Viviane Senna: «Alle sind schuld am Tod von Ayrton»
Viviane Senna vor dem Plakat des Films «Senna»
Am 1.Mai 1994 in Runde 7 des Grand Prix von San Marino knallte der Williams von Ayrton Senna mit etwa 220 km/h in der Tamburello-Kurve in die Mauer. Am Abend wurde der 34-jährige dreimalige Weltmeister im Krankenhaus von Bologna für tot erklärt. Seine Schwester Viviane sieht viele Faktoren, die zu dem tödlichen Unfall geführt haben und viele Schuldige.
«Erstens die Änderung des Regelwerks von einem Jahr auf das nächste. Der selbe Wagen der - wie Williams - das eine Jahr hervorragend lief, verwandelte sich im Jahr darauf in eine Karre. Ayrton selbst sagte, dass sein Auto unlenkbar geworden sei, wie eine Karre. Er konnte den Wagen nicht fahren, weil alle elektronischen Teile, die zu dem Konzept gehörten, ausgebaut worden waren», sagte sie im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
«Die Aerodynamik hatte sich auch geändert. Es gab nicht genügend Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Und dann war da das Problem mit dieser Kurve, in der es schon mehrere schwere Unfälle gegeben hatte. Der Asphalt der Piste war höher als die Schikane. Der Wagen flog durch die Luft und prallte frontal auf. Das ist die schlimmste Kollision, die es gibt. Dann war da noch das Problem mit der schlecht geschweißten Lenksäule», sprach die Mutter des ehemaligen Formel-1-Piloten Bruno Senna den Punkt an, der möglicherweise der Auslöser für einen Bruch der Lenksäule und somit für den Unfall war.
Es hätte eine «Summe von Irrtümern bei der Leitung, dem Reglement, der Sicherheit, den Entscheidungen in der Formel 1 und in den Teams» gegeben, fuhr sie fort. «Völlig wahnsinnig, völlig verkehrt. Es hatte bereits einen tödlichen Unfall an diesem Wochenende gegeben. Die Fahrer waren in Aufruhr, Ayrton war einer der Piloten, die mehr Sicherheit forderten. Das wurde aber nicht ausreichend berücksichtigt. Es mussten Ayrton und (Roland) Ratzenberger sterben, damit die Maßnahmen getroffen wurden, die vorher hätten getroffen werden müssen.»
Schuldig trotz Freispruch
Im Verfahren gegen Teamchef Frank Williams, den Technischen Direktor Patrick Head und Chefdesigner Adrian Newey konnte das Gericht in Bologna schließlich keinen Schuldigen ausmachen und sprach alle drei frei. Viviane Senna findet jedoch, alle eine Mitschuld treffe. «Alle sind schuld, alle waren beteiligt. Bei geeigneten Verhältnissen hätte ein einziges Element nicht zu diesem Ausgang geführt», stellt sie fest. «Hätte die Lenksäule nicht dieses Problem gehabt, hätten die anderen Faktoren auch nicht die Wirkung gehabt, die sie gehabt haben. Alle, alle sind sie schuld an diesem Tod.»
Auf die Frage, ob sie all den Menschen, die sie für mitschuldig am Tod ihres Bruders hält, mittlerweile verziehen habe, meinte sie nur: «Eigentlich spielt das überhaupt keine Rolle mehr: Ayrton ist nicht mehr da.»
Die Königsklasse hat sich in den vergangen zwei Jahrzehnten verändert, während sie an der heutigen Formel 1 aber kaum ein gutes Haar lässt – «heute ist es egal, ob der Pilot gut oder schlecht ist. Was zählt, sind die technischen Aspekte, die Macht, das politische Spiel und das Geld. Mehr als sonst, mehr als zu Ayrtons Zeiten» – begrüßt Viviane Senna es doch, dass sich die Sicherheit entscheidend verbessert hat. «Das ist sehr positiv. Es gibt keine Unfälle mehr, und wenn es doch mal einen schweren Unfall gibt, gibt es keine Toten. Der Fortschritt in dieser Hinsicht ist unglaublich.»
«Hamilton erinnert mich sehr an Ayrton»
Von den jetzigen Piloten würde die Brasilianerin am ehesten Mercedes-Pilot Lewis Hamilton mit ihrem Bruder vergleichen. «Hamilton erinnert mich sehr an Ayrton, weil er ein sehr schneller und kühner Pilot ist. Und ein sehr entschlossener auch», erklärte sie. Ayrton Sennas hervorstechendste Eigenschafren seien gewesen, «Biss zu haben, Entschlossenheit, nicht aufzugeben, Beharrlichkeit, Hingabe, 300 Prozent zu geben, die Perfektion zu suchen, sich anzustrengen: All das gehört dazu.»
Wichtiger als seine Entschlossenheit im Beruf – «Ayrton verbrachte mehr Zeit als jeder andere Pilot auf der Strecke, lief sie ab, um jede Kurve zu kennen» – seien aber die menschlichen Eigenschaften gewesen, für die er stand, betonte sie. «Mehr als für die Tatsache, dass er drei Meisterschaften gewonnen hat und weltweit als ein besonderer Pilot anerkannt war, wird Ayrton für seine Werte, seine Haltung und seine Einstellung bewundert.»