Toto Wolff: «Es geht um die richtige Haltung»
Toto und Susie Wolff mit ihrem Sohn
Susie Wolff, Markenbotschafterin von Mercedes-Benz, ist Teamchefin und Gesellschafterin des in Monaco ansässigen Formel-E-Rennstalls ROKiT Venturi Racing. Geboren im schottischen Oban fuhr Susie Wolff von 2006 bis 2012 in der DTM für Mercedes-Benz, anschließend war sie bis 2015 Test- und Entwicklungsfahrerin für das Williams-Team in der Formel 1.
Beim Großen Preis von Großbritannien 2014 schrieb Susie Geschichte. Sie startete für das Williams-F1-Team und war damit nach 22 Jahren wieder die erste Frau, die an einem Grand-Prix-Wochenende teilnahm.
Toto Wolff ist Teamchef und CEO des Formel-1-Rennstalls Mercedes-AMG Petronas und hat das Team in den Jahren 2014 bis 2019 zu sechs aufeinanderfolgenden Doppelsiegen in Fahrer- und Konstruktionstiteln geführt, darunter fünf Weltmeistertitel für Lewis Hamilton. Toto und Susie leben mit ihrem gemeinsamen dreijährigen Sohn Jack in der Schweiz sowie in Oxford, England. Zu der Familie zählen zudem noch zwei Kinder aus Totos‘ erster Ehe.
Wie alle Branchen, kämpft auch der Motorsport mit den Konsequenzen der COVID-19-Pandemie; sämtliche Renn-Veranstaltungen wurden verschoben oder abgesagt. Wir haben mit Susie und Toto Wolff über diese außergewöhnliche Zeit gesprochen. In unserem Interview erläutern sie, dass es bei „Führung“ nicht nur um Führen geht, sondern mehr um das Vertrauen in die Fähigkeiten des eigenen Teams. Und erzählen, wie sie den Lockdown aufgrund der COVID-19-Pandemie erlebt haben.
Susie, Sie waren eine ausgesprochen erfolgreiche Rennfahrerin in verschiedenen Rennserien; jetzt sind Sie Teamchefin in der Formel E und kümmern sich um alle Fragen des Managements. Wie hat Sie Ihre Karriere als Rennfahrerin auf diese Führungsrolle vorbereitet?
Susie: Ich habe den Großteil meines Lebens im Motorsport verbracht, damit kenne ich mich aus und hier habe ich natürlich auch mein Netzwerk. Als Fahrerin bist du jedoch die meiste Zeit auf dich allein gestellt und einzig und allein für die eigene Performance verantwortlich. Im Management dagegen sind ganz andere Fähigkeiten gefragt, weil du für die Leistung des gesamten Teams verantwortlich bist. Durch meinen beruflichen Hintergrund als Rennfahrerin kenne ich beide Seiten und weiß genau, womit es die Fahrer zu tun haben – ich habe das schließlich alles selbst erlebt. Und ich war in der glücklichen Position, meinen Mann in den vergangenen Jahren dabei beobachten zu können, wie er einen Formel-1-Rennstall erfolgreich managt. Das hat mir ein grundlegendes Verständnis davon gegeben, was es bedeutet, ein erfolgreiches Team aufzubauen. Als ich die Aufgabe dann aber selbst übernahm, musste ich noch so viel lernen! Als ein Mensch, der sich selbst gerne aus der eigenen Komfortzone herausbewegt, habe ich diese Herausforderung tatsächlich sehr genossen.
Toto, bevor Sie zum Motorsport kamen, haben Sie in der Finanzbranche als Investor gearbeitet. Welche Ihrer persönlichen Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach am nützlichsten, wenn es darum geht, mit der gleichzeitigen Belastung durch so viele verschiedene Anforderungen umzugehen?
Toto: In meinem Berufsleben innerhalb der Finanzbranche war ich unter anderem für die Zusammenstellung kompetenter Teams verantwortlich – was bedeutet, fähige Mitarbeiter zu finden. Die damit verbundenen Erfahrungen helfen mir enorm bei der Zusammensetzung einer leistungsorientierten Organisation, wie einem Formel-1-Team. Was den Umgang mit der Vielzahl von Aufgaben betrifft, geht es darum, sich klarzumachen, welchen Beitrag man selbst am besten leisten kann, dabei den Fokus auf die eigenen Stärken zu richten und für die persönlich schwächeren Bereiche geeignete Unterstützung zu suchen.
Was erwarten Sie von den Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Toto: Sie sollten sich an Veränderungen anpassen können. Das ist definitiv einer der zentralen Faktoren für den Erfolg eines Teams. Denn wie beim Prinzip des Darwinismus geht es nicht um das Überleben des Stärksten, sondern des Anpassungsfähigsten. Plötzlich ändert sich das Umfeld und wir müssen uns mit einer Krise auseinandersetzen. Wir werden zum Umdenken gezwungen, müssen uns etwas Neues einfallen lassen und uns auf die veränderte Situation einstellen. Das meiste lernen wir an unseren schwersten Tagen. Wenn man in der Lage ist, ein Problem zu analysieren, ohne die Schuld bei einer Person zu suchen, sondern beim Problem selbst, kann deine Organisation sogar aus einer schmerzlichen Erfahrung gestärkt hervorgehen.
