Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

7. WM-Titel von Mercedes: Honda war Wegbereiter

Von Mathias Brunner
​Mercedes bleibt in der Turbohybrid-Ära der Formel 1 ungeschlagen: Vierzehn Titel seit Anfang 2014! Das Fundament goss vor Urzeiten Ken Tyrrell, die Weichen zum Titel von Mercedes stellte Honda.

Mercedes-Benz ist in der Königsklasse Dauerweltmeister: Seit 2014 die neue Turbo-Ära im Grand-Prix-Sport begonnen hat, sind die Silberpfeile am schärfsten. Wir müssen uns das nochmals ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen: Bis heute 135 WM-Läufe, von Melbourne 2014 bis zur Türkei 2020, 107 Pole-Positions von Mercedes, 101 Siege von Lewis Hamilton, Nico Rosberg und Valtteri Bottas, 71 beste Rennrunden, 201 Podestränge – also viel besser geht das nicht.

Den meisten Formel-1-Fans ist klar, dass der heutige Mercedes-Rennstall nicht mit dem Werks-Team der 30er und 50er Jahre zu vergleichen ist. Der markanteste Unterschied: Damals wurden die Rennwagen in Deutschland entworfen und gebaut, heute wird der grösste Teil der Arbeit im englischen Brackley (Chassisabteilung) und Brixworth (Motorenwerk) erledigt.

Aber jetzt mal Hand aufs Herz – hätten Sie gewusst, dass einige der Mercedes-Wurzeln bis zurück zum legendären Formel-1-Teamchef Ken Tyrrell reichen? Und dass die Weichen zum grandiosen heutigen Erfolg von Mercedes nicht in Stuttgart, sondern bei Honda in Japan gestellt wurden?

Mercedes hat von allen, heute bekannten Automobilherstellern die längste und umfangreichste Motorsporttradition. Mercedes trat schon im Rennsport an, da war Enzo Ferrari noch Teenager und konnte sich nicht entscheiden, was er werden wollte – Opernsänger, Rennfahrer oder vielleicht doch Journalist?

Aber die Geschichte des erfolgreichsten Mercedes-Kapitels in der Formel 1 beginnt nicht in Deutschland, sondern in England, beim knorrigen Holzhändler Ken Tyrrell.

Aus dessen einstiger Bastelbude in Ockham ging eines der engsten Bündnisse im Formel-1-Sport hervor – die Zusammenarbeit zwischen Tyrrell und Jackie Stewart erbrachte die WM-Titel 1969 (mit einem Matra-Chassis), 1971 (ab nun mit Tyrrell-Renner) und 1973.

So gut wie 1973 war «Uncle Ken» nie wieder: Nach dem Rücktritt von Jackie Stewart konnte Tyrrell an die besten Zeiten nicht mehr anschliessen. Ken Tyrrell behielt sein scharfes Auge für Nachwuchstalente, aber das grosse Geld floss längst woanders hin.

Aus Tyrrell wird BAR

Tyrrell hielt sich bis 1998 in der Formel 1, in einigen Saisons vom langjährigen Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone vor dem Ruin bewahrt, dann übernahm Craig Pollock – jahrelang Manager von Jacques Villeneuve – das Team.

Finanziert vom Tabakhersteller British American Tobacco (BAT) gründete Pollock «British American Racing», BAR. Im ersten Jahr steckten Supertec-Motoren im Heck, nichts Anderes als umbenannte Renault-Triebwerke. Ab 2000 begann eine Kooperation mit Honda.

BAR siedelte sich am heutigen Mercedes-Standort Brackley an. Vollmundig sprach Designer Adrian Reynard von einem Erfolg gleich beim ersten Rennen, schliesslich war das dem britischen Rennwagenbauer in den meisten anderen Monoposto-Serien auch gelungen – wie in der Formel 3, der Formel 3000 oder der ChampCar-Serie (IndyCars).

BAR legte sich gleich mal mit dem Autoverband FIA an – die kecken Neulinge erhielten keine Erlaubnis, die beiden Wagen von Jacques Villeneuve und Ricardo Zonta in unterschiedlichen Lackierungen fahren zu lassen (der Zigarettenmarken Lucky Strike und 555). So entstand das berühmte Reissverschluss-Design in Längsrichtung.

Von Erfolg konnte dann keine Rede sein: Nicht nur, dass aus dem anvisierten Sieg nichts wurde, British American Racing eroberte im ersten Jahr keinen einzigen WM-Zähler!

