Gerhard Berger: Wo ist der Ritt auf der Kanonenkugel?
Gerhard Berger ist nicht zufrieden
Gerhard Berger spricht vielen Fans aus der Seele, wenn er über den GP-Sport schimpft. Der 210fache Grand-Prix-Teilnehmer, inzwischen 56 Jahre jung, ist im Herzen immer ein Racer gegeblieben, und als solcher schmerzt ihn das Gebotene in der modernen Formel 1.
Gegenüber dem ORF sagt der Tiroler: «Wir haben eine echt schwierige Zeit. Mercedes hat seine Hausaufgaben natürlich gut gemacht und verdient jeden Respekt. Aber als Fans wünschen wir uns mehr Zweikämpfe, mehr Spannung.»
Viele Fans wenden dem Sport den Rücken, weil den Formel-1-Piloten der Heldenstatus abhanden gekommen ist. Immer wieder sind in E-mails an SPEEDWEEK.com Sätze zu lesen wie: «Was sind das für Fahrer, denen Techniker alle paar Sekunden sagen müssen, was sie an Bord zu tun haben? Können sie das nicht mehr selber entscheiden?»
Ein Grund für so manchen faden Grand Prix ist die Perfektion, den die Rennställe erreicht haben. Gerhard Berger, WM-Dritter der Jahre 1988 und 1994: «Auch früher hat es überlegene Teams gegeben. Doch eben auch eine Menge Ausfälle. Heute bleibt so gut wie kein Auto mehr stehen, es gibt kaum noch Überraschungseffekte. Kein Spritmangel, keine Motorschäden, keine Bremsdefekte. Heute ist nach der ersten Kurve klar, wer das Rennen gewinnen wird.»
Dabei macht im Grunde doch genau das einen Teil der Faszination im Rennsport aus: Wenn Bayern München kurz vor Schluss eines Fussballspiels gegen Hoffenheim mit 5:0 führt, wissen selbst die leidenschaftlichsten Hoffenheimer Fans – das lässt sich wohl nicht mehr drehen.
Aber im Rennsport kann der Leader auch mit 50 Sekunden Vorsprung in der letzten Runden noch stehen bleiben, und alles ist anders.
Die Perfektion ist das eine, der Weichspülerumgang mit den Piloten etwas anderes. Gerhard Berger: «Zu meiner Zeit wurden Fahrfehler bestraft. Heute sind die riesigen Auslaufzonen betoniert. Mit Glück verlierst du bei einem Ausritt nicht einmal eine Position.»
Hauptgrund für die Misere ist für den Österreicher jedoch «das irrwitzige Reglement: Zu brav, zu wenig spektakulär, zu kompliziert. Da bekommen McLaren-Honda und Fernando Alonso 100 Plätze Strafversetzung. Das versteht doch keine Sau, Entschuldigung, kein Mensch mehr.»
Zudem, so sagt Berger, seien die aktuellen Fahrer zu wenig gefordert. «In den 80er Jahren fuhren wir Autos mit bis zu 1400 PS, und das ohne automatisches Getriebe, Elektronikhilfen oder heutige Aerodynamik. Heute haben sogar Strassensportwagen so viel PS wie ein Formel 1-Auto.»
Nur bei Mischverhältnissen und im Regen wird den Zuschauern schlagartig wieder klar, welche Künstler hier am Werk sind. Aber Gerhard Berger ist nicht der einzige Formel-1-Freund, der die Extremität der Königsklasse vermisst.
Der frühere Ferrari- und McLaren-Honda-Pilot sagt weiter: «Zu meiner Zeit war die Formel 1 noch ein Ritt auf der Kanonenkugel.»
Berger verweist auf die spektakuläre MotoGP als Gegenbeispiel. «270 PS, 160 Kilo, kleine Auflagefläche – das ist genau der Ritt auf der Kanonenkugel, den ich angesprochen habe. Dort muss man mit der Formel 1 wieder hin, nämlich dass der Pilot wieder der entscheidende Faktor ist, dass nur vier oder fünf Fahrer überhaupt in der Lage sind, ein solches Auto komplett zu beherrschen. Es muss sich etwas ändern, wenn man die Fans langfristig am Bildschirm halten will.»
Für die Saison 2016 hofft Berger, «dass Ferrari zu Mercedes aufschliesst und Red Bull Racing als vielleicht immer noch bestes Team punkto Motoren endlich Fortschritte macht».