Sie Ihre Lösung an: mathias.brunner@speedweek.com. Einsendeschluss ist jeweils Sonntag der laufenden Woche, 24.00 Uhr.
Die richtige Lösung vom letzten Mal: Der Engländer Graham Hill im Shadow-Ford in Farben des Zigarettenherstellers Embassy. Das Bild stammt aus dem Training zum Grossen Preis von Frankreich 1973 auf dem Circuit Paul Ricard bei Le Castellet, als die Lufthutze am Renner des Briten abknickte.
Graham Hill ist bis heute der einzige Fahrer, der Formel-1-Champion geworden ist (1962 mit BRM, 1968 mit Lotus) und in Indy sowie in Le Mans gewinnen konnte. 1966 gewann Hill das Indy 500 auf Anhieb, als Jackie Stewart (ebenfalls im ersten Indy-Einsatz) zum Sieg zu fliegen schien, bevor sein Wagen liegenblieb. 1972 triumphierte Hill in Le Mans im Matra an der Seite von Henri Pescarolo.
Hill war nie ein begnadetes Talent wie Jim Clark. Er musste sich seinen Erfolg erschuften. Sein Helmdesign wurde weltberühmt – die stilisierten, weissen Ruderblätter auf dem dunkelblauen Helm waren ein Knicks vor dem «London Rowing Club», da Hill auch ein leidenschaftlicher Ruderer war.
Sein Sohn Damon trat später mit dem gleichen Design an, die beiden wurden zur ersten Vater-Sohn-Weltmeisterkombination. Graham eroberte die Titel 1962 und 1968, Damon seinen Titel 1996. Papa Graham fuhr länger (von 1958 bis 1975) als Damon (von 1992 bis 1999), dafür war Damon an Siegen erfolgreicher – 22:14.
Graham Hills reiche Karriere füllt Bücher und sprengt diesen Rahmen. Daher nur so viel: Nach einer weniger erfreulichen Lehre als Instrumentenbauer und einem Einsatz in der Marine landete Hill als Mechaniker bei Lotus-Gründer Colin Chapman. Mit BRM wurde Hill 1962 erstmals Weltmeister. Typisch Hill, dass diese Tage mit einem skurrilen Erlebnis verbunden war.
So spät wurde keine andere Formel-1-Weltmeisterschaft entschieden: Am 29. Dezember 1962 wurde Graham Hill in East London (Südafrika) neuer Champion. Viel Zeit zum Feiern und Ausruhen gab es nicht: Am 5. Januar sollte Hill bei einem nicht zur WM zählenden Formel-1-Rennen in Neuseeland antreten.
Direktflüge waren damals eine Seltenheit: die Maschinen hatten einfach zu wenig Reichweite. Nach einem Zwischenstopp in Nairobi kamen Hill und sein Reisebegleiter Innes Ireland in Karachi an. Von dort sollte es mit einer Maschine der BOAC nach Sydney (Australien) weitergehen.
Leider verspätete sich die BOAC, was den pakistanischen Behörden die Gelegenheit gab, die Dokumente der Herren Hill und Ireland etwas genauer zu betrachten. Dabei stellte sich heraus: kein Zertifikat für eine Impfung gegen Gelbfieber. Worauf die beiden Formel-1-Piloten prompt ins Gefängnis gesteckt wurden!
Graham Hill später: «Es sah ziemlich grimmig aus – vor den Gitterstäben patroullierten Soldaten mit aufgesetztem Bajonett. Allerdings erwiesen sich die Pakistani als sehr zuvorkommende Gastgeber, die Behausung mal abgesehen. Wir bestellten eine Flasche Brandy, die im Nu leer war, und dann gleich noch eine. Neujahr verbrachten wir somit zwar hinter Gittern, aber in zunehmend guter Laune.»
Mit einem Tag Verspätung landete die BOAC dann doch noch, und zwei leicht ramponierte Briten wurden Richtung Sydney eingeladen.
Der Trip nach Neuseeland lohnte sich für den späteren fünffachen GP-Sieger von Monaco Hill nicht: Im Allrad-Renner von Ferguson schied er in der letzten Runde aus. Beim Nachhauseweg wählte er eine Route, die nicht über Pakistan führte.
1963 wurde Hill hinter seinem Dauerrivalen Jim Clark WM-Zweiter, 1964 stand Graham kurz vor dem zweiten Titel, wurde aber erneut Zweiter (hinter John Surtees), 1965 erneut Zweiter, wieder hinter Jim Clark.
