Romain Grosjean dachte: «Jetzt werde ich sterben»
An diesem 29. November 2024 sind es schon vier Jahre seit dem grauenvollen Feuerunfall von Romain Grosjean in Bahrain. Dem Genfer standen viele Schutzengel zur Verfügung, dass er diesen Crash überlebt hat. Der heute 38-jährige Grosjean ist damals mit Verbrennungen verhältnismässig glimpflich davongekommen.
Der Haas-Fahrer wechselte nach dem Start zum Grossen Preis von Bahrain 2020 am Ausgang der dritten Kurve die Fahrbahnseite, dabei geriet er mit dem AlphaTauri von Daniil Kvyat aneinander, weil er wohl den Abstand zum Auto des Russen falsch eingeschätzt hatte, dann schoss Romains Wagen rechterhand in die Leitschienen, trotz blockierender Räder mit rund 200 km/h.
Das fast Verhängnisvolle dann: Der Wagen wurde durch zwei Leitschienen hindurchgezwängt, dabei wurde der hintere Teil des Wagens von der Überlebenszelle gerissen.
Um genau zu sein, drang der Wagen zwischen die erste und zweite Etage der dreistöckigen Leitschienen. Der Wagen schmirgelte durch die Schienen und wurde dann an einem Befestigungspfosten auseinandergefetzt, aus abgerissenen Leitungen trat Kraftstoff aus, ein Feuerball stieg auf – der hintere Wagenteil blieb vor den Leitschienen liegen, Vorderachse und Nase wurden von der Aufprallenergie zerrieben, die Überlebenszelle blieb in den Leitschienen stecken.
Grosjean sass rund 25 Sekunden lang in den Flammen, Rennanzug und Overall sind dafür entworfen, einem solchen Feuer mindestens eine Minute lang zu widerstehen. Der Genfer krabbelte selber aus dem Wagen und warf sich in die Arme des heraneilenden Rennarztes Ian Roberts, ex-Rennfahrer Alan van der Merwe, Fahrer des Medical-Car von Roberts, war mit einem Feuerlöscher zur Stelle.
Das Vermächtnis von Jules Bianchi
Dass Romain Grosjean in Bahrain überlebt hat, geht primär auf den schweren Unfall von Jules Bianchi in Suzuka 2014 zurück. Der Südfranzose war beim Grossen Preis von Japan auf regennasser Bahn von der Strecke geraten und in jenen Kranwagen gekracht, der ausgerückt war, um den liegengebliebenen Rennwagen von Adrian Sutil wegzuzerren. Bianchi fiel in ein tiefes Koma, aus dem er nicht mehr erwachte, im Sommer 2015 hörte sein Herz auf zu schlagen.
Der frühere FIA-Präsident Jean Todt wusste 2014: Der Kopf der Fahrer musste endlich besser geschützt werden. Die Sicherheitsexperten des Autosport-Weltverbands FIA hatten schon seit Jahren an einem Schutz vor grösseren Trümmerteilen geforscht. Mercedes schlug 2015 das Konzept des Halo (Heiligenschein) vor, die FIA hat es verfeinert. Mercedes hat auch den Namen erfunden.
Die ersten Prototypen bestanden aus Stahl. Der heutige Halo ist aus Titan gefertigt und wiegt nur 9 Kilogramm. Der Bügel muss einen Druck von 116 KiloNewton von oben aushalten (das entspricht fast 12 Tonnen), 46 kN von vorne (4,7 Tonnen) und 93 kN von der Seite (9,5 Tonnen).
Einige Fahrer äusserten sich negativ über den Halo. Lewis Hamilton, Max Verstappen und Nico Hülkenberg monierten die Ästhetik, andere glaubten, die Sicht würde entscheidend eingeschränkt, wieder andere glaubten, ein Fahrer wäre gefangen, bliebe der Wagen kopfüber liegen.
Alle Argumente wurden entkräftet: Das Argument Ästhetik wirkt jämmerlich, wenn Menschenleben gerettet werden können. Mir selber geht es wie Millionen von Fans: Ich fand den Bügel am Anfang auch klobig und hässlich, wie ein Fremdkörper, heute nehme ich ihn überhaupt nicht mehr wahr.
Romain Grosjean: Die fünf entscheidenden Faktoren
Dass Romain Grosjean noch am Leben ist, geht auf fünf Faktoren zurück. Der Halo ist dabei genauso wichtig wie die Überlebenszelle, die seit Jahren fast jedes Jahr härteren Belastungstests widerstehen muss.
Mitentscheidend ist, dass Grosjean nicht das Bewusstsein verloren hatte und sich selber aus der schräg festklemmenden Fahrerzelle schlängeln konnte. Dabei spielte ebenfalls eine Rolle, wie die Überlebenszelle in den Leitschienen steckenblieb – genau so, dass eine Lücke für den Rennfahrer blieb, um sich aus der lebensgefährlichen Situation zu befreien.
Letzter Faktor schliesslich das schnelle Eingreifen von Streckenposten und Rennarzt. Die Streckenposten von Bahrain geniessen einen hervorragenden Ruf, weit über die Landesgrenzen hinaus. Als erstmals ein Grossen Preis von Indien ausgetragen wurde, liess man die Spezialisten aus Bahrain einfliegen, um die Arbeit an der Rennstrecke zu erledigen. Bei Grosjean waren die ersten Löscharbeiten rund zehn Sekunden nach dem Aufprall im Gange.
