Aserbaidschan-GP in Baku: In einer fremden Welt
Der Grosse Preis auf dem «Baku City Circuit» begann 2016 mit einem grossen Witz: Das Rennen wurde doch tatsächlich Grand Prix von Europa genannt – also bitte! Schon kurz nach der überaus gelungenen Premiere deponierten die Veranstalter beim Autoverband FIA den Wunsch: Ab 2017 solle das Rennen richtig heissen, Grosser Preis von Aserbaidschan. Gesagt, getan.
Als vor Jahren bekannt wurde, dass die Formel 1 zur kaspischen See ausrückt, muss ich zugeben – mein Wissen über Aserbaidschan war peinlich überschaubar: Ich konnte mich lediglich schwach daran erinnern, dass in Baku 2012 der Popträllerwettbewerb «Eurovision Song Contest» stattgefunden hatte, der früher «Concours d’Eurovision» hiess – was mir passender scheint, weil viele Lieder einer akustischen Konkurserklärung gleichkommen.
Ich wusste darüber hinaus noch, dass die Europaspiele 2015 in Baku stattgefunden haben. Aber das war’s dann schon. Auf meine Schulzeit war kein Verlass, denn als ich zur Schule ging, gab es Aserbaidschan in dieser Form nicht, da brodelte noch alles im gleichen Sowjetunion-Topf.
Dann wollen wir mal vor dem zweiten Strassen-GP der Saison nach Monaco unser aller Wissen ein wenig auffrischen und vorstellen – Aserbaidschan, Land des Feuers, und Baku, Stadt der Winde.
Das Land ist eine Republik, mit knapp 10 Millionen Einwohnern, 90 Prozent davon sind Aseris (Turkvolk). Die Fläche des Landes entspricht ungefähr jener von Österreich.
Aserbaidschan grenzt an Armenien, den Iran, Georgien, Russland sowie an die Türkei. So weit zum Thema Grosser Preis von Europa.
Von den Einwohnern sind 92 Prozent gemässigt islamischen Glaubens, dazu finden wir fünf Prozent Christen und zwei Prozent weitere Religionen.
Baku zählt offiziell 2,3 Millionen Einwohner (inoffiziell und mit Umgebung sind es fast doppelt so viele), es ist angeblich die tiefgelegenste Hauptstadt der Welt, 28 Meter unter dem Meeresspiegel (ich gebe zu, ich habe nicht nachgemessen).
Die Landeswährung (eine Frage für Kreuzworträtsel-Freunde) ist der Manat.
Baku ist eine aufregende Mischung aus Altertum und Moderne: Die Tradition wird durch eine UNESCO-geschützte Altstadt repräsentiert mit dem Jungfrauenturm, der seinen Namen angeblich erhielt, weil er uneinnehmbar wie eine Jungfrau war; die Moderne durch die 190 Meter hohen Flemmentürme, einem neuen Wahrzeichen der Stadt.
Sich zu diesen Türmen durchzuschlagen, hat sich als nicht ganz einfach erwiesen: Die meisten Taxifahrer sprechen kein Englisch. Meine Grundkenntnisse in Russisch, Türkisch und Aserbaidschanisch (dem Türkischen verwandt) sind ausbaufähig.
Mit Händen und Füssen geht das aber ebenso wie im Süden von Südkorea oder in Indien. Dabei können wir uns geborgen fühlen: Baku gilt aber als überaus sichere Stadt. Die Aserbaidschaner sind zudem überdurchschnittlich gastfreundlich. Beim ersten Besuch stand ich 2016 ziemlich ratlos in einer U-Bahn-Station: Die Automaten waren allesamt in Landessprache angeschrieben. Schon wurde ich auf Englisch angesprochen, und am Ende bezahlte der hilfsbereite Mann sogar das Ticket! «Ehrensache, Sie sind schliesslich Gast in meinem Land», wie er meinte.
