Vettel-Alonso-Zwist nimmt Fahrt auf
Die Rivalen trennt eine unsichtbare Wand
Kurz vor dem 18. Saisonlauf steigt die Stimmung. Zwischen den Titelrivalen Sebastian Vettel und Fernando Alonso bahnt sich auch persönlich eine interessante Auseinandersetzung an.
Nach der Niederlage von Indien (Platz 2) hatte Alonso gejammert, er kämpfe gegen die Übermacht des Newey-Autos, weniger gegen Sebastian Vettel.
Der deutsche Red-Bull-Racing-Star, der nun vier Rennen in Folge gewonnen hat, auf Titelkurs liegt und drei Rennen in Serie komplett angeführt hat, was zuletzt der unvergessene Renngenius Ayrton Senna vor mehr als 20 Jahren geschafft hatte, findet Alonsos Sichtweise unfair: «Ich denke sowieso nicht, dass es Zweikampf zwischen uns beiden ist. Es ist ein Kampf zwischen zwei Fahrern und ihren Teams und all ihren Mitgliedern.» Seb meint: nicht nur Adrian Newey.
Der Kern des Zwists liegt tiefer.
Zwischen Alonso und Vettel brodelt seit zwei Jahren ein stiller Konflikt. Spätestens seit Alonso Vettel in Monza 2011 bei 250 Sachen ins Gras beförderte und Vettel ihm dies – natürlich – 2012 mit gleicher Münze an derselben Stelle zurückgezahlt hat, ist klar, dass sich die beiden nicht mehr grün sind. Es sind Muskelspiele auf hohem Niveau. In einigen Pressekonferenzen trat der Konflikt bereits zutage, wenn sich die beiden direkt begegneten und scheinbar lächelnd und freundschaftlich beherzte Sticheleien unter die Gürtellinie lieferten. Schauen Sie sich mal Fotos von den beiden an: dazwischen steht immer eine Wand!
Und wenn bisher kein offener Senna-Prost-Streit daraus geworden ist, dann weil wir uns inzwischen in einer politisch bis in den letzten Winkel gereinigten F1-Welt bewegen, in der die Fahrer quasi von morgens bis abends angehalten werden, sich bloss nicht auf Nebenschauplätze einzulassen. Denn alles, was vom Wettbewerb ablenkt, kann im Wettbewerb auch nur schaden.
Alonso hat sich mit seinen ehrlichen Gedanken nun geoutet. Dafür sollte man ihm dankbar sein, denn ehrliche Emotionen sind in der F1 ein rares Gut geworden.
Aber der Inhalt der Attacke ist eine Respektlosigkeit gegenüber Vettel, die offenbart, dass die Latino-Seele des Asturiers mit dem Trend, gegen das stärkere Newey-Auto abermals das Nachsehen zu haben, sich Luft verschaffen will. Alonso muss eine neue Baustelle aufmachen, wenn er diesen Trend brechen will. Mit allen Mitteln. Er hat jetzt den Prost-Weg eingeschlagen, der Ende der 80er-Jahre lamentierte, Honda gebe seinem Teamkollegen Senna stärkere Motoren, weil Senna so viele Fans in Japan habe. Gelächter, als Honda die (identischen) Telemetriedaten der Aggregate offenlegte. Nur nicht bei Prost: «Die Daten sind gefälscht», beharrte er.
Zurück zur Gegenwart. Da fällt auf, dass Alonso schon zum zweiten Mal nachhaltig die Contenance verlor. 2007 fühlte er bei McLaren, dass der damals neue Teamkollege Hamilton intern bevorzugt wurde. Dabei gibt es wohl kein Team im Fahrerlager, das in der Lage wäre, zwei Topfahrer gleichwertig auszurüsten. McLaren bezahlte Alonso viel Geld. Und nicht um Zweiter zu werden. In Monaco gab das Team 2007 sogar Hamilton den Befehl, den führenden Alonso nicht anzugreifen. Ergo war der Neuling damals schneller als der damals schon zweimalige Weltmeister. Man hätte sich damals gewünscht, dass sich Alonso einen solchen Unsinn verbeten hätte. Zumal damals Stallregie verboten war. Beide McLaren-Fahrer gingen am Ende der WM leer aus – und Alonso wie ein beleidigter Schüler zurück zu Renault, wo Briatore ihm sein Nest warm hielt und dafür sorgte, dass Kollege Piquet in Singapur 2008 absichtlich in die Wand fuhr, um Alonso zum Sieg zu verhelfen. Alonso hat das Geschenk klaglos angenommen. Natürlich hat er von nichts gewusst.
Es ist richtig, dass der Spanier trotzdem ein extrem starker Fahrer ist. Aber auch ein extrem starker Charakter?
Jetzt, wo ihm im Herbst seiner Karriere die Felle wegschwimmen, Vettels Leistung auf das Auto zu reduzieren, ist kein Zeichen von Stärke.
Muss man Alonso verstehen?
Vielleicht, denn auch sein dritter Titel-Anlauf mit Ferrari scheint ins Leere zu laufen. Und kein Mensch der Welt weiss, ob und wie viele Titelchancen der Routinier aus Oviedo noch bekommen wird. Bei der Scuderia (seit 2007 ohne Fahrer-WM-Titel) herrscht höchste Alarmstufe. Nun gleicht Alonsos Situation auffallend der von Michael Schumacher, der Ende der 90er-Jahre mit Ferrari gegen ein Newey-Auto (McLaren) und scheinbar gegen Windmühlenflügel ankämpfte. Bei Ferrari und Alonso steigt der Frust also spürbar.
Aber bei allen Qualitäten des Newey-RB8 wollen wir doch einen Aspekt nicht ganz vergessen: Fährt nicht auch Mark Webber ein Newey-Auto?
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