Die Niederlage in Mexiko 1964 hatte ein «G’schmäckle», wie die Süddeutschen sagen würden – wegen Ferrari.
Vor dem Finale führte Graham Hill (BRM) die WM an, mit 39 Punkten. John Surtees (Ferrari) lag auf dem zweiten Rang, mit 34 Zählern. Jim Clark (Lotus) besass ebenfalls noch Chancen, dazu musste er jedoch gewinnen (und damit neun Punkte holen) und auf etwas Pech der Gegner hoffen.
Hills Siegesaussichten waren zunichte, als er ausgerechnet von Surtees’ Stallgefährte Lorenzo Bandini auf die Hörner genommen wurde (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Der Stubser reichte, um die Auspuffanlage von Hills BRM zu verbiegen. Das führte zu einer Reihe von Boxenhalten und letztlich zum elften Platz – also keine Punkte für den Weltmeister von 1962.
Jim Clark machte an der Spitze alles richtig. Er war von Pole-Position in Führung gegangen. Als er auf die letzte Runde ging, glaubte sich die Lotus-Truppe am Ziel ihrer Träume – mit dem Sieg würde er ebenfalls 39 Punkte erobern, wie Hill, aber mehr Siege zu Gunsten von Clark würden Jim den Titel schenken.
Doch an Bord des Lotus fuhren Sorgen mit: der Wagen verlor seit längerem Öl. Den Titel vor Augen, rollte Clark wegen Motorschadens aus! Der Schotte wurde schliesslich noch als Fünfter gewertet. Es führte nun Gurney vor Bandini und Surtees, Rang 3 würde für den früheren Motorrad-Star Surtees aber nicht reichen. Zu diesem Zeitpunkt war Graham Hill trotz Aussicht auf eine Nullrunde Champion.
Als der Ferrari-Mannschaft klar wurde, welches Drama sich beim überlegend führenden Clark abspielte, hing die halbe Truppe über der Boxenmauer, um Bandini zu signalisieren, er solle Surtees vorbeziehen lassen. Zur Erinnerung: es gab damals noch keinen Sprechfunk.
Bandini überriss die Situation schnell und liess Surtees überholen. So hiess die Reihenfolge nach 65 Runden: Gurney, Surtees, Bandini. Das reichte für Surtees zum Titel.
Graham Hill blieb in der Niederlage ganz Champion: «Lorenzo Bandini war heute jede Lira seines Gehalts wert», verkündete der Geschlagene – und sandte dem Italiener zu Weihnachten ein Buch «So fahre ich richtig Auto». Bandini konnte darüber lachen.
Hill kehrte zu Lotus zurück, an die Seite von Jim Clark. Es war Hill, der das Team aufrichtete, als Clark in Hockenheim 1968 aus dem Leben gerissen wurde. Eine seltsame Parallele: So wie Damon Hill 1994 seinen Rennstall führen musste, als Ayrton Senna starb.
Hill wurde zum Monaco-Dauersieger (fünf Erfolge), ein schwerer Unfall 1969 mit üblen Beinbrüchen hätte für jeden anderen Piloten das Karriere-Ende bedeutet. Immerhin war Hill schon 40 Jahre alt. Aber Graham kämpfte sich zurück, auch wenn bei Colin Chapman kein Platz mehr war neben dem neuen Team-Leader Jochen Rindt. Hill trat im privaten Lotus von Rob Walker an.
In den kommenden Jahren wurde klar: Graham Hill war längst im tiefsten Winter seiner Karriere, aber er konnte nicht aufhören. Ein Warnsignal: Nichtqualifikation ausgerechnet in seinem Monaco.
Ende 1973 gründete Hill sein eigenes Team. 1975 sollte zu seinem Schicksalsjahr werden. Als Teamchef musste er erleben, wie sein Fahrer Rolf Stommelen in Spanien schwer verunglückte und mehrere Menschen in den Tod riss. Stommelen überlebte schwerverletzt.
Am 29. November 1975 stürzte die Piper Aztec des leidenschaftlichen Fliegers Hill im dichten Nebel an. Neben Hill kamen fünf weitere Mitglieder des Embassy-Rennstalls ums Leben, darunter das Naturtalent Tony Brise.
