Anderson: «Hamilton ist entgleist, Alonso gewinnt»
Vor Jahren war er Technikchef von Jordan und Stewart Grand Prix, heute ist er Technik-Experte für die BBC und für zahlreiche Fachmedien, darunter SPEEDWEEK. Vor dem Traditionsrennen von Silverstone stellte sich der Nordire (der so alt ist wie der erste Ferrari-Sieg, also Jahrgang 1951) den Fragen einiger Fans.
Gary, was sagst du zum FIA-Urteil gegen Mercedes?
Ich finde, sie sind zu milde bestraft worden. Wenn man es auf den einfachsten Nenner bringt dann haben sie eine Regel gebrochen, und dafür hätte es eine strengere Strafe setzen müssen.
Wer gewinnt den britischen Grand Prix am kommenden Sonntag?
Fernando Alonso! Ich glaube, diese Art Rennstrecke kommt dem Ferrari entgegen, sowohl was das Chassis an sich angeht als auch, was den Umgang mit den Reifen betrifft. Ich glaube auch, niemand ist entschlossener, den Abstand zu WM-Leader Sebastian Vettel zu verringern.
Es gibt noch immer Fans, die bezweifeln, dass Vettel ein grosser Champion ist. Was sagst du dazu?
Wer so viele Pole-Positions erringt sowie Rennen und Titel gewinnt, der hat alles verdient, was er sich erkämpft hat. Gewiss, er sass dabei oft im besten Auto, aber das ändert ja nichts daran, dass du als Fahrer die Leistung bringen musst. Wenn alles so einfach wäre, dann würde Red Bull Racing ja mit Vettel und Mark Webber ständig Doppelsiege erringen. Vettel ist im Sachen Talent so gut wie jeder andere herausragende Champion von früher oder von heute.
Lewis Hamilton hat sich vor kurzem besorgt geäussert. Vielleicht werde er seine Karriere dereinst mit nur einem WM-Titel beenden. Wie siehst du das?
Ich finde, er ist vor ein paar Jahren etwas entgleist, als er auf der Suche nach etwas ausserhalb der Formel 1 war. Er hat meiner Meinung nach da etwas den Fokus verloren. Er muss verstehen, dass es nicht reicht, am Sonntag eine klasse Leitung zu zeigen. Man muss sieben Tage in der Woche an nichts anderes als den Erfolg denken. Dieses totale Sich-Einbringen sehe ich nicht mehr.
Mit den ganzen Ressourcen und Personal – wie kommt es, dass Ferrari in Sachen Design so hinter Red Bull Racing herhinkt?
Weil ein Visionär wie Adrian Newey fehlt. Adrian kann eben über rohe Erkenntniss aus dem Windkanal hinausblicken. Er weiss, wo er hin will, und dann geht er diesen Weg in aller Konsequenz. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Red Bull Racing an die Zukunft denkt und den zweitbesten Visionär unter den Formel-1-Designern engagiert – James Allison.
Lotus hat Pirelli vorgeworfen, die Reifenwahl für Silverstone sei zu konservativ. Siehst du das genau so?
Es sieht ein wenig danach aus, ja. Die Reifen sind ein hochpolitisches Thema. Aber ich war nie der Meinung, dass sie so schlecht sind. Ich möchte mal das Geschrei hören, wenn wir Rennen haben, in welchen es nur noch einen Reifenwechsel geben wird. Ich könnte mir vorstellen, dass Pirelli einfach etwas auf die Beschimpfungen reagiert hat – wie nach der Boxenstopp-Orgie von Barcelona.
Wäre McLaren mit Lewis Hamilton auch so weit hinten?
Das glaube ich nicht. McLaren scheint mit etwas die Entschlossenheit verloren zu haben. Ist Jenson Button in dieser Situation einfach zu nett? Ich bin sicher, Lewis würde bei so einer Krise intern mehr Krawall machen. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso McLaren auf die Probleme nicht anders reagiert. Mir scheint, sie wissen einfach nicht, was sie mit diesem Auto machen sollen.
Sollte sich McLaren nicht lieber ganz auf 2014 konzentrieren?
Das Grundproblem bleibt ja: Du hast ein Auto gebaut, das nicht gut genug ist. Du musst zuerst herausfinden, was genau das Problem mit dem Fahrzeug ist. Denn die Erkenntnisse des diesjährigen Fahrzeugs geben die Richtung für das kommende vor.
Wieso ist Force India dieses Jahr so stark?
Weil sie die Reifen verstehen. Grundsätzlich haben sie ein Auto, das schnell genug ist, um im Abschlusstraining unter die besten Zehn vorzustossen, im Rennen dann profitieren sie vom sanften Umgang mit den Reifen. Natürlich profitieren sie auch davon, dass McLaren und Sauber dieses Jahr schwächeln. Die guten Leistungen von Force India sind eine Mischung – sie machen eine sehr guten Job, die anderen einen nicht ganz so guten.
Was findest du an den 2014er Regeln besonders interessant?
Jeder Ingenieur findet eine neue Herausforderung reizvoll. Und der neue V6-Turbomotor mit verstärkter Energie-Rückgewinnung ist eine gewaltige Herausforderung. Aber ich glaube, der Grund fürs neue Reglement war der Wille, der Formel 1 einen grünen Anstrich zu verpassen. Und dazu hätte man nicht unbedingt ein komplette neues Antriebs-Paket gebraucht. Jetzt stehen wir vor folgender Situation: Die Benzinverbrauchs-Schraube wurde so angezogen, dass ich mir vorstellen könnte – zum Schluss einiger Rennen 2014 werden Piloten zum Langsam-Fahren gezwungen sein, nur um überhaupt ins Ziel zu kommen! Wenn die Fans finden, dass einige Rennverläufe dieses Jahr eher verwirrend waren, dann sollen sie mal auf 2014 warten.
Wann sehen wir endlich eine Frau als Formel-1-Fahrer?
Ich sehe derzeit keine, die sich aufdrängen würde. Susie Wolff hat sich beachtlich aus der Affäre gezogen, aber es ist schwerlich vorstellbar, dass sie einen Lewis Hamilton gefährden könnte. Allerdings gilt das auch für die meisten männlichen Fahrer!