2. Training Melbourne: Gefährliches Missverständnis!
Wie schon am Morgen verlor Sauber-Neuzugang Adrian Sutil auch beim zweiten freien Training zum Australien-GP keine Zeit und drehte gleich zu Beginn die erste gezeitete Runde. Der 31-jährige Wahl-Schweizer kehrte mit einer langen Aufgaben-Liste an die Box der Schweizer zurück: «Ich hatte ziemlich viel Übersteuern in den High-Speed-Passagen, und die Power ist auf der Geraden auch nicht so gut, ausserdem gab es am Ende noch Probleme mit der Schaltung.»
Saubers Test- und Ersatzpilot Giedo van der Garde hatte am Morgen noch eine andere Beobachtung gemacht: «Ich habe mir das Training entlang der Piste angeschaut. Der Wagen wirkt etwas untersteuernd, aber das Heck liegt unglaublich stabil. Das hat mir grossen Eindruck gemacht.» Der 28-jährige Niederländer erklärte weiter: «Eines der Probleme von Sauber war bislang, dass wir die Reifen nicht richtig zum Arbeiten gebracht haben. Die 2014er-Mischungen sind ganz anders als jene des vergangenen Jahres. Auch daran müssen sich die Teams zuerst noch gewöhnen.».
Sutil besetzte die Zeitenliste nicht lange alleine, kurz darauf verwies ihn Toro-Rosso-Pilot Jean-Eric Vergne auf Platz 2. Zu den Ersten, die ausrücken durften, gehörte auch Pechvogel Lewis Hamilton, der am Morgen nicht über eine Installationsrunde hinauskam, weil er beim ersten Versuch schon in Kurve 9 ausgerollt war. SkyTV-Experte Marc Surer erklärt: «Bei Hamilton war es zwar nur ein Problem mit dem Sensor, aber das legte das ganze System lahm, und das betraf auch die Benzinzufuhr.» Der 62-jährige Schweizer weiss auch: «Sebastian Vettels lange Zwangspause im ersten freien Training war übrigens nicht technischer Natur. Der neue Unterboden, den das Weltmeisterteam mitgebracht hatte, passte nicht richtig und musste erst angepasst werden. Es war also ein aerodynamisches Problem, wenn man es so will.»
Pechvögel: Kamui Kobayashi, Kimi Räikkönen und Lotus-Duo
Immerhin konnte der Weltmeister am Nachmittag ausrücken – im Gegensatz zu Caterham-Pilot Kamui Kobayashi, der nach nur einer Installationsrunde am Morgen hatte abstellen müssen. «Bei ihm musste der Motor gewechselt werden, und das dauert neu bis zu sieben Stunden mit diesen neuen, komplizierten Antriebseinheiten. Das muss man sich mal vorstellen, da sind und vierzig Kilometer Kabel verbaut», erklärt Surer. Somit ist der Japaner der erste Fahrer, der in diesem Jahr einen kompletten Trainingstag abschreiben musste. Auch dessen Teamkollege Marcus Ericsson kam wiederum nicht weit. Der 23-jährige Schwede schaffte wie schon am Morgen nur eine Installationsrunde, dann wurde er von einem Hydraulikproblem gestoppt.
Problemfrei lief es auch für Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen nicht. Der Finne hatte sich zusammen mit seinem Teamkollegen Fernando Alonso zur Startübung aufgereiht, kam aber im Gegensatz zum zweifachen Formel-1-Weltmeister nicht vom Fleck: «Ich krieg’ den ersten Gang nicht rein», beschwerte sich der Finne über Boxenfunk, bevor er kurz darauf wieder in die Box geschoben wurde.
Auch das Lotus-Duo wurde wieder vom Pech verfolgt. Romain Grosjean, der im ersten freien Training der einzige Pilot blieb, der keine einzige Runde drehen konnte, bekundete ein Problem mit der Servolenkung. Noch schlimmer traf es seinen Teamkollegen Pastor Maldonado, dessen Energie-Rückgewinnungssystem streikte.
Surer: «Das hat Gilles Villeneuve das Leben gekostet»
Für einen grossen Schreckmoment sorgte Toro-Rosso-Neuling Daniil Kvyat. Der Russe wollte dem heranstürmenden Hamilton Platz machen, und verursachte dabei fast eine Kollision. Surer kommentierte ernst: «Das hätte aber ins Auge gehen können. Ein Neuling halt – wobei wir fairerweise sagen müssen, dass so etwas manchmal auch erfahrenen Piloten passiert. Das ist sehr gefährlich, so ein Missverständnis kostete Gilles Villeneuve seinerzeit das Leben.» Und Van der Garde fügte an: «Da hat der junge Russe geschlafen.» Die Rennkommissare Gerd Ennser (D), Tim Mayer (USA), Emanuele Pirro (I) und Steve Chopping (AUS) werden sich diese Szene noch einmal genauer ansehen.
