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Ralf Waldmann: Authentisch, ein Unikat, eine Marke

Von Günther Wiesinger
Zweimal verlor Ralf Waldmann (li.) die 250er-WM knapp gegen Max Biaggi

Zweimal verlor Ralf Waldmann (li.) die 250er-WM knapp gegen Max Biaggi

Man kann unendlich viel über Ralf Waldmann erzählen. Er war ein beispiellos begnadeter Motorrad-Rennfahrer. Aber in erster Linie war er einfach ein wirklich lieber und herzensguter Mensch.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im Laufe des 11. März 2018 die Hiobsbotschaft vom völlig überraschenden Tod des 51 Jahre alten Ralf Waldmann tags zuvor, den in Wirklichkeit kein Mensch Ralf nannte.

Erschütterung, Fassungslosigkeit, Trauer und Verwunderung machten sich breit. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.

Was haben wir alle mit «Waldi» gelacht. Er war ein Unikat, eine Marke. Er war schon authentisch, als dieser Begriff noch gar nicht erfunden war. Der gelernte Klempner und Hobby-Feuerwehrmann war ein Tausendsassa, ein leidenschaftlicher Motorradfanatiker.

Seine Motorradrennkarriere hat er eigentlich nie wirklich ganz aufgegeben. Er setzte sich auf jedes Rennmotorrad oder zweirädrige Vehikel und erprobte die umstrittene Kurve 11 auf dem Sachsenring auch als 50-jähriger noch, bis er mit 200 km/h auf seiner HB-Honda-Replica im Kies lag.

Ja, Waldi, ich könnte ein Buch über dich schreiben; mir kommen aus dem Stegreif 1000 Erlebnisse in den Sinn.

Ich vermute, ich habe jeden einzelnen Grand Prix von Waldi live an der Rennstrecke miterlebt.

Ich erinnere mich, wie ich aus der deutschen Motorradmeisterschaft erste Heldentaten über den schnellen Ennepetaler hörte. Er distanzierte die Gegner mit zweitklassigem Material im Regen als Namenloser um 30 oder 60 Sekunden, im Trockenen stürzte er in seiner Sturm-und-Drang-Periode oft, weil er selbst mit der müdesten Kiste gewinnen wollte – anfangs in den Klassen 80 und 125 ccm.

So suchte ich damals beim EM-Lauf in Jerez in den 1980er-Jahren irgendwann am Freitag neugierig nach Waldmann, den ich noch nie getroffen hatte. Er war mit dem Papa unterwegs, mit einem altersschwachen Renault-Kastenwagen, aus Waldi sprudelten von der ersten Minute an die herrlichsten Geschichten heraus, er war witzig, unterhaltsam, redselig, einfach liebenswürdig.

Er brachte Ennepetal auf die internationale Landkarte und gewann am Sonntag in Jerez als krasser Außenseiter den 80-ccm-EM-Lauf mit mehr als 20 Sekunden Vorsprung. Der stolze Papa weinte neben mir unter dem Siegerpodest.

Turbulente Jahre

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, es sind in all den Jahren so viele Ereignisse passiert, die aus der Erinnerung auftauchen.

Naja, wir müssen ja nicht chronologisch vorgehen, ich würfle sie bunt durcheinander.

Vor mehr als 20 Jahren wollte ich Waldi ein paar Tage vor dem Abflug zum ersten Saison-GP interviewen, aber er war am Telefon ausnahmsweise nicht gesprächig, sondern niedergeschlagen und deprimiert. «Ich habe 120 Ruhepuls», entfuhr es ihm. Er erzählte mir dann, er habe in seiner Gutmütigkeit einen Manager engagiert, der ihm alle Vollmachten abgeluchst und all seine Konten geplündert hatte.

Mir war dieser Geselle von Anfang an merkwürdig vorgekommen, deshalb habe ich damals das MSa-Sponsorship-Geld direkt auf ein Konto von Waldi in Monte Carlo überweisen lassen. Ich besorgte Waldi einen streitbaren Anwalt aus Frankfurt, drei Wochen später parkte der Manager seinen Porsche auf einer Autobahnbrücke und sprang in den Tod. Vorher hatte Waldi das meiste Geld zurückbekommen.

