Katar-GP: Wie ein Märchen aus 1001 Nacht
Ich bin 2005 zum ersten Mal nach Doha zum Katar-GP gereist. Damals standen zum Beispiel die Hotels Ritz Carlton und Intercontinental einsam in der Wüste am Stadtrand Richtung Rennstrecke, deshalb empfahl sich das «Interconti» als Absteige, man war dann in 15 oder 20 Minuten auf dem Losail Circuit.
Zwischen diesen beiden Hotels und der Rennstrecke erstreckte sich fast 20 km lang eine erbärmliche Wüste und Einöde, man sah manchmal ein paar Kamele gelangweilt neben der Autobahn herumstehen. Weiden kann man ja nicht sagen, zu fressen gibt’s hier nicht, außer Sand und Staub.
Und heute? Da liegen diese beiden Hotel quasi mitten in der Stadt, umzingelt von zehn weiteren 5- und 6-Stern Hotels vom Hyatt bis zum Regis, es gibt ein Kempinski, ein «W» und ein Marriott, ein Hilton und so weiter, ein Diplomaten-Viertel, die neu aus dem Boden gestampfte Satellitenstadt Lusail City und «The Pearl», eine künstlich errichtete Landzunge am Meer, als Paradies für Superreiche.
Seit Jahren wird in und um Doha gebaut, gebaut und gebaut, und das hat nur teilweise mit der Fußball-WM zu tun, es gab und gibt auch alle möglichen anderen großen Sportanlässe hier – von der Rad-WM bis zur Handball WM.
Die achtspurige Pracht-Uferstraße «Corniche» direkt am Meer war am Freitag zum Beispiel hier gesperrt wegen der «Open Water Schwimm-Weltmeisterschaft». Sogar die WM im Stiegenlaufen habe ich hier schon erlebt. An Hochhäusern und Towern mangelt es wahrlich nicht.
Als ich 2005 erstmals in Doha war, hatte das ganze Land rund 400.000 Einwohner, jetzt mehr als 2,7 Millionen.
Allein 30.000 Arbeitskräfte werden bis zum Jahr 2019 für den Bau der Fußball-WM-Stadien für 2022 ins Land geholt, momentan sind es 15.000. Die meisten kommen aus Südostasien und mussten bei dubiosen Agenturen erhebliche Anwerbegebühren bezahlen. Die International Trade Union Confederation (ITUC) hat Katar jetzt gezwungen, diese Wuchergebühren an mehr als 5500 Arbeiter zurückzuzahlen.
Nirgends sieht man so viele Kräne pro Quadratkilometer wie hier. Und nirgends ist die V8-SUV-Dichte so hoch wie hier. Der Sprit kostet ja nur ca. 30 Euro-Cent pro Liter.
Mit meinem Ford Fiesta-Leihwagen könnte man hier Minderwertigkeitskomplexe kriegen.
Die vierspurige Schnellstraße, die wir vom ersten Tag an 14 Jahre lang zur Anfahrt an den Losail Circuit benutzten, wurde seit dem Vorjahr dem Erdboden gleichgemacht. Es gibt jetzt eine neue A1-Autobahn Richtung Al Khor, sie ist jetzt achtspurig, wie alle Autobahnen hier ist sie großzügig beleuchtet.
Wer sich am Donnerstag nicht erkundigt hatte, geriet also irrtümlich auf die A1-Autobahn, bei der die Strecke aber jetzt rechts liegt und nicht mehr links wie früher, also kam es zu Irrfahrten, man sah Oasen und Wadis und fühlte sich wie bei den Erzählungen von Karl May, der übrigens einmal in Hohenstein-Ernstthal im Gefängnis saß.
Wenn man im Baustellendschungel zwischen Doha und Al Khor, Al Ruwais und Losail City ein bisschen herumirrt, kommt man dauernd an neuen Universitäten, Palästen und Sportstätten vorbei. Direkt neben dem Losail Circuit befindet sich der Lusail Shooting Complex und der Lusail Sports Complex, der die Handball-WM beherbergt hat und von weiter Ferne sichtbar ist.
Am zweiten Tag wusste ich: Schön brav zuerst den Schildern «Al Khor Coastal Road» folgen, die näher an der Küste verläuft als die neue A1, dann war der Losail Circuit gut beschriftet, damit auch die 2000 Zuschauer am Sonntag zur Rennstrecke fanden.
So konnte man vom Hotel wieder innerhalb von 20 bis 25 Minuten zur Rennstrecke oder zurückkommen, wenn man die 80-km/h-Schilder nicht wörtlich nahm und vor den von weiten sichtbaren Radarkästen abbremste.
Diplomatische Beziehungen abgebrochen
Anfang Juni 2017 brachen Ägypten, Bahrain, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den diplomatischen Kontakt zu Katar ab und erklärten alle Landes-, Luft- und Seegrenzen für geschlossen. Als Grund dafür nannten sie, Katar habe Terrorismus unterstützt. Diplomaten wurden zu einer Ausreise innerhalb von 48 Stunden aufgefordert, Bürgern Katars wurde dafür eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Bahrain verhängte ein Reiseverbot nach Katar. Auch die Regierungen Jemens, Libyens, der Malediven und von Mauritius erklärten, dass sie ihre Beziehungen zu Katar gekappt haben.
Die Fluggesellschaften Emirates, Etihad Airways, Saudia, Gulf Air und Egypt Air gaben bekannt, ihre Flüge nach Katar einzustellen. Die Türkei stellte sich auf die Seite Katars.
