Sebastian Vettel (Ferrari) ohne Technikchef Allison
James Allison mit Sebastian Vettel
Die Personalie James Allison ist heikel. Ende März verlor der englische Technikchef von Ferrari unerwartet seine Ehefrau Rebecca, der zurückhaltende Brite musste sein Leben neu organisieren, denn die Kinder leben in England. Ferrari gab ihm eine Auszeit auf unbestimmte Zeit. Im Juni verstärkten sich Gerüchte, wonach es zur Trennung mit dem 48jährigen Allison komme, weil er nach Grossbritannien zurückkehren wolle, der Kinder Emily, Matteo und Jonathan wegen. Zudem läge ein Angebot von Renault vor, dass Allison seine technische Expertise wieder dort einbringen kann, wo er zwischen seinen Ferrari-Engagements arbeitete – in Enstone, damals zunächst Renault-Werksteam, dann Lotus, heute wieder Renault-Werksteam.
Ferrari dementierte, dass Allison weggehen werde, zumal ein Abkommen mit dem gelernten Luft- und Raumfahrttechniker erst 2015 verlängert worden war.
Nun behaupten unseren Kollegen der Gazzetta dello Sport: Es werde sehr wohl zum Bruch zwischen Allison und Ferrari kommen.
Ungeachtet des Schicksalsschlags für James Allison wird niemand widersprechen, wenn wir vor dem Hintergrund der ersten Saisonhälfte behaupten: Ferrari hat die Ziele verpasst.
Firmenpräsident Sergio Marchionne hatte ausgegeben, dass Ferrari vom ersten Rennen in Australien an siegfähig sein müsse und dass auf Augenhöhe mit Mercedes-Benz gefahren werde. Das ist selten passiert. Mehr noch, von hinten drängelt Red Bull Racing, die auf manchen Pisten zweite Kraft gewesen sind, die in Spanien Ferrari geschlagen und dem 18jährigen Max Verstappen den ersten Sieg ermöglicht haben, die in Monaco hätten gewinnen müssen. Und die auch in Ungarn wieder stark sein sollten.
Sergio Marchionne hat nach den beiden WM-Läufen von Österreich und Grossbritannien Maranello besucht, Ferrari bleibt 2016 sieglos, der letzte GP-Triumph von Sebastian Vettel in Rot geht auf September 2015 und die Nacht von Singapur zurück.
Der Ferrari baut zu wenig Abtrieb auf, die Weiterentwicklung wirkt zahnlos, der Wagen ist zu wenig effizienz beim Reifen-Management, es gibt anhaltende Probleme mit der Standfestigkeit, zuletzt mit dem Getriebe.
In Italien sickert durch: Marchionne fordere mehr Transparenz, mehr Kontrolle, um letztlich mehr Erfolge zu haben. Der Fiat-Sanierer ist nicht als geduldiger Mann bekannt. Wenn er einen anderen Weg zum Erfolg sieht, dann wird er ihn beschreiten. Marchionne wollte bei seinem Besuch in Maranello wissen, was die Abteilungschefs sagen – was Ferrari fehlt, um endlich wieder vorne zu liegen.
Für die Kollegen der Gazzetta steht fest: James Allison, der letzte Mann auf einem leitenden Posten, der unter die Führung von Ex-Präsident Luca Montezemolo fällt, habe sich zusehens von Maranello entfernt – mental und auch räumlich. Die mangelnde Weiterentwicklung des 2016er Ferrari muss letztlich ihm angelastet werden.
Die Frage ist: Sollte James Allisons Abgang wirklich beschlossene Sache sein, wer rückt dann nach?
Es halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach dem früheren Technikleiter Ross Brawn erneut der rote Teppich ausgerollt worden sei. Doch der eulenartige Brite ist sich nicht sicher, ob er sich die Tretmühle Formel 1 nochmals antun will. Und als reiner Berater wird Brawn nicht zurückkommen. Entweder ganz oder gar nicht. Zudem hat sich die Formel 1 seit seinem Weggang verändert. Selbst wer in der Vergangenheit enormen Erfolg hatte, kann keine Erfolgsgarantien für die Zukunft abgeben.
Avancen Richtung Adrian Newey wurden von Red Bull blockiert, indem dem besten Techniker der Formel-1-Gegenwart interessante neue Aufgaben ermöglicht wurden, wie etwa der Bau eines Supersportwagens zusammen mit Aston Martin.
Setzt Ferrari vielleicht ganz auf das Eigengewächs Simone Resta, Projektleiter des 2016er Autos?
Toro-Rosso-Technikchef James Key steht ebenfalls auf der Wunschliste von Marchionne, doch Key soll langfristig als Newey-Nachfolger aufgebaut werden. Und selbst wenn Key den Sirenengesängen aus Maranello erliegen würde, müsste er nach seiner Arbeit bei Toro Rosso eine Auszeit einlegen, bevor er bei Ferrari anfangen könnte.
Doch vom edlen Gut Zeit hat Ferrari nun wirklich am wenigsten. Marchionne will Ergebnisse sehen, und das nicht erst in einigen Jahren.