Unterhaltsamer als dieses Vorkommnis waren die Promi-Radrennen, die damals überall stattfanden, vom Salzburgring über Imola bis zu Jerez und Donington. Als ehemaliger Elite-Radamateur aus Österreich galt ich meist als Favorit. Waldi hingegen war nicht gerade für seinen Trainingseifer bekannt, er wollte mich aber trotzdem immer besiegen. «Ich bleibe einfach in deinem Windschatten, dann bin ich am Schluss im schlimmsten Fall Zweiter», grinste er regelmäßig. Aber diese Strategie ging meistens schief, weil McElnea, Roth, Zeelenberg, die Brüder van den Goorbergh oder Christian Sarron regelmäßig schneller waren als der kurzatmige Ralf.

Es wird sich auch keiner mehr daran erinnern, dass Waldi 1993 einen gewissen Anteil am 125-ccm-Titelgewinn von Dirk Raudies in Jarama hatte. Raudies wusste damals, er würde auf jeden Fall den Weltmeistertitel sicherstellen, wenn Herausforderer Kazuto Sakata das Rennen nicht gewinnen würde.

Waldi versprach beherzt, sich dieses Problems anzunehmen – und siegte in Jarama bei diesem WM-Finale am 26. September 1993 pflichtschuldig. Ich hatte ihm für den Erfolgsfall ein MSa-Gratis-Abo für zehn Jahre versprochen. Es lief dann 15 Jahre.

In der 500er-WM fasste der 20-fache GP-Sieger nie richtig Fuß.

Beim Team Roberts führ er mit einer Dreizylinder-500-ccm-Modenas entschlossen gegen die Vierzylinder-Meute, immerhin schaute beim Heim-GP ein siebter Platz heraus.

Im Jahr 2002 sollte Waldmann im WCM-Yamaha-Team eine 1000-ccm-Viertakt-Yamaha fahren, deren Motor von der R1 abgeleitet wurde. Aber Waldi bekam kurz vor dem Saisonstart kalte Füße. Er trat den Job einfach nicht an, er spürte wohl, dass er eine Krücke hätte steuern müssen. Tatsächlich durfte der Motor nach wenigen Rennen nicht mehr eingesetzt werden, weil es sich nicht um einen Prototyp handelte.

Auch der MZ-MotoGP-Deal erwies sich als Reinfall, der mysteriöse MZ-Chef Petr Karel Korous hatte nur eine Attrappe vorgestellt, ein 1000-ccm-Motor wurde nie gebaut.

Der letzte Sieg, der Regenflop in Assen

Nach dem Ende seines Daseins als 250-ccm-WM-Stammfahrer nahm Waldi alle möglichen Gelegenheiten wahr, um seine Schnelligkeit unter Beweis zu stellen, denn Vollgas war sein täglich Brot.

Er versuchte sich auch im Automobilrennsport, die Ergebnisse blieben überschaubar, Waldi war ein Zweirad-Mann mit Leib und Seele. Die Autoszene war ihm nie richtig geheuer.

Er fuhr sogar Moped-Rennen und im reifen Alter auch noch auf irgendeinem Nebenschauplatz eine Ducati, später unternahm er in Donington 2009 noch ein Comeback in der 250er-WM bei Kiefer. Ich zahlte ihm einen angemessenen Betrag, weil er brav eine Speedweek-Kappe aufsetzte.

Gleichzeitig ließ er sich 2009 von seinem Kumpel Martin Wimmer zu einer Teilhaberschaft bei MZ überreden. «Ich habe einfach das Geld investiert, dass mir Korous fürs Nichtfahren bezahlt hat», sagte mir Ralf damals. Der bauernschlaue Waldi witterte aber bald finanzielles Unheil und ließ sich seine Investition von Investor Peter Ertel vor dessen Tod wieder zurückerstatten.