Natürlich tun die Katari so, als würde sie der Boykott durch erwähnten Staaten nicht stark betreffen.
Aber es fliegen nur noch wenige Airlines nach Doha, natürlich Qatar Airways, dazu British Airways und Turkish Airlines. Die arabischen Fluglinien wie Emirates und Etihad fliegen Doha nicht mehr an, die Touristen aus Saudiarabien fehlen in Katar an allen Ecken und Enden, die Grenze zu den Saudis auf dem Landweg ist gesperrt, alle Lebensmittel müssen seit Juni 2017 auf dem Seeweg angeliefert werden.
Die Saudis wollen die Katari zwingen, ihre Politik zu ändern, sie sollen gegen den Iran härter vorgehen, der die Vormachtstellung der reichen Saudis im Mittleren Osten gefährdet.
Übrigens: Doha heisst auf Arabisch «ad-Daw?a», das bedeutet «großer Baum» (the Big Tree).
Katar erstreckt sich auf einer Fläche von bescheidenen 11.627 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Bayern ist 70.500 Quadat-Kilometer gross. Thüringen ist also rund 4000 Quadrat-km kleiner.
Katar hat 2,7 Millionen Einwohner, davon sind nur 275.000 katarische Staatsbürger. Das Land am Persischen Golf ist eine
Erbmonarchie, die Amtssprache ist Arabisch. Strom, Wasser und Gesundheitsversorgung sind für katarische Staatsangehörige kostenlos.
Der größte Reichtum Katars hat mit dem Erdgassektor zu tun. Unter dem Meeresgrund liegt das North Dome Gas Field, das mit 24 Milliarden Kubikfuß das größte Erdgasfeld der Erde ist. Katar besitzt laut Angaben von QP (QatarPetrol) ungefähr 25,5 Milliarden Kubikmeter Reserven an Erdgas und hat sich in den letzten Jahren eine weltweit führende Rolle in der Gasverarbeitung erarbeitet. Bereits 2006 war das kleine Emirat weltgrößter Flüssiggas-Exporteur.
Nur 0,3 Prozent des Staatsgebiets werden als Ackerland ausgewiesen, das künstlich bewässert werden muss. Die Hauptanbauprodukte sind Tomaten, Kürbisse, Getreide, Datteln, Zitrusfrüchte und Gemüse. Die einst rein nomadische Viehwirtschaft wurde durch den Aufbau von Viehfarmen umstrukturiert. Der Fischfang wird weiter ausgebaut.
2011 wurden 90 Prozent der in Katar verzehrten Nahrungsmittel eingeführt. Mit einem Erlass des Thronfolgers Scheich Tamim bin Hamad Al Thani wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die für die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung zuständig ist. Seit wird ein Plan zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung erstellt, die bis 2023 umgesetzt werden soll. Der Export von Nahrungsmitteln soll unterbunden werden. Zuletzt hat ein Unternehmer 650 Kühe in Australien. Amerika und England gekauft, er will in Katar einen MiIchverarbeitungsbetrieb gründen.
Die stolzen Herrscher von Katar werden nicht so rasch gegen die eifersüchtigen Nachbarstaaten klein beigeben. Sie haben 525 Panzer bestellt und in Amerika hat der katarische Verteidigungsminister einen lange vorbereiteten Kaufvertrag über 36 F-15-Kampfjets unterzeichnet. Katar bezahlt dafür zwölf Milliarden US-Dollar.
Katar hat sich am Freitag bei den Vereinten Nationen beschwert, weil die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) am 4. März 2018 den Luftraum über Doha mit einer CN-35-Frachtmaschine verletzt haben. Es wurde sogar mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht.
Die EU soll jetzt mithelfen, die Krise am Golf zu beenden, es sollen Verhandlungen und Dialoge in Gang gebracht werden.
Der Tourismus wird angekurbelt
Katar setzt weiter auf den Tourismus, der durch dauerhafte Sportanlässe angekurbelt wird, jetzt wird sogar in Zusammenarbeit mit der Dorna eine «Qatar Motorsport Academy» gegründet.
In Wirklichkeit interessiert der Motorrad-GP in diesem Wüstenstaat genau genommen niemand.
Katar hat übrigens im Mittleren Osten ein Alleinstellungsmerkmal. Es gab dort nie Terror und keine Bombenanschläge. Denn die Katari haben sich damals mit der Al Qaida geeinigt und den Osama-Bin-Laden-Bedarfs-TV-Sender Al Jazeera aus Doha senden lassen.
Im Gegenzug wurde das Emirat vom Terror verschont – bis heute.
Trotzdem wurde am Samstag vor der Einfahrt zum Losail Circuit plötzlich jedes Fahrzeug mit einem Spiegel auf der Unterseite des Wagens auf mögliche Bombentransporte kontrolliert.
Ich fragte mich: Und warum am Donnerstag und am Freitag nicht?
Am Sonntag herrschte wieder Ruhe vor der Einfahrt in den Losail-Paddock.
Nach der erfolglosen Suche vom Samstag kehrten die sorglosen Araber zum Alltag zurück. Alle Fahrzeuge rollten ungehindert ins Fahrerlager. Auch beim Einmarsch ins Hotel wurde das Gepäck nur jedes vierte Mal überprüft, die Personen selbst gar nicht.