Susie: Im Automobilrennsport liegt uns allen der Wettkampf im Blut. Es ist die Härte des Sports im Allgemeinen: Am Ende kann nur einer gewinnen. Mit dem Formel-E Team kämpfen wir noch nicht um Podiumsplätze, deshalb müssen wir gerade in schwierigen Momenten stark bleiben, denn da lernen wir am meisten. In unserer aktuellen Situation haben wir mit Niederlagen zu kämpfen, und es gilt, was Toto sagte: So schmerzlich solche Tage sein mögen, letztendlich sind diejenigen am erfolgreichsten, die aus den Niederlagen lernen, sich am schnellsten wieder aufraffen und einfach weitermachen.
Und worauf kommt es beim Thema Führung für Sie an?
Toto: „Führung“ – dieses Wort mag ich überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, dass in einer erfolgreichen Organisation jeder Einzelne Verantwortung tragen, Entscheidungen treffen und dann dafür geradestehen muss. Und deshalb gibt es nie nur die eine Führungskraft, sondern eine ganze Menge davon! Wir haben in unserem Team einige grundlegende Werte aufgestellt, als ich dazukam. Es dauerte seine Zeit, aber sie sind zum zentralen Leistungskennzeichen bei Mercedes geworden. Es geht im Wesentlichen um die richtige Haltung. Wir haben alle die gleiche Einstellung, was Loyalität und Transparenz hinsichtlich unserer Handlungen betrifft. Wir sind jederzeit aufrichtig, stärken uns gegenseitig und fördern eine Kultur, in der niemand an den Pranger gestellt wird. Wer als Organisation erfolgreich sein will, muss diese Werte tatsächlich verinnerlichen und sie jeden Tag leben und darf sie nicht nur als Chart an die Wand werfen.
Dennoch, irgendjemand muss in dem ganzen Betrieb den Hut aufhaben. Ausgehend von Ihren persönlichen Erfahrungen – welche Fähigkeiten muss eine Führungspersönlichkeit unbedingt mitbringen?
Toto: Empathie. Interesse für die Menschen, mit denen man arbeitet und ein Verständnis für deren individuelle Stärken und Schwächen. Und sie muss eigenständiges Arbeiten fördern und vertrauen können.
Susie: Eines der vielen Dinge, die ich von Toto gelernt habe, ist, dass man als Führungspersönlichkeit authentisch sein muss – jederzeit. Mein Mann und ich haben ganz unterschiedliche Charaktere – ich werde nie so führen wie er. Aber ich folge seinem Beispiel, wenn es darum geht, mir selbst treu zu bleiben. Für Totos Führungserfolg sprechen ja ganz offensichtlich die Ergebnisse von Mercedes in der Formel 1. Und das ist das Großartige am Sport: Wenn du deine Führungsaufgabe gut machst, hat dein Team Erfolg. Da bleibt kein Raum für Missverständnisse, weil du im Sport nur so gut bist wie deine Leistung.
Wie wichtig, Susie, sind Ihrer Meinung nach Frauen-Netzwerke wie She’s Mercedes, wenn es um den Austausch von Erfahrungen und die Entwicklung von Führungsqualitäten geht?
Susie: Dank She’s Mercedes habe ich eine Menge Frauen aus den verschiedensten Bereichen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen kennengelernt, und ich konnte bei jeder Begegnung etwas lernen. Ich habe die Veranstaltungen von She’s Mercedes immer mit einem Gefühl besonderer Motivation und Inspiration verlassen. Der Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen kommt uns allen zugute. Ich bin überzeugt davon, dass wir auch die kommende Generation inspirieren und stärken sollten. Es gibt da draußen eine Vielzahl an Möglichkeiten für Frauen – gerade im Motorsport. Dort gibt es eine Menge talentierter Frauen, die Großartiges leisten – sie stehen nur nicht so im Rampenlicht. Ich habe mich als Frau in diesem Umfeld noch nie benachteiligt gefühlt! Worauf es im Zusammenhang mit She’s Mercedes meiner Meinung nach ankommt, ist die Tatsache, dass das Unternehmen erkannt hat, wie wichtig es ist, der weiblichen Stimme zuzuhören – nicht zuletzt, weil wir auch eine gewisse Kaufkraft haben.
Wie gehen Sie als Führungskräfte mit der aktuellen Situation rund um COVID-19 und mit den möglichen Auswirkungen auf Ihre Teams um – und welche Lehren ziehen Sie daraus?