Baku selber ist, auf den ersten Blick, eine Mischung aus orientalischem Zauber und Gleichmut sowie westlicher Bauwut und Betriebsamkeit. Dazu kommen trutzige Bauten aus der Sowjetzeit. Eine Mischung, die ihren Reiz vor allem entfaltet, wenn es Nacht geworden ist. Einige bezeichnen Baku als das neue Dubai: Von 2000 bis 2008 sind allein in der Innenstadt 800 Hochhäuser errichtet worden. Bei allem Stolz wird dabei verheimlicht, dass ganze alte Quartiere dafür plattgemacht worden sind.
Kuriosität auf den Strassen: Das klassische London-Taxi, allerdings in einer Farbe, welche zum Spitznamen der Vehikel geführt hat – Auberginen.
Nach zwei Rennen im Juni und bei sommerlichen Bedingungen wurde das Rennen in den April verschoben, 2018 war es klamm und überaus windig (das passt, wie wir gleich noch sehen werden). Auch Regen ist nicht ausgeschlossen – im Land finden wir neun der elf weltweit existierenden Klimazonen, von arktisch-alpin bis eben mediterran. 2020 konnte der GP wegen Corona nicht stattfinden, 2021 wird ohne Zuschauer gefahren.
Baku liegt an der Kaspischen See, ein weiterer der vielen Widersprüche in diesem Land. Denn das salzhaltige Wasser war früher direkt mit den Weltmeeren verbunden, heute indirekt über den Wolga-Don-Kanal. Den See (370.000 Quadratkilometer gross) durchstreifen Störe, deren Beluga-Kaviar in der ganzen Welt als Köstlichkeit gilt.
Wieso heisst Baku eigentlich Stadt der Winde? Weil Baku sich aus dem persischen «bad kube» ableitet. Genauso gut könnte es «Stadt der Katzen» heissen: Es wimmelt in der Altstadt von Samtpfoten, die von der ganzen Bevölkerung liebevoll gefüttert und geherzt werden.
Wieso wird Aserbaidschan Land des Feuers genannt? Schon die Perser schätzten die Ölvorkommen und nannten das Land «Aderbaidjan», woraus sich der heutige Name ableitet, eben: Land des Feuers.
Ein ganzjährig brennender Ölberg ist eine der grössten Touristenattraktionen. Ohne Öl gäbe es das moderne Baku nicht, ohne Öl gäbe es die Formel 1 in Baku nicht. 2021 ist Ausgabe 5 eines bis einschliesslich 2023 ausgelegten Abkommens.
Ein Beispiel, von welchen Dimensionen wir in Sachen Öl hier sprechen: 1898 stellten die Felder von Abseron 95 Prozent des russischen und die Hälfte der weltweiten Erdölproduktion! In Baku lebten 1863 überschaubare 14.000 Menschen. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich diese Zahl verzwanzigfacht.
1844 wurde erstmals Öl gefördert, aus der ganzen Welt kamen Investoren und Spekulanten ins Land, noch heute zeugen in Baku prachtvolle Paläste der Ölbarone von ihrem Reichtum. Sie hätten die «Flame Towers» als Wahrzeichen gewiss toll gefunden.
Heute fördert Aserbaidschan weniger als ein Prozent der weltweiten Erdölproduktion, die Reserven werden auf 0,6 Prozent der weltweiten Reserven geschätzt. Das kann Norwegen auch bieten. Und doch erwartet das Land bis 2035 Einnahmen in Höhe von 140 Milliarden US-Dollar durch Öl und Gas.
Aserbaidschan hat dabei das gleiche Problem wie die Vereinigten Arabischen Emirate: Die Ölvorkommen werden irgendwann zur Neige gehen, das Land muss frühzeitig die Weichen zu anderen Einkommen stellen. Unter anderem will Aserbaidschan mehr Touristen anziehen: 2016 kam nur jeder vierte Rennbesucher aus dem Ausland, um den Grand Prix zu sehen zu sehen. 2017 war es bereits ein Drittel, 2019 näherte sich der Anteil der 50-Prozent-Marke.