Es sind sehr persönliche Erinnerungen, die Damon Hill Jahre später dazu teilte: «Der Tod war in meiner Kindheit immer präsent.»
«Es war ein brutaler Sport. Ich weiss noch, wie ich damals dachte, dass mein Vater beim nächsten Weihnachtsfest vielleicht nicht mehr dabei sein würde, oder nächste Woche nicht mehr da wäre . Ein Teil von mir war beeindruckt, dass mein Vater etwas Besonderes war und etwas Gefährliches machte. Aber ein anderer Teil von mir dachte einfach nur: Ich will nicht. dass er stirbt, ich will nicht, dass er das macht.»
«Die ganze Familie richtete sich nach Papas Wünschen. Die Hauptaufgabe meiner Mutter war dafür zu sorgen, dass alles nach seinen Vorstellungen lief. Meine Schwestern und ich kamen in diesem Projekt nur an zweiter Stelle», fügt er offen an. «Meine Schwester Brigitte ist 18 Monate älter als ich, Samantha ist vier Jahre jünger. Wir hatten in den jüngeren Jahren schon eine gewisse geschwisterliche Rivalität, denn wir buhlten um die Aufmerksamkeit unseres Vaters. Als einziger Sohn von Graham Hill wurde ich die ganze Zeit in Autos gesteckt und fotografiert – anders als meine Schwestern.»
Dann kam der schicksalshafte 29. November, in dem Hill und fünf weitere Mitglieder seines Teams bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Hill flog die Piper Aztec, die er sich von der Siegprämie für das Indy500 gekauft hatte, als es beim Anflug auf den Flughafen Elstree in dichtem Nebel über der Ortschaft Arkley in Grossbritannien Abstürzte.
«Ich war 15 Jahre alt, als mein Vater starb. Sein Tod war eine emotionale Atombombe. Er kam so ganz aus dem Nichts – mein Vater hatte seinen Rennfahrer-Helm gerade an den Nagel gehängt und meine Mutter, meine Schwestern und ich hatten die Sorgen, die wir jahrelang mit uns rumgetragen haben, abgelegt», erzählt Damon Hill. «Sein Tod traf uns sehr hart. Da war ein Loch – ein Krater – wo er vorher war. Ich kam damit klar, indem ich mir selbst sagte: Es ist nicht gut, Selbstmitleid zu empfinden. Wir hatten das Glück, Zeit mit ihm erlebt zu haben.»
Aber der Verlust seines Vaters brachte auch ein neues Gefühl für Freiheit mit sich. Damon erklärt: «Ich schätzte meinen Vater über alles, doch als er starb, standen wir nicht mehr im Mittelpunkt und ich hatte die Chance, ich selbst zu sein. Da war dieses Gefühl der Erleichterung. Ich musste mir keine Sorgen mehr machen, ob mein Vater gut findet, was ich mache. Es war ein kompliziertes Freiheitsgefühl, das sich auf Kosten seines Lebens einstellte.»
Erst nach dem Ableben seines Vaters wandte sich Damon Hill der Rennfahrerei zu: «Der Tod meines Vaters weckte in mir den Wunsch, seinem Beispiel zu folgen und Rennfahrer zu werden. Vor seinem Tod hatte ich nie das Bedürfnis, Rennen zu fahren, und vielleicht wäre dieses Verlangen auch nie aufgekommen, wenn er nicht gestorben wäre – ich weiss es wirklich nicht. Ich weiss aber, dass es mir nicht so sehr gefehlt hat, seit ich es aufgegeben habe.»
Der 22fache GP-Sieger gesteht unumwunden: «Mit der Rennfahrerei liess ich meinen Vater wieder aufleben. Meine Leistungen gehörten mir, aber sie standen gezwungenermassen immer in Verbindung mit dem Erbe meines Vaters. Auf gewisse Weise erlaubte mir das, ihn als Erwachsenen kennenzulernen, wie ich es anders nicht hätte tun können. Weil ich wusste, was er durchmachen musste, kam ich ihm näher. Aber es ist sehr schwierig, die gleichen Karrierepfade wie dein Vater einzuschlagen, wenn dieser sehr erfolgreich war.»
Zum neuen Rätsel: Wir wissen nicht, ob der Fahrer Zeit hatte, die grandiose Kulisse zu wertschätzen, aber wir geben gerne zu – wir haben das Bild exakt deshalb ausgewählt.
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