Formel 1: Max Verstappen – Chancen verspielt?

Daniel Reinhard: Wegbegleiter von Schumi und Vettel

Kolumne von Mathias Brunner
37 Jahre lang ist der Fotograf Daniel Reinhard mit der Formel 1 um die Welt gezogen und hat mit Fahrern wie Michael Schumacher und Sebastian Vettel ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Nun blickt er zurück.

Ich musste ein wenig schmunzeln, als ich den Titel dieses Buches sah: Eine Motorsport-Zeitreise. Das hat für mich einen feinen Doppelsinn, denn als Wegbegleiter des Schweizer Formel-1-Fotografen Daniel Reinhard weiss ich – sein neues Buch ist nicht nur eine (berauschende) Zeitreise, er selber ist für mich auch eine Art Zeitreisender. Das bedarf einer Erklärung.

Oft ging mir durch den Kopf, dass dieser Daniel Reinhard gar nicht so richtig in unsere schnellebige, oberflächliche, heuchlerische Zeit passt. Einige Worte, die mir bei Daniel Reinhard in den Sinn kommen: Menschlichkeit zum Beispiel, denn bei allem Gespür für Technik steht für ihn immer der Mensch im Mittelpunkt; Betonung Mensch, nicht Rennfahrer oder Star oder Idol.

Anderes Stichwort: Respekt. Ich bin davon überzeugt, dass die Mitglieder der Vollgasbranche spürten, dass hier keiner mit Sensationslust am Werk ist, sondern einer, der die Leidenschaft für den Sport mit ihnen teilt.

So entstand eine Beziehung zu Racern auf Augenhöhe, zu Wegbegleitern wie Gilles Villeneuve und Jody Scheckter, Michael Schumacher oder Sebastian Vettel, oder zu Rennlegenden wie Hans Herrmann.

Stichwort Instinkt: Reinhard hat einen fast siebten Sinn für den richtigen Moment, ein Foto zu schiessen, oder für den richtigen Ort. Wie er das macht, ist mir völlig schleierhaft.

Stichwort Neugier: Der Schweizer geht gerne eigene Wege und lässt der Spontanität freien Lauf. Er verkopft die Dinge nicht, sondern hat eine feine Nase fürs Wesentliche.

Ein Beispiel: Wir waren mit dem Auto unterwegs in Italien und hatten Hunger. Dani schlug vor, einen Passanten um Rat zu fragen. Während ich Tempo rausnahm und mir überlegte, was auf Italienisch heisst «Entschuldigen Sie, könnten Sie uns vielleicht sagen, wo es hier in der Nähe ein Restaurant gibt?», da hatte Dani schon das Fenster runtergekurbelt und rief dem Mann locker zu: «Dove mangiare?» (Wo essen?) Wir haben die Adresse und eine gute Pasta erhalten.

Daniel Reinhard ist auch bei der Arbeit am Buch «Inside Formel 1. Eine Motorsport-Zeitreise – 1950 bis heute» unbeschwert, aber nicht unbedarft an die Arbeit gegangen. Bald war ihm klar: Wenn er die Dinge so erzählen will, wie sie ihm wichtig sind, dann muss er das selber machen. Also hat er sich hingesetzt und eines der faszinierendsten Rennsportbücher der letzten Jahre verfasst.

Es ist verrückt: Für die 320 Fotos in diesem Buch haben die Kameras 66,658 Sekunden Verschlusszeit gebraucht (bei aller Spontanität ist Dani Schweizer, da müssen die Details schon stimmen). Aber wie viel Zeit strömt aus diesen Bildern seines Vaters Josef und von Daniel! Wie viele Stunden sie wohl auf den richtigen Moment gewartet haben, um abzudrücken? Keiner weiss es mehr.

Die Kunst der Fotografie wurde Daniel Reinhard in die Wiege gelegt. Daniels Papa Josef «Sepp» Reinhard wurde von seinem Vater Joseph als Bub mit der Kamera vetraut gemacht, Joseph mit ph war Friseur und fotografischer Autodidakt. Josef mit f wollte immer Fotograf werden, und das Gleiche lässt sich über Daniel sagen.