Seit Jahren folgt der Mercedes des Ärzte-Teams dem Feld in der ersten Runde, um bei einem Unfall möglichst schnell vor Ort zu sein,
Ein Wunder
Mit dem Wort Wunder wird heute so verschwenderisch umgegangen wie mit dem Wort Star. Aber hier ist es wirklich ein Wunder, dass Romain Grosjean der Feuerhölle von Bahrain mit verhältnismässig leichten Verletzungen davongekommen ist. Der Westschweizer sagt dazu pragmatisch: «Ich spürte, dass meine letzte Stunde noch nicht geschlagen hatte, aber ich sah den Tod kommen.»
«Jeder fragt mich: Wie war das im Feuer, wie war das in diesen 28 Sekunden? Für mich fühlte es sich viel länger an. Als der Wagen stand, machte ich die Augen auf und öffnete sofort die Gurten. Ein Rätsel ist für mich, wo das Lenkrad hinkam. Es war nicht mehr da. Wahrscheinlich ist es beim Aufprall weggeflogen, ich weiss es nicht.»
«Ich wollte zunächst aussteigen, spürte aber etwas an meinem Kopf. Also zurück in den Sitz. Dann sah ich das Feuer. Ich versuchte erneut auszusteigen, ich dachte an Niki Lauda, es ging nicht. Also liess ich mich wieder in den Sitz fallen. Auf einmal spürte ich eine grosse Ruhe. Ich dachte, jetzt werde ich sterben. Ich dachte: Wann beginnt der Schmerz, wenn ich verbrenne? Das waren real bestimmt nur Sekundenbruchteile. Meine Kinder kamen mir in den Sinn. Ich dachte – das kann ich ihnen nicht antun!»
«Ich lehnte mich nach links hinüber, um mich aus dem Wagen zu schlängeln, dieses Mal kam ich mit den Schultern durch, mein Schuh blieb im Auto hängen. Meine Handschuhe wurden schwarz, nun kam der Schmerz. Ich spürte aber auch Erleichterung, dass ich raus bin. Das nächste was ich spürte, war, dass jemand an meinem Overall zerrt.»
«Ich bemerkte, dass mein Overall brennt, meine Hände taten nun richtig weh. Ich wollte die Handschuhe sofort ausziehen. Da war schon Ian Roberts, der mich anherrschte: ‚SETZ DICH!’ Ich sagte zu ihm: ‚Du kannst auch normal mit mir reden.’ Ich hörte die Streckenposten, wie sie riefen: ‚Die Batterie brennt, bringt andere Feuerlöscher!’»
«Ian sagte, dass die Ambulanz gleich komme. Ich antwortete – ich will zum Krankenwagen gehen. Das war vielleicht nicht intelligent, aber mir war wichtig, dass meine Familie und die Menschen sehen, ich kann gehen, ich bin okay.»
«Die Leute sagen mir, ich sei ein Held. Ich sehe das nicht so. Ich sagte vielmehr Ian Roberts und Alan van der Merwe, dass ich sie als Helden einstufe. Sie meinten: 'Nein, wir haben nur unseren Job gemacht.' Ich fühle mich nicht als Held. Ich finde die Bilder ja selber unglaublich. Wenn ich sie als Aussenstehender gesehen hätte, so hätte ich gedacht: Kein Fahrer kann das überleben.»
«Ich spürte im Feuer nie Panik, alles war rational. Ich weiss nicht, wieso ich so reagiert habe, aber das hat mir zweifellos das Leben gerettet. Aber ich halte mich deswegen nicht für etwas Bemerkenswertes.»
«FIA-Präsident Jean Todt erinnerte mich daran, was ich damals über den Kopfschutz Halo gesagt habe. Aber nur ein dummer Mensch ändert seine Meinung nicht. Was die Sicherheitsausrüstung angeht, so sollten wir die Handschuhe verstärken. Das sehe ich als Schwachstelle. Feuer haben wir lange nicht mehr erlebt in der Formel 1, aber wir wurden daran erinnert, dass diese Gefahr noch immer da ist.»
Die Abreissvisiere des Helms von Grosjean waren am Schmelzen und wurden undurchsichtig, wie konnte Romain sehen, wohin er fliehen muss?
«Das Visier selber war komplett in Ordnung, so wie der Helm auch, aber die Abrissvisiere waren tatsächlich am Schmelzen. Viel sehen konnte ich nicht, ich versuchte, den Feuerlöschknopf im Wagen zu finden, doch ich sah ihn nicht. Die Eineinhalb-Liter-Flasche hätte bei diesem Feuer ohnehin nicht viel geholfen. Das Problem war, dass die Abreissvisiere zu schmelzen begannen, links war alles verschwommen, aber die rechte Seite war halbwegs okay, zudem schätze ich, dass das Hirn Informationen einspielt, welche das Bild komplettieren. Ich konnte genug sehen, um da rauszukommen, ich weiss noch, dass ich mich auch umgedreht habe und ungläubig auf das Feuer sah und wie die Feuerwehrleute versuchten, es zu löschen.»
Die verkokelte Überlebenszelle von Romain Grosjeans Haas-Rennwagen ist Kernstück der offiziellen Formel-1-Ausstellung, in Madrid, dann in Wien und Toronto zu sehen, derzeit in London (noch bis 2. März 2025).