BRM: Legendäre Rennwagen, verrückte Geschichten
Einige der klingendsten Namen im Motorsport haben wir als Formel-1-Magneten leider verloren – Lotus, Tyrrell, Brabham und auch BRM (British Racing Motors). Wenn Sie nur ein Buch über die facettenreiche Geschichte von BRM lesen möchten, dann haben wir für Sie das richtige: «BRM – Racing for Britain» von Ian Wagstaff und Doug Nye.
Der Leser ist in guten Händen: Für dieses prachtvolle Buch sind Ian Wagstaff und Doug Nye verantwortlich, beide mehrfach ausgezeichnete Autoren vortrefflicher Werke über unseren Lieblingssport. Wagstaff hat überaus empfehlenswerte Bücher verfasst, über den Porsche 917-023, den Maserati 250F, die ungepriesenen Helden von BRP (British Racing Partnership), den Lotus 18 oder über einen Mann, der bei BRM eine grosse Rolle spielte, Rennmechaniker Tony Robinson.
Doug Nye ist einer der weltweit führenden Kenner für klassische Rennwagen, einige seiner mehreren Dutzend Bücher gehören zum Besten, was je über den Motorsport geschrieben worden ist, unter vielen mehr über Rennwagen von Ferrari, Cooper – und BRM.
Diese beiden nun also bereiten die reiche Geschichte von BRM frisch auf, mit vielen Informationen und Fotos, die selbst BRM-Kenner noch nicht kannten. Die Autoren hatten Zugang zum Archiv der Familie Owen, und sie haben davon regen Gebrauch gemacht.
Der zündende Funke für BRM war die Einsicht des Rennfahrers Raymond Mays, dass es doch nicht angehen könne, wie Hersteller aus Deutschland, Italien und Frankreich den GP-Sport dominieren. Wo war da nur das stolze Britannien?
Mays, der vor dem Zweiten Weltkrieg die Rennwagenfirma ERA gegründet hatte (English Racing Automobiles), schaffte das Kunststück, die heimische Autoindustrie aus dem rennsportlichen Dornröschen-Schlaf zu wecken. Immerhin wurden damals nur in den USA mehr Autos gebaut als in Grossbritannien, das technische Know-how war also vorhanden.
Mays holte sich zahlreiche der führenden Zulieferfirmen der britischen Autoindustrie ins Boot, um einen umwerfenden V16-Rennwagen zu bauen.
Was dann folgte, war ein Paradebeispiel an glorreichem Scheitern. Das volle Potenzial des technisch hochstehenden, aber zu komplizierten Autos wurde selten ausgeschöpft, BRM wurde vom ambitionierten, bewunderten Nationalprohekt zum verspotteten Objekt der Scham. Als das Auto aus der Feder des genialen, aber oft beratungsresistenten Technikers Peter Berthon wieder mal schon beim Start stehenblieb, verhöhnten die Fans BRM, indem sie es mit Penny-Stücken bewarfen. Eine milde Gabe für die Versager.
Wie sich Tausendsassa Mays als Homosexueller ausgerechnet mit einem erzkonservativen Christen, dem Industriellen Alfred Owen zusammentat, ist nur ein fesselnder Aspekt einer vielseitigen Geschichte. Der V16-Rennwagen scheiterte letztlich am Ehrgeiz der Männer dahinter und am Timing in Sachen Reglement, aber wer glaubt, dass die Story hier geendet hätte, der irrt.
Von Tiefschlägen unbeirrt krempelte Raymond Mays die Ärmel noch höher, und Ende der 50er Jahre erreichte er ein wichtiges Etappenziel: Erster Sieg in der Formel-1-WM, mit dem Schweden Jo Bonnier 1959 in den niederländischen Dünen von Zandvoort.
BRM machte weiter und schaffte 1962 den Mount Everest für britische Motorsportfans: Ein Fahrer aus Grossbritannien (Graham Hill) wurde in einem in Grossbritannien hergestellten Rennwagen (BRM) Formel-1-Weltmeister, das hatte es noch nie gegeben.
Was damals keiner ahnte: Dies sollte der grösste Triumph der Marke in der Formel 1 werden.