Toto: COVID-19 ist eine globale Herausforderung und betrifft uns ebenso wie jedes andere Unternehmen auf dieser Welt. Niemand war darauf eingestellt und wenn uns vor sechs Monaten jemand gesagt hätte, dass wir einen zweimonatigen Lockdown erleben würden und die ganze Branche fast vollständig zum Erliegen kommt – wir hätten es nicht geglaubt. Um damit klarzukommen, müssen wir jetzt die neuen Regeln akzeptieren und uns darauf einstellen. Denn wie ich bereits sagte, geht es nicht um das Überleben des Stärksten, sondern des Anpassungsfähigsten. Es ist gar nicht so leicht, dafür zu sorgen, dass alle strukturiert und motiviert bleiben, denn die gegenwärtigen Umstände betreffen nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Privatleben. Ich bin in der glücklichen Lage, mit einem hervorragenden Team zusammenzuarbeiten, das die Kommunikation aufrechterhält und weiterhin transparent berichtet, was das Top-Management in diesen Tagen bewegt. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Leute dies zu schätzen wissen.
Susie: Aufgrund der Situation rund um COVID-19 hatten wir die Möglichkeit, innezuhalten. Wir konnten analysieren, wo wir als Organisation aktuell standen, und konnten in einigen Bereichen neu starten. Weil Reisen zu unserem Firmensitz in Monaco momentan nicht möglich sind, haben wir unsere Arbeit mithilfe technischer Unterstützung neu organisiert. Das hat mich davon überzeugt, dass wir tatsächlich anders – und sogar effizienter – arbeiten und dabei Beruf und Familie viel besser miteinander in Einklang bringen können – und das auch dann, wenn wir wieder reisen dürfen. Bis zum Lockdown bin ich wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die anderswo arbeiten, ständig zu Meetings nach Monaco gereist. Einige unserer wichtigsten Mitarbeiter waren bereits an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, und dabei hatten wir das Saisonende noch gar erreicht. Wir kehren garantiert nicht zur alten Normalität zurück.
Das Leben als verheiratetes Paar, Ihre Kinder und der Beruf – wie schaffen Sie das alles?
Susie: Die Familie muss Zugeständnisse machen, damit wir unsere Arbeit machen können. Der gewaltige Erfolg von Mercedes in der Formel 1 in all den Jahren hat dazu geführt, dass Toto seine Familie immer seltener sah. Wir haben diese Entscheidung alle unterstützt und sind unheimlich stolz darauf, was er erreicht hat. Aber dafür musste jeder Einzelne Zugeständnisse machen. Und deshalb genießen wir die gemeinsame Zeit, wenn sich tatsächlich einmal die ganze Familie trifft – für uns ist Qualität wichtiger als Quantität. Ich hatte das Glück, als junge Mutter nicht ins Berufsleben zurückkehren zu müssen – allerdings ist mir schnell klar geworden, dass ich die berufliche Herausforderung brauchte. Ich war in meiner gesamten Karriere ausgesprochen zielorientiert und mir hat – plötzlich ohne ein berufliches Ziel vor Augen – die einfach etwas gefehlt. Daher habe ich mich dazu entschieden, wieder zu arbeiten. Ich bin unheimlich froh, dass ich so viel Unterstützung erhalte und auch Eltern habe, die bereit sind einzuspringen. Denn dadurch kann ich der Arbeit nachgehen, die ich liebe. Ich bin überzeugt davon, dass die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, den ich mag, mich zu einer besseren Mutter macht. Das heißt aber auch, dass entsprechende Unterstützung vorhanden sein muss und alle Beteiligten gewisse Opfer bringen müssen, damit wir unserer Leidenschaft nachgehen und in unseren Jobs erfolgreich sein können.
Haben Sie während der COVID-19 Ausnahmesituation etwas gemeinsam erlebt oder erfahren, dass Sie zuvor nicht kannten – weil beispielsweise keine Zeit dafür war?
Susie: Zuvor hatten wir immer einen ganz eng getakteten Terminplan – jetzt können wir gemeinsam einen Spaziergang machen und sorgen uns nicht darum, wann genau wir wieder zu Hause sein müssen. Toto geht in den Supermarkt einkaufen – ich kann mich nicht erinnern, wann dies vorher das letzte Mal der Fall gewesen ist. Außerdem kocht er oder badet abends unseren Sohn. Diese Zeit hat uns dazu gebracht, die kleinen Dinge im Leben wieder mehr zu schätzen, und uns daran erinnert, wie wichtig es ist, auch als Paar Zeit miteinander zu verbringen.
Toto: Das stimmt! Ich konnte Zeit mit unserem dreijährigen Sohn verbringen, den ich nicht so oft sehe, sobald der normale Formel-1-Betrieb wieder aufgenommen wird. Außerdem hatten Susie und ich viel mehr gemeinsame Zeit. In den letzten Jahren waren wir ständig unterwegs – Susie mit der Formel E und ich mit der Formel 1. Jetzt haben wir festgestellt, dass wir außer zwei kleinen Unterbrechungen tatsächlich ganze fünf Monate gemeinsam verbracht haben. Fünf Monate lang waren wir jeden Tag zusammen, und unsere Beziehung ist stärker als je zuvor!