Ferrari: Was Teamchef Arrivabene den Job gekostet hat
Sebastian Vettel und Maurizio Arrivabene
Manche Gerüchte kehren in der Formel 1 zurück wie ein australisches Wurfholz. So etwa die Story, wonach Ferrari in alte Verhaltensmuster zurückkehre und eine mögliche WM-Niederlage von Sebastian Vettel jemanden den Kopf kosten werde. Dieser Jemand heisst Maurizio Arrivabene. Was seitens des 61jährigen Italieners immer wieder als «Fake News» verhöhnt worden ist, verdichtet sich zur Tatsache: Die Kollegen der Gazzetta dello Sport verkündeten es als Erste, kurz darauf zogen zahlreiche italienische Medien nach – Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene sei seinen Posten los, ersetzt durch den Technischen Leiter des Formel-1-Rennstalls, Mattia Binotto (49). Ferrari schweigt sich zur Palastrevolution bislang aus.
Was ist passiert? Angeblich habe Fiat/Chrysler- und Ferrari-Präsident John Elkann (42) während der Feiertage zu Weihnachten und Neujahr beschlossen, dass die Rennabteilung von Ferrari eine andere Führung benötige. Arrivabenes Nachfolger Mattia Binotto werde künftig eine Doppelrolle spielen – Teamchef und Technikleiter. Seit längerem war von einem Machtkampf die Rede, den scheint Binotto gewonnen zu haben. Als letztes Druckmittel habe der in Lausanne geborene Italiener Offerten anderer Teams benutzt. Unter dem Motto: Werde ich nicht befördert, dann bin ich weg. Mercedes hat dementiert, Binotto einen Job angeboten zu haben, von Renault kam zu einer solchen Offerte kein Dementi, aber auch keine Bestätigung.
Immer wieder kursierte in Italien, der frühere Fiat/Chrysler-CEO und Ferrari-Präsident Sergio Marchionne wolle künftig auf Binotto setzen. Wie weit solche Pläne gediehen waren, wird im Dunkeln bleiben: Der charismatische Automanager Marchionne verstarb Ende Juli im Zürcher Universitätsspital.
Sebastian Vettel hat 2018 wie im Jahr zuvor das Titelrennen gegen Lewis Hamilton und Mercedes verloren. Besonders bitter – Ferrari schien zu Saisonbeginn und bis in den Sommer hinein das bessere Fahrzeug zu besitzen. Fahrfehler von Sebastian Vettel, Strategiepatzer von Ferrari, vor allem jedoch eine effizientere Entwicklung bei Mercedes-Benz führten dazu, dass die Silberpfeile ab Sommer mehr Erfolg hatten, die Italiener erneut unterlagen und nun seit 2007 (Kimi Räikkönen) ohne Fahrer-WM-Titel sind.
Aber das verlorene Titelrennen allein war es wohl nicht. Auch der Führungsstil von Arrivabene gehörte auf den Prüfstand. Es ist davon die Rede, dass er zu viel alleine entscheiden wollte, das habe bei seinen Mitarbeitern zu Murren geführt. Er habe Mitarbeiter eingeschüchtert, worüber keiner öffentlich spricht und folglich als Hörensagen eingestuft werden muss. Er führte hingegen eine Nullinformations-Politik auf dem Rennplatz, wofür es reichlich Beweise gibt. Er war der einzige Teamchef, der über FIA-Medienrunden und einige kurze TV-Interview für Berichterstatter nicht mehr zugänglich war. Keine besonders intelligente Vorgehensweise, wenn man am Ruder des berühmtesten Rennstalls der Welt steht.
Für Vettel ist der Wechsel an der Spitze ein Schock, weil Ferrari nicht zur Ruhe kommt und er mit Arrivabene ein gutes Verhältnis hatte. Am Tagesgeschäft wird sich für ihn nichts ändern, zudem kennt Binotto den Rennstall durch und durch. Wenn aus dem Technikchef Binotto der Teamchef Binotto wird, dann schwächt das die Technikabteilung auch nicht. Schon als Chef der Motorabteilung hat Mattia nicht jedes Einlassventil selber entworfen, sondern eher die Funktionen eines Managers übernommen, so wie das früher von Ross Brawn jahrelang vorgemacht wurde.
Binotto gilt als Menschenkenner, guter Zuhörer, weiser Einschätzer einer Situation. Was Binotto von seinem Vorgänger James Allison unterscheidet – Binotto ist kein Chassis- und Aerodynamikspezialist. Hier muss er sich auf seine Mitarbeiter stützen. Aber als Renningenieur hat Binotto ein grösseres Bild erfasst und seine Ausbildung komplettiert.
Beim neuen Auto mit Projektnummer 670 vertraute Binotto ganz auf seine Ingenieure, wobei Aerodynamiker Enrico Cardile mehr Verantwortung erhalten soll, Leiter der Motorabteilung bleibt Corrado Iotti. Der Posten des Technikchefs soll künftig unbesetzt bleiben.
Maurizio Arrivabene wurde am 7. März 1957 im italienischen Brescia geboren und begann nach seinem Abitur ein Architekturstudium in Venedig. Arrivabene schloss es allerdings nicht ab und ging stattdessen 1997 zu Philip Morris International in Lausanne, wo er im Marketing- und PR-Bereich tätig war. 2007 wurde er zum Vizepräsident von «Marlboro Global Communication & Promotions» befördert. 2001 wurde er Vizepräsident von Consumer Channel Strategy and Event Marketing. Durch seine Arbeit bei Philip Morris und die Sponsorentätigkeit des Unternehmens beim Formel-1-Team Ferrari mit der Marke Marlboro kam Arrivabene früh mit der Königsklasse in Kontakt und war seit 2010 als Vertreter der Sponsoren auch Mitglied der Formel-1-Kommission der FIA.
Als Ferrari-Präsident Sergio Marchionne 2014 einen Nachfolger für den deplatzierten Marco Mattiacci suchte (der selber erst im Frühling den Posten des Ferrari-Rennchefs von Stefano Domenicali übernommen hatte), kam er bald auf Arrivabene. Marchionne machte die bodenständige Art Maurizios Eindruck, im Gegensatz zu Mattiacci war Arrivabene in der Formel 1 und in Maranello erstklassig vernetzt.
Mattia Binotto, geboren am 3. November 1969 in Lausanne, Absolvent des Polytechnikums Lausanne für Mechanik, später weitere Ausbildung in Modena zum Fahrzeugingenieur, ist seit 1995 bei Ferrari in Maranello tätig. Zunächst als Motorenfachmann im Testteam, ab 1997 in der Rennmannschaft. 2004 und 2005 engagierte sich Binotto als Renningenieur und arbeitete am Wagen von Rubens Barrichello, stieg dann zum leitenden Ingenieur auf, 2009 zum Chef der Motorenentwicklung. Im Oktober 2013 eine weitere Beförderung: zum stellvertretenden Motorenchef, 2014 erhielt Binotto den Posten des in Ungnade gefallenen Luca Marmorini.
Angeblich wartet auf Maurizio Arrivabene ein leitender Posten beim Fussballklub Juventus Turin.