Vettel sehr zurückhaltend: Warum keine Katar-Kritik?
Sebastian Vettel
Die Gelegenheit war günstig. Nein, sie war eigentlich genial. Doch Sebastian Vettel wirkte beim Rennwochenende in Katar seltsam zurückhaltend, die Handbremse war angezogen. Dabei wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass der Deutsche zu einer Generalkritik ausholt, den Finger in die Wunde legt.
Der 34-Jährige hatte die große Bühne Formel 1 schon oft genutzt, um sich für Umweltschutz, Gleichberechtigung oder gegen Rassismus einzusetzen. Dem Gastgeber wegen seiner anhaltenden Menschenrechtsverstöße die Meinung zu geigen – so weit ging Vettel überraschenderweise nicht. Nicht einmal ansatzweise.
Dabei war die Frage nach seinem Standpunkt eine Steilvorlage. Denkt er, dass mit dem ersten Rennen in dem umstrittenen Wüstenstaat eine positive Veränderung vorangetrieben wird? Oder wird das negative Image mithilfe der Sportereignisse wie der Formel 1 oder der Fußball-WM 2022 aufpoliert?
«Sportswashing» in der Kritik
«Sportswashing» nennt das die Menschenrechts-Organisation Amnesty International. Vettel nannte das «eine schwere Frage», die «uns alle angeht». Damit meinte er die gesamte Formel-1-Gemeinschaft. «Es ist mehr eine Frage für die ganze Formel 1 und nicht nur für mich als Einzelnen», sagte Vettel.
Vettel wies eine Sprachregelung zurück, verstärkte durch seine Aussagen und sein passives Verhalten aber den Eindruck, dass es doch eine gibt. «Wenn Stefano (Domenicali, Formel-1-Chef; Anm. d. Red.) damit positiven Wandel erreichen will, wäre das doch eine gute Sache», sagte Vettel. Katar sprang in diesem Jahr für Australien ein und wird ab 2023 fester Bestandteil des Rennkalenders sein. «So ein wichtiger Wandel passiert nicht über Nacht, kultureller Wandel braucht Zeit. Aber große Events können die positive Entwicklung beschleunigen. Deshalb spielt auch die Formel 1 eine wichtige Rolle», hatte Domenicali bei der BBC erklärt.
Er glaube nicht, dass es zur Verbesserung der Situation beitrage, wenn man die Länder abschotte und sage, dass man dort nichts veranstalten wolle, sagte Domenicali. «Es wird das Gegenteil bewirken. Das bedeutet nicht, dass alles perfekt ist. Aber was wir tun, geht sicher in die richtige Richtung.» Fadenscheinige Argumente, die auch der Fußball-Weltverband FIFA nutzt, wenn er die zahlreichen toten Arbeitsmigranten auf den Stadien-Baustellen totschweigt.
Hamilton bleibt sich treu
Keine Frage: Weichgespültes PR-Gehabe ist nicht der richtige Weg. Zumindest Lewis Hamilton blieb seiner Linie treu, fuhr mit einem Regenbogen-Helm, hielt sich verbal aber auch mehr zurück als sonst. «Wir fahren die Autos überall auf der Welt», sagte Vettel noch. Es gebe Plätze, «die wir kennen und deren Kulturen wir uns näher fühlen» und eben auch andere. Wischiwaschi. Vor wenigen Wochen hatte Vettel der New York Times noch gesagt: «Wir reisen in viele Länder, und vieles von dem Geld, das wir dort bekommen, ist vielleicht nicht besonders rein.» Dass diese Rennen trotzdem veranstaltet würden, sei aus moralischer Sicht «falsch».
Das Problem: Aus rein finanzieller Sicht kann die Formel 1 kaum «Nein» sagen. 70 Millionen Dollar zahlen die Organisatoren angeblich für dieses Jahr, für den Zehnjahresvertrag ab 2023 soll es sogar eine Milliarde Dollar sein. Auch Saudi-Arabien greift tief in die Tasche, soll 60 Millionen Dollar pro Rennen zahlen, insgesamt soll der mehrjährige Deal 900 Millionen Dollar wert sein. Die Macher zahlen ungerne Millionensummen, um dann von den Superstars öffentlich kritisiert zu werden.
Maulkorb für Vettel?
Weshalb Medien spekulieren, den Fahrern sei möglicherweise ein Maulkorb verpasst worden. Beziehungsweise nahegelegt worden, sich zurückzuhalten. Ausgeschlossen ist das nicht, schließlich feierte Katar nicht nur das Formel-1-Debüt – auch FIFA-Präsident Gianni Infantino gehörte zu den Besuchern, dazu zum Beispiel auch Legende David Beckham. Kritik ist da aus Sicht der Formel-1-Bosse fehl am Platz und stört nur die Show.
Es ist kein Geheimnis, dass das Engagement Vettels dem Automobil-Weltverband FIA sowieso schon länger ein Dorn im Auge ist, schließlich kritisiert der Deutsche unverhohlen auch die Hand, die ihn füttert.
Doch auch der kommende Gastgeber Saudi-Arabien, wo am 5. Dezember das vorletzte Rennen über die Bühne geht, steht wegen «Sportswashing» in der Kritik, auch dort gibt es massive Menschenrechtsverletzungen, Frauen werden diskriminiert. Für Vettel wäre das eigentlich noch einmal eine günstige Gelegenheit.