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Nach Ratzenberger-Tod: «Und morgen stirbt Senna»

Von Mathias Brunner
Imola war immer ein Gute-Laune-GP. Aber 1994 änderte alles

Imola war immer ein Gute-Laune-GP. Aber 1994 änderte alles

Keiner, der in Imola vor Ort war, keiner, der vor dem Fernseher sass, wird das schwarze Wochenende zum 1. Mai 1994 je vergessen. Die Erinnerungen sind so frisch, als wäre alles gestern passiert.

Ich fasse es nicht, dass Imola 1994 bereits zwanzig Jahre zurückliegt. Einige Erinnerungen sind so kraftvoll, als hätte der Tod erst vor wenigen Wochen das Fahrerlager heimgesucht. Ich berichtete damals an der Seite meines Vorbilds Helmut Zwickl von den Rennen. Er hatte schon in den 60er Jahren über den Grand-Prix-Sport geschrieben, packend wie kein anderer, zu einer Zeit, als fast jedes Jahr ein Spitzenpilot sein Leben liess. Mir ist bis heute schleierhaft, wie er damit umgehen konnte.

Die Formel 1 war 1994 so selbstverliebt wie heute, aber in Sachen Sicherheit in fahrlässige Selbstgefälligkeit verfallen: Was sollte schon passieren? Hatte es nicht seit 1985 und dem Testunfall von Elio de Angelis in Le Castellet keinen Formel-1-Toten mehr gegeben? Lag der letzte tödliche Unfall an einem GP-Wochenende nicht gar zwölf Jahre zurück? (Riccardo Paletti 1982 in Montreal, mein erster Grand Prix, übrigens, aber das ist wieder eine andere Geschichte.)

Im Winter waren die wichtigsten Fahrhilfen verboten worden, die Autos waren von freiem Auge nervös wie Rennpferde kurz vor dem Start. In Brasilien war noch alles gut gegangen, in der Einöde von Aida in Japan auch, aber es war die Ruhe vor dem Sturm.

Entsetzen über den Unfall von Ratzenberger

Der fatale Unfall von Roland Ratzenberger erzeugte grenzenloses Entsetzen. Wie der Österreicher nach dem schlimmen Unfall im Abschlusstraining im Wrack lag, die Färbung des Helmes, da gab es kaum Hoffnung, das war uns sofort klar.

Als die Ärzte am zerschlagenen Chassis von Ratzenberger angekommen waren, schlug das Herz Ratzenbergers noch einige Male, aber Dr. Franco Seradei sagte später: «Im Grunde war der Fahrer klinisch tot.»

Helmut und ich schalteten gewissermassen den Autopiloten ein: Emotionen unterdrücken, Informationen sammeln, schreiben. Es reichte hin und wieder ein Blick zu meinem Wiener Kollegen, um zu wissen, was er über das ganze Geschehen dachte. Das Gleiche wie ich: Passiert das alles wirklich? Oder erwachen wir bald aus einem fiebrigen Traum?

Ich kann nicht behaupten, dass ich Roland Ratzenberger gut kannte. Wir unterhielten uns kurz in Brasilien, etwas länger in Japan. Was ich jedoch sagen kann: Ein Mensch, der einem sofort sympathisch war. Offen, humorvoll, zugänglich, aufmerksam. Abgesehen von den Deutschsprachigen sowie von Journalisten, die Roland aus der Zeit in England oder Japan kannten, blieb der Gästebereich bei Simtek meist leer. Ratzenberger freute sich, wenn jemand vorbei schaute.

Es war noch nicht die Ära der Presseverhinderer. Wer mit einem Fahrer reden wollte, der ging zu ihm hin und fragte. Vielleicht mit Ausnahme der Stars der Branche. Roland war vom Status her kein Star, vom Charakter her schon, jede Form von Allüren waren ihm komplett fremd. Einfach ein klasse Typ.

Düstere Stimmung im Hotel

Irgendwann waren dann alle Berichte abgesetzt, die Menschen verliessen tröpfchenweise langsam die Strecke Richtung ihrer Hotels, von der üblichen Lebenslust in der Emilia-Romagna blieb wenig übrig.

Die «Albergo Alma» in Riolo Terme war jahrelang unsere Oase fürs Rennen in Imola. Jeden Abend nach einem langen Arbeitstag trudelten Journalisten- und Fotografenkollegen nach und nach in dieses Hotel ein, versuchten, mit einer schnellen Dusche den Dreck des Tages und den massiven Pollenflug abzuwaschen (was meist gelang), ohne das ganze Bad und das Zimmer obendrein unter Wasser zu setzen (was meist misslang), dann freute man sich nach einem Apéritiv aufs gemeinsame Essen. Allgemeines Türenknallen (die Wände bestanden der Akustiv zufolge aus Karton) war jeweils das Signal zur Tafel. Die Tische waren lang, die Abende auch, im Zeitalter ohne Internet, Facebook und Twitter gab es so etwas wie Geselligkeit.

Hin und wieder wurden die Gespräche tiefgründig, meist wurde eher geblödelt, oft leidenschaftlich über Racing diskutiert, immer wurde viel gelacht. Als wir erstmals ins Alma kamen, rannte ein Wirbelwind von Knirps unter den Tischen durch. Jahre später stand der gleiche Sohn des Besitzer-Ehepaars, inzwischen baumlang, in der Küche und hat die leckersten Speisen auf die Teller gezaubert. Es geht nichts über einen Familienbetrieb in Italien.

Aber an diesem 30. April 1994 war alles anders.

Gabeln klapperten zurückhaltend, die meisten von uns stocherten lustlos im Essen herum, Appetit hatte kaum einer, das Geschehene in Alkohol ertränken machte auch keinen Sinn. Aber reden tat uns gut, wie sollten wir das Grauen sonst verarbeiten?

«Das ist fürchterlich», sagte einer.

«Schlimmer geht es nicht, zuerst Barrichello und dann Ratzenberger», sagte einer anderer.

Und ein dritter meinte: «Schlimmer wäre eigentlich nur, wenn morgen Senna stirbt.»

Der Satz verfolgt mich bis heute.

Furchtbare Bilder

Sonntagmorgen, 1. Mai, Renntag: Ein italienischer Kollege sprach mich an, ein Fotograf wolle mich sehen. Er stellte uns vor, dann ging er auffällig schnell, so als ob er mit der folgenden Szene nichts zu tun haben wollte.

Ich weiss den Namen des Fotografen nicht mehr. Aber die Farbabzüge, die er mir zeigte, bester Laune, wie ein Fussballknirps auf dem Pausenhof seine gesammelten Panini-Bilder vorführt, die werde ich nie mehr aus meinem Kopf herausbekommen. Ein Bild grauenvoller als das nächste, Nahaufnahmen, sehr viel Rot, den Rest überlasse ich Ihrer Phantasie. Keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, so nahe an den Verunfallten heranzukommen, wo der noch im Wagen lag. Und warum ihn niemand wegwies, als Roland Ratzenberger aus dem Auto gehoben wurde.

Ich schob die Bilder von mir weg: «Es tut mir leid, das ist nichts für uns. Versuchen Sie ihr Glück woanders.» Mir war speiübel.

Kurz vor dem Start zum San-Marino-GP. Helmut Zwickl und ich schauten uns wie immer an, gaben uns die Hand, es war ein kleines Ritual zwischen uns, fast als ob wir selber bald Rad an Rad kämpfen würden, und wünschten uns: «Gutes Rennen.»

Leider blieb der Wunsch unerfüllt.

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