BRM zog nach Le Mans (Einsatz mit einer Gasturbine, als Partner von Rover) und nach Nordamerika (in die CanAm-Serie), bis 1972 konnte der Rennstall in der Königsklasse Siege einfahren, zuletzt mit Jean-Pierre Beltoise im Regen von Monaco.
Aber längst zeichnete sich der Niedergang dieser unvergleichlichen Rennwagenmarke ab: Louis Stanley hatte die Leitung übernommen (Ehemann der Schwester von Alfred und Ernest Owen). Gesundheitliche Probleme von Sir Alfred Owen und der Tod von Ernest 1967 führten dazu, dass Stanley mehr und mehr Macht über das Team gewann.
Louis Stanley war vielen für sein überheblich-pompöses Auftreten verhasst. Er war ein Mann voller Widersprüche. Zusammen mit Jackie Stewart kämpfte er für mehr Sicherheit im Rennsport. Auslöser war ein Unfall des Schotten in Belgien 1966, als er nach einem Crash im BRM eingeklemmt war und Todesangst hatte, das auslaufenden Benzin könnte sich jeden Moment entzünden.
Stanley liess ein rollendes Krankenhaus bauen und zu den Rennen bringen. Ein Hohn: GP-Veranstalter wie in Monza weigerten sich, dieses hervorragende Werkzeug zu nutzen, Rennfahrer wurden weiter unter teils jämmerlichen Bedingungen behandelt. Als der Schweizer BRM-Fahrer Jo Siffert in Brands Hatch ums Leben kam, finanzierte Stanley aus eigener Tasche Forschung für verbesserte Rennanzüge und Trainings für Feuerwehrleute an den Strecken. Das alles hinderte ihn nicht daran, den Besuch der Siffert-Beerdigung mit Vertragsverhandlungen mit Philip Morris zu verknüpfen. Beim Geld hörte die Empathie auf.
Obschon seine Autos in den Farben von Yardley (Kosmetik) und Marlboro (Zigaretten) daherkamen, war der Niedergang von BRM nicht aufzuhalten. Das lag teilweise am sündhaft teuren, eigenen Motorentwicklungsprogramm, teilweise auch an den viel zu grossen Teams mit bis zu fünf Werkswagen. Anfang 1977 war BRM am Ende, wirtschaftlich, sportlich und technisch.
Ian Wagstaff und Doug Nye beschreiben Aufstieg, Blüte und Niedergang von BRM fundiert, packend, mit zahlreichen Anekdoten gespickt, es ist wahrlich nicht leicht, dieses Buch aus den Händen zu legen.
Dazu ist die BRM-Geschichte herausragend bebildert und mit vielen Dokumenten versehen aus dem reichen Fundus der Familie Owen. Auf diese Weise entsteht ein umfassendes Bild über eine legendäre Rennwagenmarke, welche die Fans bis heute in ihren Bann zieht.
Letztlich weist die Formel-1-Statistik für BRM nur 17 Siege aus, obschon am Lenkrad Ausnahmekönner sassen wie Stirling Moss und Juan Manuel Fangio, Graham Hill und Jackie Stewart, John Surtees und Dan Gurney, Pedro Rodríguez sowie die beiden Schweizer Jo Siffert und Clay Regazzoni.
Das grösste Erbe von BRM ist bei aller Zerknirschtheit über das unrühmliche Ende: Rayond Mays hat in seiner Heimatstadt Bourne mit seiner Energie die Weichen dafür gestellt, dass Grossbritannien heute eine florierende, wegweisende Rennwagenindustrie vorweisen kann.
Das Wichtigste in Kürze
Ian Wagstaff und Doug Nye: BRM – Racing for Britain
Mit Vorworten von Sir Jackie Stewart, Damon Hill und der Familie Owen
Aus dem Verlag Porter Press, England
ISBN: 978-1-913089-23-8
Text in englischer Sprache
Format 30 x 30 cm
304 Seiten
Mehr als 430 Fotos
Limitierte, nummerierte Auflage von 1500 Stück
Für rund 140 Euro im Fachhandel oder direkt bei Porter Press
Erhältlich auch in verschiedenen Sonder-Ausgaben (Collector’s, Jackie Stewart, Graham Hill, Unique), mehr dazu finden Sie hier