Kvyat kämpfte sichtlich an der Grenze der Überforderung. Der Toro-Rosso-Rookie beklagte sich über Funk: «Es ist unmöglich, so die Reifen aufzuwärmen – ich muss zu viel an Bord gleichzeitig machen!» Zur Erinnerung: Der 19-Jährige aus Ufa ist der erste Pilot in der Geschichte der Königsklasse, der direkt von der GP3 als Stammpilot in die Formel 1 einstieg. Williams-Talent Valtteri Bottas durfte seinerzeit immerhin ein Jahr lang als Test-und Ersatzpilot am Freitag üben.
Der neue Turbo-Sound: Ein heiseres Bellen
Ein spektakuläres Live-Erlebnis hatten die Zuschauer im Albert Park auch ohne Schreckmoment – zumindest wenn man den Worten Martin Brundles glaubt. Der ehemalige Formel-1-Pilot stellte sich an die Kurve 13 und schwärmte: «Keiner soll mir sagen, dass diese Formel 1 zu langsam sei! Wow! Die Fahrer von Williams und McLaren scheinen mir am meisten Vertrauen ins Auto zu haben. Seltsamerweise auch die Sauber, denn die Rundenzeiten sind nicht besonders eindrucksvoll. Die Motoren klingen seltsam, wenn die Wagen in die Kurve fahren, dann kommt ein heiseres Bellen, wenn die Piloten aufs Gas steigen. Der Ton hat sich definitiv geändert. Die V8 taten dir im Ohr weh, die Turbos klingen weniger dramatisch, dafür hörst du die Lader heulen. Ich persönlich hätte es gerne etwas lauter. Wir müssen auch dran denken, dass der Ton hier von den Begrenzungsmauern zurückgeschlagen wird. Auf freier Wildbahn wie Sepang oder Belgien wird das ganz anders klingen.»
Auch Damon Hill konnte sich einen Kommentar zum neuen Formel-1-Sound nicht verkneifen. Der Weltmeister von 1996 gestand: «Ich muss mich zuerst noch dran gewöhnen, dass die Autos leiser geworden sind. Es kommt mir vor, wie wenn du ans Motörhead-Konzert gehst, und auf einmal spielt die Band nur noch akustisch! Zum Zuschauen finde ich diese Renner klasse – die Autos schlängeln aus den Kurven heraus, wenn die ganze Power einsetzt, das ist fabelhaft. Du siehst wirklich, wie die Fahrer arbeiten müssen.»
Romain Grosjean im Pech, Dreher von Nico Hülkenberg
Auch in den letzten fünf Minuten war auf der Strecke viel los: Grosjeans Lotus brach eingangs von Kurve 6 plötzlich nach links aus, berührte die Streckenbegrenzung und flog mit gebrochener linker Hinterradaufhängung ins Aus. Surer erklärte: «Da ist ganz sicher vorher schon etwas gebrochen, ich tippe auf die Hinterradaufhängung. Grosjean ist in diesem Fall unschuldig.» Auch Force-India-Rückkehrer Nico Hülkenberg beendete das Training neben der Strecke. Anders als bei Grosjean lag diesem Abflug jedoch ein Fahrfehler zu Grunde: «Da hat Nico zu weit ausgeholt und sich gedreht, das war der übliche Fehler. Es ist aber auch schwierig, die Bremspunkte aus der Cockpit-Perspektive zu sehen.»
Die schnellste Runde des Nachmittags drehte Hamilton. Der Mercedes-Pilot war 0,157 sec schneller als sein Teamkollege Nico Rosberg. Die Mercedes waren auf der Geraden sichtlich schneller unterwegs als die Konkurrenz. Brundle erklärt: «Die Turbos beschleunigen erheblich besser als die alten V8-Autos. Der Mercedes bringt die Kraft sehr gleichmässig auf den Boden. Der Sound des Mercedes ist rauh und kernig, und er gefällt mir je länger je besser. Die Renault-Fahrer sind generell mehr am Arbeiten aus den Kurven heraus, der Renault scheint mir die Kraft nicht so gut zu entfalten wie der Mercedes-Turbo. Allerdings liegen die Red Bull Racing wie ein Brett auf der Strasse.»
Eine Analyse der Longruns zeigt: Die Weltmeister-Boliden sind etwa eine halbe Sekunde langsamer als die Silberpfeile. «Stärker als ich es erwartet hatte, ist Alonso», erklärte Sutil hinterher. Der Ferrari-Star reihte sich in der Zeitenliste des Nachmittags hinter dem Mercedes-Duo und vor Weltmeister Vettel ein. Stark präsentierten sich auch die McLaren-Fahrer Jenson Button und Kevin Magnussen. Button sicherte sich Platz 4, Neuling Magnussen drehte die neuntschnellste Runde. McLaren-Testpilot Oliver Turvey bestätigte denn auch: «Unsere Fahrer sind mit dem Auto recht happy, sie sind auch viel zu Fahren gekommen. Wir haben einige Verbesserungen mit nach Australien gebracht, die haben sich bewährt. Derzeit schaut alles recht gut aus.»