Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Toto Wolff: «Lewis Hamilton bleibt extrem motiviert»

Von Gerhard Kuntschik
Toto Wolff

Toto Wolff

Der Wiener Mercedes-Teamchef Toto Wolff, erfolgreichster Rennstall-Steuermann der Gegenwart, zieht eine erste Saisonbilanz, spricht über Lewis Hamilton und blickt in die Zukunft.
Toto, wie beurteilst du die neuen, ab 2021 geltenden Regeln?

Für uns sind sie ein wenig zu reduziert. Man versuchte, die Performance aller Teams anzugleichen durch eine gewisse Vereinheitlichung der Chassis. Die aerodynamischen Flächen werden verkleinert oder weniger. Die Frontflügel werden demnach alle gleich ausschauen, da frage ich mich schon: Ist das noch die Formel 1? Und ich meine: Die neuen Autos werden nicht um drei Sekunden pro Runde langsamer sein, wie die Regelmacher sagen, sondern um sechs. Aber man muss anerkennen, dass die Sache gelungen ist, wenn die Rennen spannender werden. Da ist es egal, ob die Autos schneller oder langsamer sind.

Was bedeutet das alles für Mercedes-Benz? Ist die Überlegenheit der vergangenen Ära ab 2021 dahin?

Man darf nicht davon ausgehen, immer vorn zu sein. Das muss man sich immer wieder neu verdienen. Für mich ist beruhigend, dass wir mit Regeländerungen immer gut umgehen konnten. Das war 2009 beim Vorgänger Ross Brawn so, das war so 2014, 2017, 2019. Vielleicht ist diese Neuerung genau die Motivation, die wir brauchen. Dass es neuen Druck gibt.

Jetzt gelang heuer das sechste WM-Double in Folge. War das so zu erwarten? Oder hattest du je Zweifel?

Nach den Wintertests auf jeden Fall. Eigentlich zweifelte ich das ganze Jahr – bis Sotschi. Als dort Ferrari das Rennen mit Vettels Ausfall und Leclercs Pech beim Safety-Car wegwarf, da wurde mir erstmals bewusst: Ja, wir schaffen es wieder. An einen Homerun habe ich aber nie geglaubt.

Ist Lewis Hamilton mit seinem sechsten WM-Titel nun am Zenit seiner Karriere, schon darüber oder noch davor?

Rein altersmässig ist er wahrscheinlich am Zenit. Er ist aber extrem motiviert, um mit Michael Schumacher gleichzuziehen.

Du wirst also auch 2020 versuchen, die Mannschaft auf dem Boden zu halten und optimal neu zu motivieren?

Ja, aber du musst jedes Jahr nachdenken – wie motiviere ich die ganze Mannschaft neu? Motiviert sein, das heisst noch lange nicht, dass es in die Tiefe geht. Es geht darum, die Energie auf die gesamte Firma auszubreiten. Das ist ein Fokus unseres Managements.

Wie erklärst du das Phänomen, dass Mercedes keine Fehler macht? Mercedes gewinnt sogar Rennen, in denen andere haushohe Favoriten sind.

Wir sind als Mannschaft zusammengeschweisst. Wir hatten kaum Abgänge im Team. Wir haben Vertrauen zueinander. Das sind aber alles keine Gründe, warum ein Auto haltbarer ist. Auch uns passieren Fehler, aber relativ wenige. Aber das gilt auch für andere Teams, Red Bull zum Beispiel. Vielleicht sind die häufigeren Fehler ein Ferrari-Phänomen.

Hat dich die Leistung von Honda überrascht?

Ja, und zwar sehr positiv. Es ist gut für die Formel 1, dass Honda und Red Bull konkurrenzfähig sind.

Ist Max Verstappen für dich als Mercedes-Fahrer der Zukunft ein Thema?

Im Moment gibt es drei Fahrer, die über den anderen zu stehen scheinen: Verstappen, Hamilton, Leclerc – egal, in welcher Reihenfolge. Die anderen Jungen sind schwer einzuschätzen: Russell, Ocon, Norris muss man zutrauen, dass sie in einem Top-Auto auch vorn sind. Die drei Erstgenannten werden immer in den besten Autos sitzen. Bei mir ist Loyalität ein ganz wichtiges Thema. Das erste Gespräch wird immer mit den eigenen Piloten stattfinden. Wenn das fruchtet, ist es gut. Wenn nicht, muss ich mich woanders umsehen.

Du hast jetzt mit Bottas neben Hamilton Frieden im Team und gehst eigentlich kein Risiko ein.

Genau. Valtteri ist eine bekannte Grösse und gut zu führen. Beide Piloten sind stark. Das ist eine perfekte Kombination für 2020. Was wir 2021 machen, wenn alle Verträge der Top-Fahrer enden, ist völlig offen.

Wie viel Anteil hat Niki Lauda am Erfolgsjahr?

Die Frage ist gut! Niki war das Herz des Teams. Ich vermisse ihn als Freund am meisten, wir alle vermissen ihn als Mentor, als Sparring-Partner, als Seele der Mannschaft. Seine Stärke, die er dem Team gab, war allein durch seine Präsenz gegeben. Mehr hat es nicht gebraucht. Das vermissen wir.

Mercedes beginnt in wenigen Wochen sein Werkengagement in der Formel E. Was erwartest du da? Siegeszüge wie in der Formel 1?

Ich erwarte einige Höhepunkte. Es gibt viele Teams, die vergangenes Jahr gewinnen konnten. Die haben alle mehr Erfahrung. Die kann man auf Anhieb in der WM nicht schlagen. Mit Highlights meine ich: einige Podestplätze, vielleicht den ersten Sieg. Aber wir kommen nicht dorthin und bügeln alle nieder. Das wird nicht geschehen.

Herrscht im Daimler-Konzern intern Ruhe, was den Motorsport betrifft?

In der Autoindustrie ist derzeit nichts ruhig! Aber so lange der Motorsport funktioniert, werden die Argumente dafür immer überwiegen.

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