Yamaha Ténéré 700 gefahren: Strasse und Gelände
Auf so langen Distanzen wie dem 36-stündigen Ritt der Hardalpi Extreme ist der Fahrer der limitierende Faktor. Das ideale Motorrad für solche Strapazen muss deshalb den Fahrer schonen. Das gelingt der Yamaha Ténéré 700 vorzüglich.
Der Sattel ist bequem und rutschfest, man fährt die Ténéré mit entspannt aufrechtem Oberkörper und weitem Kniewinkel. Der Windschutz ist gut, verspannte Nackenmuskeln treten nicht auf. Im Gelände ist auch die Stehposition bequem, bemäkeln kann man allenfalls, dass der Einstellbereich des Bremspedals nicht genügend weit nach oben reicht und das man mit dem Unterschenkel am Kupplungsdeckel anstösst.
Auf der Anreise ins Gelände ermitteln wir per GPS eine Höchstgeschwindigkeit von 177 km/h bei Tachoanzeige 190. Da liegt die Tenere, bereift mit Metzeler Karoo 3, nicht mehr stoisch ruhig. Dauertempo 140 ist bei gutem Windschutz problemlos und ermöglicht hohe Reiseschnitte. Dieser wird dem unwissenden Tenere-Treiber zunächst von der überpessimistischen Tankanzeige versaut, die schon nach 230 km zum Nachtanken mahnt. In den Tank passen dann nur gut zehn Liter. Bei einem Tankinhalt von 16 Litern und einem Verbrauch um 4,5 Liter auf 100 km hätte man problemlos noch 100 km anhängen können. Die Lösung: Einfach nochmals 100 km anhängen, nachdem die Tankanzeige auf Reserve geschaltet hat.
Das Fahrwerk geht für zügig-touristische Fahrweise in Ordnung, kommt aber nicht ganz an Spitzenfahrwerke heran, wie sie in Oberklasse-Wettbewerbsenduros verbaut werden. Die Radgrössen 21 und 18 Zoll sind die Basis einer Geländetauglichkeit, die vergleichbar ist mit den luftgekühlten Einzylindern der 80er Jahre. Getriebe und Kupplung sind Spitze, ebenso der Motor. Das Drehzahlband ist viel breiter als bei einem Einzylinder. Kettenpeitschen wie bei Einzylindern gibt es nicht, und auch kaum Vibrationen. Wenn man sich in ungemütlicher Lage zwei Gänge zu hoch wiederfindet, reisst einem der 700er Zweizylinder raus, ohne auf die Kette einzuhacken. Auf den vibrationsarm laufenden Reihenzweizylinder mit 270° Hubzapfenversatz ist immer Verlass.
Der Vergleich mit Einzylindern ergibt sich wegen des Gewichts von 204 kg vollgetankt, was sich allerdings auf die Basisversion ohne Zubehör bezieht. Da ist die an der Hardalpi oft eingesetzte KTM 690 Enduro mit 148 kg immer noch deutlich leichter, bietet aber viel weniger Komfort auf der Anfahrt. Ungekehrt ist der Bestseller BMW R 1250 GS mit 268 kg deutlich schwerer.
Von der rahmenfest montierten, vieräugigen LED- Beleuchtung hätten wir mehr erwartet. Bei Geradeausfahrt ist die Ausleuchtung top, doch wandert die scharfe Hell-dunkel-Grenze mit zunehmender Schräglage immer weiter zurück, was die Sichtweite in die Kurve verkürzt. Radausbau ist mit dem Bordwerkzeug unmöglich. Immerhin gibt es unter der Einersitzbank und der Gepäckbrücke zwei Nischen, in denen sich Werkzeug verstauen lässt.
Mit dem Explorer-Paket hat die Ténéré einen soliden, im Gelände unverzichtbaren Motorschutz. Die ausladenden Koffer können trotz Bedienung mit dem Zündschlüssel weniger erfreuen: Gesamtbreite einen ganzen Meter, der Lenker ist nur 88 cm breit. Da ist beim Durchmogeln im Stau Vorsicht geboten. An der Hardalpi wäre auf den Militärpisten das Kreuzen mit Geländewagen je nach Situation kniffliger bis unmöglich gewesen, weshalb die leer 11 kg schweren Kisten zu Hause blieben.
Womit wir kritisieren, was nicht nur die Ténéré betrifft. Nicht alles war früher besser, Motorradkoffer schon: Die Koffern an einer BMW R 75/5 von 1973, die zufällig als Referenz dient, haben bei grösserem Volumen eine Breite von 75 cm, der Lenker ist 78 cm breit. So müsste das gemacht werden. Der hochgezogene Auspuff und die dem Transport von Luft dienende Heckverkleidung der Ténéré erzwingen eine unnötige Baubreite. Auch der Schutzbügel, der die Tankflanken schützt, ist eigentlich unnütz. Wer partout keine Kratzer an seinem Motorrad dulden will, wird nach einem Sturz die Schutzbügel ersetzen, wem es egal ist, signalisiert mit zerkratzten Tankflanken Offroad-Kompetenz.
Was man an der Ténéré nie vermisst, ist die heute übliche Ablenkung in Form von Assistenz-Elektronik. Dankbar nimmt man zur Kenntnis, dass man das ABS ein- oder ausschalten kann, mehr ist da nicht. Keine semiaktiven Federelemente, zu elektronischen Paketen gekoppelt mit Motormodi und unterschiedlichen ABS-Abstimmung. Ein mutiger und aus praktischer Sicht richtiger Entscheid. Hoffentlich findet dieser Weg Nachahmer und dieser ganze unnütze Klimbim verschwindet so diskret wieder wie einst Antidive-Systeme und Turbolader.
Technische Daten
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Reihen-Zweizylinder, DOHC, 4 Ventile/Zylinder, Verdichtung 11,5, Bohrung x Hub 80 x 68,5 mm, 689 ccm. Mehrscheiben-Ölbadkupplung, 6 Gänge, Kette. 73 PS bei 9000/min, 68 Nm bei 6500/min.
Fahrwerk: Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, USD-Teleskopgabel 43 mm, Zug- und Druckstufe einstellbar, Zentralfederbein, Vorspannung, Zug- und Druckstufe einstellbar, Umlenkhebelei, Aluschwinge, Federwege 210/200 mm. Vorne Doppelscheibenbremse 282 mm, Doppelkolbenzangen, hinten Scheibenbremse 245 mm, Einkolbenzange, ABS abschaltbar. Drahtspeichenräder mit Alufelgen, Reifen vorne 90/90-21, hinten 150/70-18.
Abmessungen: Radstand 1595 mm, Lenkkopf 63°, Nachlauf 105 mm, Sitzhöhe 875 mm, gewicht vollgetankt 204 kg, Tank 16 Liter.
Preise: Deutschland ab 9723 Euro, Österreich ab 10.699 Euro, Schweiz ab 11.590 CHF.