Sepp Reinhard war im Kanton Obwalden und Umgebung meist der Erste an einem Unfallort, weil er einfach jede und jeden kannte und die Leute ihm vertrauten, und so hatte er bald den Spitznamen «Katastrophen-Sepp» weg. Das Auto von Reinhard mit dem Kennzeichen OW777 war oft schneller als Polizei und Feuerwehr.

Josef Reinhard fand seinen Weg von Bergrennstrecken in der Schweiz in die grosse Welt der Formel 1, und ab 1979 übernahm in der Königsklasse der junge Daniel. 37 Jahre lang verfolgte Dani Reinhard in der Folge das grösste Sportspektakel der Welt, und sein Blick zurück versetzt Betrachter und Leser auf jeder Seite ins Staunen.

Es ist unmöglich zu sagen, was bei diesem Werk stärker in den Bann zieht: die Bilder eines Mannes mit dem untrüglichen Gespür für das Besondere oder die teilweise unglaublichen Geschichten.

Was ich aber weiss: Es ist wunderbar verlockend, sich stundenlang in diesem Buch zu verlieren, das keine fade Nacherzählung von Formel-1-Rennen geworden ist, sondern von Thema zu Thema schwebt, leicht wie ein Schmetterling, und auf jeder Seite Unglaubliches bietet. In diesem Buch geniesst der Leser nicht nur tolle Bilder, sondern wird bei zahlreichen Stories sagen: «Das habe ich noch nie gehört.» Und das ist selten im wohldokumentierten Motorsport.

Über den Tellerrand hinausblicken, das bedeutet für Daniel Reinhard auch: Rennsport ist so viel mehr als Formel 1. Bergrennen, Rallyes, DTM, Formel E, IndyCars, Sportwagen-WM – die Bandbreite ist gewaltig.

Wir erfahren viel Wissenswertes darüber, wie gewisse Bilder entstanden sind oder wer sie verhindern wollte – wenn das scharfe Auge von Daniel Reinhard dem einen oder anderen Teamchef ein wenig zu scharf für technische Leckerbissen wurde.

Es spricht für die Flexibilität von Reinhard, dass er sich Gedanken zu einem bestimmten Bild machte, aber aus unterschiedlichsten Gründen kam es ganz anders, und das fertige Foto hatte dadurch an Kraft gewonnen. Auch die gewaltige technische Entwicklung der Fotografie wird beleuchtet. Dies ist auch ein Buch über Racer, die oft zu kurz kommen – Mechaniker und Streckenposten.

Daniel Reinhard erzählt das alles geradeheraus, politische Korrektheit ist ihm ein Graus, doch bei heiklen Themen bewahrt der Fotograf Rücksicht und Takt. Klar wird der eine oder andere Wegbegleiter durch den Kakao gezogen, aber nie auf Kosten eines verletzenden Scherzes.

«Inside Formel 1. Eine Motorsport-Zeitreise – 1950 bis heute» vermittelt die Faszination Racing in Bild und Text mit Wucht. Man braucht kein «Früher war alles besser»-Mensch zu sein, um dem nostalgischen Charme vieler Fotos zu erliegen und Geschichten zu würdigen, die von urkomisch bis tragisch reichen, von merk- bis denkwürdig, und die zeigen – es gibt durchaus eine Leichtigkeit des Seins in einer Branche, die sich bisweilen etwas zu ernst nimmt.

Sebastian Vettel schreibt im Vorwort: «Ich habe unsere gemeinsame Zeit im Rennsport schätzen gelernt und dich als einen unglaublich offenen Menschen und leidenschaftlichen Fotografen erlebt.»

Dem darf ich mich gerne anschliessen.

Das Wichtigste in Kürze

Daniel Reinhard: Inside Formel 1. Eine Motorsport-Zeitreise – 1950 bis heute
Aus dem Verlag GeraMond
ISBN: 978-3-96453-086-8
Format 26,8 x 28,9 cm
288 Seiten
320 Fotos
Für 59 Euro (Deutschland) oder 79 Schweizer Franken (Schweiz) im Fachhandel oder für 79 Franken oder 75 Euro direkt im Zwischengas-Shop

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