Der verblüffende Ferrari F1-75: Technik-Hintergründe
Seit die ersten Bilder des Ferrari F1-75 online gegangen sind, ist unter den Fans der Teufel los: Kein Rennwagenhersteller hat vom 2022er Auto so viele faszinierende Details präsentiert. Am meisten zu reden gibt unter den Fans diese eigentümliche Lösung einer Delle im oberen Bereich des Seitenkastens.
Der Lufteinlass der Seitenkästen ist hoch angesetzt und schmal, einige Renn-Fans vergleichen ihn auf den sozialen Netzwerken mit einem Briefeinwurf. Zum Heck hin ist in die Oberseite des Seitenkastens eine Delle eingearbeitet, und auch hier sind die Fans schnell mit einem Vergleich zur Hand – wie die Badewanne für ein Baby.
Ferrari setzt sich auch sonst von den Lösungen der Gegner ab: Der Seitenkasten fällt nicht so früh ab wie am Williams oder McLaren und er weist auch keine so extreme Taille auf wie der neue Aston Martin. Die Form des Ferrari ist Balsam auf die Seele all jener, die davon überzeugt waren, dass die 2022er Autos alle gleich aussehen würden. Mitnichten!
Wie Aston Martin lässt Ferrari Hitze aus dem Motorraum grossflächig über Kühlschlitze entweichen. Vorteil für die Aerodynamiker: Damit lässt sich die Verkleidung zum Heck hin im Auspuff-Bereich enger schneidern.
Auffällig auch: Der dreieckförmige Lufteinlass der Motorverkleidung ist weniger voluminös als bei anderen Rennwagen. Der Heckflügel steht auf zwei Stützen, Williams etwas arbeitet mit nur einer Pylone. Und: Kein bisher gezeigtes 2022er Auto hat eine so spitz zulaufende Nase wie der Ferrari F1-75.
Was sagen die Techniker über ihr Werk?
Chassis-Chef Enrico Cardile: «Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir in der Formel 1 eine radikalere Änderung im Reglement gehabt hätten. Wir haben mit der Arbeit sehr früh begonnen und vor allem auch unsere Simulations-Werkzeuge verbessert, um eine bessere Ahnung davon zu erhalten, wie ein 2022er Auto aussehen sollte.»
«Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Aerodynamik. Wir sind da völlig unbelastet an unsere Aufgabe herangegangen und haben in alle erdenklichen Richtungen geforscht, um die unserer Ansicht nach beste Lösung zu finden. Auch in Sachen Aufhängungs-Geometrie haben wir einen frischen Ansatz gewählt, um das Beste aus den grösseren Rädern und den Niederquerschnittreifen zu holen. Es gab so viele Variablen und so viel Neues zu entdecken, das war ebenso herausfordernd wie aufregend.»
Motorenchef Enrico Gualtieri sagt: «Bei der Optimierung des Motors ging es vorrangig um die Verbesserung der Brennkammern und Optimierungen an der Kurbelwelle. Alles dreht sich um Effizienz. Wir haben enger denn je mit der Chassis-Abteilung zusammengearbeitet, um die Antriebseinheit so ins Auto einzubetten, dass sie den grösstmöglichen aerodynamischen Spielraum erhalten.»
Chassis-Projektleiter Fabio Montecchi: «Beim Schritt in diese neue Ära hatten wir – gemessen an der Entwicklung früherer Rennwagen – eine erheblich längere Design-Phase. Wir haben sehr viele verschiedene Ansätze beleuchtet, um die beste Lösung zu finden. Vor dem Hintergrund des neuen Reglements konnten die Designer ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Wir glauben, wir haben einige recht unkonventionelle Teile am Wagen.»
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto spricht von einem mutigen Auto, und das ist der Wagen ohne Zweifel. Aber auch die Italiener werden sich fragen müssen, ob sie mit allen Lösungen auf dem richtigen Weg sind.
Ferrari-Sportdirektor Laurent Mekies: «Ich erwarte gerade zu Beginn der Saison einige Überraschungen. Beim WM-Auftakt in Bahrain könnte das Feld ein wenig auseinander gezogen sein, aber ich glaube, dass bei forscher Entwicklung einige Teams grosse Fortschritte machen werden und sich die Leistungsdichte im Feld erhöht. Wir glauben, dass wir gut aufgestellt sind: mit einem innovativen Wegen, zwei hervorragenden Fahrern und einer 2021 gestärkten Struktur. Der Mannschaftsgeist ist sehr gut, und das ganze Team brennt darauf zu sehen, wo wir mit unserem Wagen stehen.»
Mattia Binotto: «Ich bin sehr stolz auf die Arbeit unserer Leute. Es kann für uns nur ein Ziel geben – Rennen gewinnen. Wir glauben, dass wir dazu nicht nur die idealen Fahrer haben, sondern auch das richtige Auto.»