Waldi war emotional, auch bei seiner TV-Tätigkeit bei Eurosport glühte er vor Begeisterung. Nur einmal erlebte ich ihn so richtig niedergeschmettert. Beim WM-Finale 1997 in Phillip Island/Australien sicherte sich Max Biaggi endgültig den 250-ccm-Titel, trotz eines Sieges von Waldi. HB-Honda-Teamchef Dieter Stappert machte Waldi nach der Zieldurchfahrt Vorwürfe, weil er in Indonesien eine Woche vorher in der letzten Runde von Platz 4 auf Platz 7 zurückgefallen war, was ihn quasi um die Titelchancen brachte. Er solle sich beim Team entschuldigen, forderte ihn Stappert mit wenig Fingerspitzengefühl auf.

Für Waldi war schon vorher eine Welt zusammengebrochen, weil er den Titelfight um 2 Punkte verspielt hatte. Jetzt brach er in Tränen aus, Weinkrämpfe beutelten ihn, er stürmte aus der Box und schüttete mir im Media Center weinend sein Herz aus.

Ach, Waldi, was soll ich noch alles erzählen? Vom Regencrash bei der Zieldurchfahrt in Suzuka, als du nicht in Gemeinschaft mit deiner Honda über den Zielstrich gepurzelt bist und trotzdem gewertet wurdest?

Vom Regen-GP in Assen/NL, als der niederländische Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen bei der Wetterwarte des Flughafens Groningen anrief und dort erfuhr, dass im 250-ccm-Rennen kein Regen kommen würde. Er schickte dich mit Slicks los, nach wenigen Runden stand Hochwasser auf der Piste…

Dafür empfahl dir Martin Wimmer in Donington im Jahr 2000 nach einer Runde auf einer BMW kurz vor dem Start, du solltest geschnittene Slickreifen riskieren – wegen der rasch abtrocknenden Fahrbahn. Bis zur Halbzeit erschien dieser heiße Tipp als verheerender Reinfall, du warst das Schlusslicht, aber schließlich hast du einen Vormarsch gestartet und in der letzten Runde quasi in der letzten Kurve die Führung übernommen, als die Piste immer trockener wurde – und gewonnen. Dein letzter GP-Sieg.

Ach, was haben wir alles gemeinsam erlebt. 1996 in Indonesien gab es in unserem armseligen Quartier kein Restaurant. Wir haben ein Straßenlokal für Einheimische besucht, in dem die Kakerlaken zu Hunderten auf den Wänden auf- und abmarschierten. Wir hatten keine Ahnung, was uns zum Essen vorgesetzt wurde, es waren großteils Knochen von halb verhungerten Hühnern, auch Affenhirn war dabei. Der Wirt sprach praktisch kein Englisch. Als wir am zweiten Abend wieder erschienen, fragte er: «The same as tomorrow?»

Bei Eurosport blühte Waldi auf

Ehrlich gesagt, ich hatte etwas Mitleid mit Ralf Waldmann, als er bei Alpha Racing, Kiefer und Intact als Mechaniker und Lkw-Chauffeur sein Geld verdiente, während Max Biaggi mit 42 Jahren bei Aprilia noch eine Millionen-Gage kassierte und 2010 und 2012 die Superbike-WM gewann.

Ich war erleichtert und froh, als Ralf bei Eurosport 2016 wieder eine Aufgabe fand, die diesem liebenswürdigen, lebensfrohen und begeisterungsfähigen Zeitgenossen angemessen war.

Waldi war eine Bereicherung des GP-Paddocks, er hatte keine Feinde, seine Hilfsbereitschaft kannte keine Grenzen.

Waldi begeisterte sich bei technischen Neuheiten, er war ein technischer Tüftler, überall gern gesehen und respektiert.

Ein Heizungskeller in Ennepetal wurde Ralf zum Verhängnis. Ich kann meine Trauer kaum beschreiben, mir fehlen noch heute die Worte.

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