Natürlich wurde es Pollock von den Gegnern genüsslich unter die Nase gerieben, dass er den Firmen-Wahlspruch «Tradition voller Exzellenz» gewählt hatte. An Tradition hatte BAR im ersten Jahr so wenig vorzuweisen wie an Exzellenz.

BAR wurde zu einer Geldvernichtungsmaschine, typisch für die Formel 1. Von Australien 1999 bis China 2005 gab es zwar zwei Pole-Positions und einige Podestränge, aber aus dem erhofften Sieg wurde nie etwas.

Honda steigt ein

Aus der Partnerschaft mit Honda hingegen erwuchs mehr: Ende 2005 übernahm der japanische Autohersteller das Team, damit hatte Honda wieder einen reinen Werksrennstall.

Der Schritt schien nachvollziehbar: 2004 hatte das Team ein höchst erfolgreiches Jahr – zweiter WM-Schlussrang hinter dem übermächtigen Ferrari, elf Podestplätze dank der starken Jenson Button und Takuma Sato. Der Brite stand allein zehn Mal auf dem Podest. Im Laufe der Saison 2004 hatte Honda schon 45% von BAR übernommen.

Aber auch Honda Racing scheiterte.

Das Team befand sich im Rückwärtsgang: WM-Rang 4 2006, nur noch WM-Achter 2007 und gar WM-Neunter 2008. Die Motoren waren zu schwer, zu durstig, die Autos aerodynamische Fehlschläge. Honda geriet nicht nur der schlechten Rennergebnisse wegen unter Druck, sondern auch aufgrund der Absatzprobleme mit den Serienfahrzeugen. Die Weltwirtschaftskrise brach dem Team den Hals: Am 5. Dezember 2008 wurde bekanntgegeben, dass sich Honda aus der Formel 1 zurückzieht.

Ken Tyrrell erlebte das alles nicht mehr: Der legendäre Holzhändler erlag im August 2001 im Alter von 77 Jahren dem Krebs.

Ross Brawn: Team für 1 Pfund

Noch im Frühsommer 2008, als klar war, dass der Honda RA108 nichts taugte, war die Entwicklung ganz auf 2009 gerichtet worden. Honda ging in Ehre: Das Team wurde für ein symbolisches Pfund Teamchef Ross Brawn überlassen, die Saison 2009 wurde von Honda finanziert, angeblich investierte Honda für 2009 mehr als 150 Millionen Dollar. Um gar nicht in der Formel 1 vertreten zu sein ...

Es schmerzt die Honda-Chefetage bis heute, was dann passierte: Aufgrund der üppigen Entwicklungszeit und dank des tollen Kniffs des Doppeldiffusors eilten Jenson Button und Rubens Barrichello von Sieg zu Sieg. Von den ersten sieben WM-Läufen gewann der Engländer sechs, Barrichello doppelte in Valencia und Monza nach.

Ein Formel-1-Märchen wurde wahr: Das Team, Ende 2008 in Scherben, wurde Ende 2009 bei der FIA-Gala für die Titel bei den Marken und Fahrern geehrt. Obschon Red Bull Racing im Verlaufe der Saison immer stärker wurde, rettete Button seinen Vorsprung und liess sich in Brasilien als Champion feiern.

Wieviel Honda steckt im Silberpfeil?

Nach Saisonende 2009 wurde verkündet, dass BrawnGP 75,1 Prozent seiner Anteile an Mercedes-Benz verkauft. Ab 2010 nahm Mercedes unter eigenem Namen an der Formel-1-Weltmeisterschaft teil. BrawnGP hatte nur einen Sommer lang getanzt.

Viele der damaligen BAR-, Honda- und BrawnGP-Mitarbeiter stehen noch heute in Diensten jenes Rennstalls aus Brackley, der nun Mercedes heisst.

Ross Brawn goss mit seinem Wegbegleiter Michael Schumacher und mit Nico Rosberg das Fundament zu den späteren Titeln von Lewis Hamilton und Rosberg. Dank Ross Brawns Grundlangenarbeit fuhren Lewis Hamilton und Nico Rosberg die Ernte ein – der Engländer wurde Weltmeister 2014, 2015, 2017, 2018, 2019 und 2020, Nico holte den Titel 2016.

Mercedes-Benz trägt in der Turbohybrid-Ära der Formel 1 weiterhin eine reine Weste.

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